Die Schwelle der geistigen Welt – Aphoristische Ausführungen. Rudolf Steiner
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Man hat vor mehr oder weniger langer Zeit etwas erlebt. Es taucht in einem bestimmten Augenblicke – durch diesen oder jenen Anlass – aus dem Untergrunde des Seelen-Erlebens herauf. Man weiß, dass das so Aufgetauchte einem Erlebnis entspricht; und man bezieht es auf dieses Erlebnis. In dem Augenblick der Erinnerung hat man aber gegenwärtig von dem Erlebnis nichts anderes als das Erinnerungsbild. – Man denke sich nun in der Seele auftauchend ein Bild in solcher Art, wie ein Erinnerungsbild ist, doch so, dass dies Bild nicht etwas vorher Erlebtes, sondern etwas der Seele Fremdes ausdrückt. Man hat sich damit eine Vorstellung davon gebildet, wie in der Seele die geistige Welt zunächst auftritt, wenn diese Seele genügend dazu vorbereitet ist.
Weil dies so ist, wird derjenige, welcher mit den Verhältnissen der geistigen Welt nicht genügend vertraut ist, stets mit dem Einwand herantreten, dass alle »vermeintlichen« geistigen Erlebnisse nichts weiter seien als mehr oder weniger undeutliche Erinnerungsbilder, welche die Seele nur nicht als solche erkennt und sie daher für Offenbarungen einer geistigen Welt halten kann. Nun soll durchaus nicht geleugnet werden, dass die Unterscheidung von Illusionen und Wirklichkeiten auf diesem Gebiete eine schwierige ist. Viele Menschen, welche glauben, Wahrnehmungen aus einer übersinnlichen Welt zu haben, sind ja gewiss nur mit ihren Erinnerungsbildern beschäftigt, die sie nur nicht als solche erkennen. Um hier ganz klar zu sehen, muss man von vielem unterrichtet sein, was Quell von Illusionen werden kann. Man braucht zum Beispiel etwas nur einmal flüchtig gesehen zu haben, so flüchtig, dass der Eindruck gar nicht in das Bewusstsein voll eingedrungen ist; und es kann später – vielleicht sogar ganz verändert – als lebhaftes Bild auftreten. Man wird versichern, dass man mit der Sache niemals etwas zu tun gehabt habe, dass man eine wirkliche Eingebung habe.
Dies und vieles andere lässt durchaus begreiflich erscheinen, dass die Angaben des übersinnlichen Schauens denjenigen höchst fragwürdig erscheinen, welche mit der Eigenart der Geisteswissenschaft nicht vertraut sind. – Wer sorgfältig alles beachtet, was in meiner Schrift »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« über die Heranbildung des geistigen Schauens gesagt ist, der wird wohl in die Möglichkeit versetzt, auf diesem Gebiete Illusion und Wahrheit zu unterscheiden.
Es darf aber in Bezug darauf auch noch das folgende gesagt werden. Die geistigen Erlebnisse treten zunächst allerdings als Bilder auf. Sie steigen aus den Untergründen der dazu vorbereiteten Seele als solche Bilder herauf. Es kommt nun darauf an, zu diesen Bildern das richtige Verhältnis zu gewinnen.
Sie haben Wert für die übersinnliche Wahrnehmung erst dann, wenn sie durch die ganze Art, wie sie sich geben, gar nicht an und für sich selbst genommen sein wollen. Sobald sie so genommen werden, sind sie kaum mehr wert als gewöhnliche Träume. Sie müssen sich so ankündigen wie Buchstaben, die man vor sich hat. Man fasst nicht die Form dieser Buchstaben ins Auge, sondern man liest in den Buchstaben dasjenige, was durch sie ausgedrückt wird. Wie etwas Geschriebenes nicht dazu auffordert, die Buchstabenformen zu beschreiben, so fordern die Bilder, die den Inhalt des übersinnlichen Schauens bilden, nicht dazu auf, sie als solche aufzufassen; sondern sie führen durch sich selbst die Notwendigkeit herbei, von ihrer Bildwesenheit ganz abzusehen und die Seele auf dasjenige hinzulenken, was durch sie als übersinnlicher Vorgang oder Wesenheit zum Ausdruck gelangt.
So wenig jemand den Einwand machen kann, dass ein Brief, durch den man etwas vorher völlig Unbekanntes erfährt, sich doch nur aus den längst bekannten Buchstaben zusammensetzt, so wenig kann den Bildern des übersinnlichen Bewusstseins gegenüber gesagt werden, dass sie doch nur dasjenige enthalten, was dem gewöhnlichen Leben entlehnt ist. – Dies ist gewiss bis zu einem gewissen Grade richtig. Doch kommt es dem wirklichen übersinnlichen Bewusstsein nicht auf das an, was so dem gewöhnlichen Leben entlehnt ist, sondern darauf, was in den Bildern sich ausdrückt.
Zunächst muss sich die Seele allerdings bereit machen, solche Bilder im geistigen Blickekreis auftreten zu sehen; dazu aber muss sie auch sorgfältig das Gefühl ausbilden, bei diesen Bildern nicht stehen zu bleiben, sondern sie in der rechten Art auf die übersinnliche Welt zu beziehen. Man kann durchaus sagen, zur wahren übersinnlichen Anschauung gehört nicht nur die Fähigkeit, in sich eine Bilderwelt zu erschauen, sondern noch eine andere, welche sich mit dem Lesen in der sinnlichen Welt vergleichen lässt.
Die übersinnliche Welt ist zunächst als etwas ganz außer dem gewöhnlichen Bewusstsein Liegendes vorzustellen. Dieses Bewusstsein hat gar nichts, wodurch es an diese Welt herandringen kann.
Durch die in der Meditation verstärkten Kräfte des Seelenlebens wird zuerst eine Berührung der Seele mit der übersinnlichen Welt geschaffen. Dadurch tauchen aus den Fluten des Seelenlebens die gekennzeichneten Bilder herauf. Diese sind als solche ein Tableau, das eigentlich ganz von der Seele selbst gewoben wird. Und zwar wird es gewoben aus den Kräften, welche sich die Seele in der sinnlichen Welt erworben hat. Es enthält als Bildgewebe wirklich nichts anderes, als was sich mit Erinnerung vergleichen lässt. – Je mehr man sich für das Verständnis des hellsichtigen Bewusstseins dieses klar macht, desto besser ist es. Man wird sich dann über die Bildnatur keiner Illusion hingeben. Und man wird dadurch auch ein rechtes Gefühl dafür ausbilden, in welcher Art man die Bilder auf die übersinnliche Welt zu beziehen hat. Man wird durch die Bilder in der übersinnlichen Welt lesen lernen. – Durch die Eindrücke der sinnlichen Welt steht man den Wesen und Vorgängen dieser Welt naturgemäß weit näher als durch die übersinnlich geschauten Bilder der übersinnlichen Welt. Man könnte sogar sagen, diese Bilder seien zunächst wie ein Vorhang, welchen sich die Seele vor die übersinnliche Welt hinstellt, wenn sie sich von derselben berührt fühlt.
Es kommt darauf an, dass man sich in die Art des Erlebens übersinnlicher Dinge allmählich hineinfindet. Im Erleben ergibt sich nach und nach die sachgemäße Deutung, das richtige Lesen. Für bedeutsamere übersinnliche Erlebnisse wird sich durch das Geschaute von selbst ergeben, dass man es mit keinen Erinnerungsbildern aus dem gewöhnlichen Erleben zu tun haben kann. Es wird ja allerdings von solchen, welche sich eine Überzeugung von gewissen übersinnlichen Erkenntnissen angeeignet haben, oder wenigstens angeeignet zu haben glauben, viel Ungereimtes auf diesem Felde behauptet. Wie viele Menschen beziehen doch gewisse Bilder, welche in ihrer Seele auftreten, auf Erlebnisse früheren Erdenseins, wenn sie von den wiederholten Erdenleben überzeugt sind. Man sollte stets misstrauisch sein, wenn diese Bildet auf solche vorhergehende Erdenleben hinzuweisen scheinen, welche dem gegenwärtigen in dieser oder jener Beziehung ähnlich sind, oder welche sich so zeigen, dass das gegenwärtige sich verstandesgemäß aus den vermeintlichen früheren leicht begreifen lässt. Wenn im wirklichen übersinnlichen Erleben der wahre Eindruck des oder der vorigen Erdenleben auftritt, so zeigt sich wohl zumeist, dass dieses oder diese früheren Leben so waren, wie man sie durch alles Ausdenken des gegenwärtigen, durch alles Wünschen und Streben für dieses, hätte niemals gestalten können, oder gedanklich gestalten wollen. Man wird zum Beispiel in einem Augenblicke des gegenwärtigen Lebens den Eindruck von seinem vorigen Erdensein empfangen, in welchem es ganz unmöglich ist, Fähigkeiten oder dergleichen sich anzueignen, die man in jenem Leben besessen hat. Weit entfernt, dass für solche bedeutsamere Geisteserlebnisse sich Bilder einstellten, die Erinnerungen aus dem gewöhnlichen Leben sein könnten, sind diese Bilder meist solche, dass man im gewöhnlichen Erleben hätte gar nicht auf sie verfallen können. – Für die wirklichen Eindrücke aus den ganz übersinnlichen Welten ist dies in noch höherem Grade der Fall. So gibt es zum Beispiel oft keine Möglichkeit, Bildet aus dem gewöhnlichen Leben heraus zu gestalten, die sich auf das Dasein zwischen den Erdenleben, also das Leben zwischen dem letzten Tode des Menschen im vorhergehenden Erdenleben und der Geburt in das gegenwärtige, beziehen.
Man kann da erfahren, dass man in dem geistigen Leben zu Menschen und Dingen Neigungen entwickelt hat, die in vollem Widerspruch zu dem stehen, was man an entsprechenden Neigungen im Erdenleben entwickelt. Man erkennt, dass man oft im Erdenleben dazu getrieben wurde, sich liebevoll