Menschen, Göttern gleich. H. G. Wells

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Menschen, Göttern gleich - H. G. Wells

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      Die Gesellschaft dieser berühmten und ausgezeichneten Leute verlieh Mr. Barnstaple neuen Mut, und ganz besonders die Gesellschaft Stellas. Sie war aber auch wirklich beruhigend, sie brachte so viel von der lieben alten Welt mit und war offensichtlich bereit, die neue Welt bei der ersten besten Gelegenheit den Regeln der alten unterzuordnen. An ihr prallte ein großer Teil des Wunders und der Schönheit, die Mr. Barnstaple gänzlich zu überwältigen drohten, vollkommen ab. Das Zusammentreffen mit ihr und ihren Freunden war an und für sich für einen Mann in seiner Stellung ein zwar nicht sehr wichtiges, aber doch bemerkenswertes Erlebnis, das dazu beitrug, den erstaunlichen Abgrund zwischen dem Einerlei seines normalen Lebens und dieser atemberaubenden Atmosphäre Utopias zu überbrücken. Daß auch Lady Stella und Mr. Burleigh die leuchtende Pracht um ihn herum sehen und über sie sprechen konnten und daß Mr. Freddy Mush sie durch sein kritisches Monokel betrachten durfte, machte sie faßlich und degradierte sie – wenn man diesen Ausdruck in diesem Zusammenhang gebrauchen darf – zu vollkommener Glaubwürdigkeit. Sie wurde dadurch in eine Reihe mit Dingen gebracht, die in die Zeitungen kommen. Allein in Utopia, wäre Mr. Barnstaple so völlig verwirrt worden, daß er geistig zusammengebrochen wäre. Diese sich so unbeschwert benehmende gebräunte Gottheit, die eben jetzt mit Mr. Burleigh Fragen austauschte, wurde durch die Vermittlung dieses großen Mannes dem Geiste zugänglich.

      Doch als Mr. Barnstaples Aufmerksamkeit von den Leuten, die in der Limousine gesessen waren, sich der so prächtig aussehenden Welt, in die er und jene gefallen waren, zuwandte, verschlug es ihm wieder fast den Atem. Was für eine Art von Lebewesen waren eigentlich diese Männer und Frauen einer Welt, in der, wie es schien, schädliches Unkraut aufgehört hatte zwischen Blumen zu wuchern, und wo Leoparden ohne jegliche katzenartige Bosheit mit freundlichen Augen die Vorübergehenden anguckten?

      Es war seltsam, daß die zwei ersten Einwohner, die sie in dieser Welt der bezwungenen Natur gefunden hatten, anscheinend als Opfer eines gewagten Experiments tot dalagen. Noch seltsamer war es, daß die anderen beiden, die sich selbst Brüder des toten Mannes und Mädchens nannten, so wenig Kummer und Trauer angesichts der Tragödie verrieten. Es fiel Mr. Barnstaple auf, daß es keine rührende Szene, keinerlei Bestürzung oder Tränen gab. Sie waren offensichtlich viel mehr verwundert und interessiert, als erschreckt oder betrübt.

      Der Utope, der in der Ruine zurückgeblieben war, hatte den Leichnam des Mädchens herausgeschafft, um ihn neben ihren Gefährten zu legen, und war dann, wie Mr. Barnstaple sah, zurückgekehrt, um die Trümmer des Experiments einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.

      Nun aber erschienen mehrere dieser Leute auf dem Schauplatz. Es gab Flugzeuge in dieser Welt; denn zwei kleine Maschinen, geräuschlos und schnell wie Schwalben im Flug, waren in den nahen Feldern gelandet. Die Straße entlang war ein Mann mit einer Maschine gekommen, die aussah wie ein zweirädriger Zweisitzer, die Räder hintereinander, nach Art eines Fahrrades. Sie war leichter und zierlicher als irgendein irdisches Automobil und war rätselhafterweise fähig, auf den beiden Rädern aufrecht stehenzubleiben. Ein schallendes Gelächter von der Straße her lenkte Mr. Barnstaples Aufmerksamkeit auf eine Gruppe dieser Utopen, die anscheinend etwas außerordentlich Komisches am Motor der Limousine entdeckt hatten. Die Mehrzahl dieser Leute war ebenso kärglich bekleidet und wunderschön gebaut wie die beiden toten Forscher, doch hatten einige große Strohhüte auf, und eine Frau, die dreißig oder mehr Jahre alt zu sein schien, trug ein weißes Kleid, das von einer grellroten Borte eingefaßt war. Sie sprach eben mit Mr. Burleigh.

      Obwohl sie an die zwanzig Meter entfernt war, war ihre Stimme für Mr. Barnstaple deutlich vernehmbar.

      »Wir wissen bis jetzt noch nicht einmal, was für ein Zusammenhang zwischen eurer Ankunft in unserer Welt und der Explosion bestehen könnte oder ob überhaupt irgendein Zusammenhang besteht. Wir müssen diese beiden Ereignisse erst untersuchen. Es wird das Vernünftigste sein, glauben wir, euch und eure ganze Habe nach einem passenden, nicht sehr weit von hier gelegenen Ort zu einer Besprechung zu bringen. Wir sorgen für Maschinen, die euch dorthin befördern sollen. Dann werdet ihr vielleicht etwas essen. Ich weiß nicht, ob ihr gewöhnt seid, zu essen?«

      »Eine Erfrischung«, sagte Mr. Burleigh, dem dieser Gedanke gefiel, »eine kleine Erfrischung wird sicherlich willkommen sein. Wären wir nicht so Hals über Kopf aus unserer Welt in Ihre geraten, so hätten wir um diese Zeit gefrühstückt – und in bester Gesellschaft gefrühstückt.«

      ›Wunder und Lunch‹, dachte Mr. Barnstaple. Der Mensch ist ein Lebewesen, das essen muß, Wunder hin, Wunder her. Mr. Barnstaple merkte, daß er in der Tat schon Hunger verspürte und daß die Luft, die er einatmete, scharf und appetitanregend war.

      Die Utopin schien von einer Idee, die ihr völlig neu war, erstaunt zu sein. »Eßt ihr mehrmals am Tage? Was für Sachen eßt ihr denn?«

      »Oh, Vegetarianer sind wir nicht, das ist sicher!« rief Mr. Mush heftig protestierend und ließ sein Glas aus der Augenhöhle fallen.

      Sie waren hungrig. Man sah es ihren Gesichtern an.

      »Wir sind alle gewöhnt, mehrmals am Tage zu essen«, sagte Mr. Burleigh. »Es wird vielleicht gut sein, wenn ich Ihnen eine kurze Übersicht über unsere Ernährungsweise gebe. Vielleicht gibt es Unterschiede. Wir beginnen in der Regel mit einer einfachen Tasse Tee und einer ganz dünnen Butterbrotschnitte, die uns ans Bett gebracht werden. Dann kommt Frühstück …« Er kam schließlich zu einer meisterhaften Zusammenfassung seiner gastronomischen Tageseinteilung und schilderte klar und verlockend die Einzelheiten eines englischen Frühstücks: Eier, die viereinhalb Minuten gekocht werden müssen, weder länger noch kürzer, Lunch mit einem leichten Wein, Tee, der mehr eine gesellige Angelegenheit als eine ernste Mahlzeit ist, Dinner, mit allen Einzelheiten, und das gelegentlich eingenommene Souper. Es war eine jener klaren Darstellungen, wie sie das Unterhaus erfreut hätten, fließend, leicht, in heiterem Ton, aber dennoch mit einem Zug von Ernst. Die Utopin betrachtete ihn mit wachsendem Interesse. »Eßt ihr alle in dieser Art?« fragte sie.

      Mr. Burleigh ließ seine Blicke über seine Gefährten wandern. »Ich weiß nicht, ob Mr. … Mr. …?«

      »Barnstaple – jawohl, ich esse in ganz gleicher Art.«

      Aus irgendeinem Grunde lächelte ihm die Utopenfrau zu.

      Sie hatte sehr hübsche braune Augen, und obwohl er sie gern lächeln sah, wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie ihm nicht in solcher Weise zugelächelt hätte, wie sie es tat.

      »Und schlaft ihr?« fragte sie.

      »Sechs bis zehn Stunden, je nach den Umständen«, sagte Mr. Burleigh.

      »Und betreibt ihr Liebe?«

      Diese Frage versetzte unsere Erdlinge in Verlegenheit und schockierte sie gewissermaßen. Was meinte sie damit? Für einen Augenblick wußte niemand eine Antwort. Seltsame Möglichkeiten jagten in wilder Hast durch Mr. Barnstaples Hirn.

      Dann sprang Mr. Burleigh mit seiner feinen Klugheit und der Geistesgegenwart eines modernen Staatsmanns in die Bresche.

      »Nicht gewohnheitsmäßig, kann ich Ihnen versichern«, sagte er, »nicht gewohnheitsmäßig.«

      Die Frau mit dem rotgeränderten Kleid schien einen kurzen Augenblick zu überlegen. Dann lächelte sie schwach.

      »Wir müssen euch irgendwohin bringen, wo wir über alle diese Dinge sprechen können«, sagte sie. »Wahrhaftig, ihr kommt aus einer anderen, seltsamen Welt. Unsere Gelehrten müssen mit euch zusammenkommen.«

      10

      Um halb elf am gleichen

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