Khong-Kheou, das Ehrenwort. Karl May
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»Ja! Er ist es ja, um dessentwillen die Reise überhaupt unternommen wird. Wenn ich nicht so sehr eile, daß wir morgen bereits über alle Berge sind, wird aus dieser famosen Reise gar nichts. Ich habe seine Mutter förmlich überrumpelt, und wir müssen reisen, bevor sie sich anders besinnen kann.«
Er eilte fort. Gottfried schüttelte den Kopf, kratzte sich mit beiden Händen hinter den Ohren, richtete seinen Blick auf einen großen chinesischen Laternendrachen, welcher an der Decke hing und sagte:
»Da hängst du nun, altes Jötzenbild, und kuckst mich höhnisch ins Jesicht! Dir hab' ich nie so recht jetraut. Deine Ehrbarkeit und Moralität ist mich immer ein bißchen problematisch vorjekommen! Wat willst du sind? Tao-lung willst du jenannt sind, wat soviel heißt, wie Drache der Vernunft? Ich sage dir, daß du höchst unvernünftig bist! Seit du hier unsern Zenith jepachtet hast, ist bei uns China und der Teufel losjewesen. Ich habe dir sogar im Verdacht, daß du um Mitternacht als Jespenst und Jeisterspuk hier umherfliegst. Du erscheinst dem Methusalem im Traume; du hast es ihm anjethan und ihm sogar den Jedanken einjeblasen, die traute Heimat zu verlassen, um am Strande des gelben Meeres bei die halben Antipoden jebratene Regenwürmer, jeschmorte Tausendfüße, jebackenen Seetang, marinierte Salamander und jekochte Rattenschwänze zu verspeisen. Schäme dir! Aber du sollst dir doch nicht rühmen können, ihn ins Verderben jeführt zu haben. Ich werde ihn begleiten als sein Morjen- und sein Abendstern. Wir werden siegreich gegen deine Vettern und Basen kämpfen, gegen Drachen, Molche und Chinesen, und wenn wir wiederkehren, so hängen wir sie hier als Trophäen auf, um dir zu ärjern, so wie du mir jeärjert hast. Ich verachte dir!«
Er ging mit einer theatralischen Geberde ab, um sich bei der Wirtin zu erkundigen, wie sein Herr auf den Gedanken gekommen sei, nach China zu gehen.
Inzwischen war der »Methusalem« gar nicht weit gekommen. An der Ladenthür des Chinesen hatte er sich besonnen, daß er diesem doch sagen müsse, daß der Brief an die richtige Adresse gelangt sei. Darum trat er bei ihm ein.
»Nun?« fragte der Sohn der Mitte. »Sie bringen den Brief nicht wieder?«
»Nein. Meine Wirtin ist die Adressatin. Sie brauchen sich also nicht weiter zu bemühen. Aber, bitte, wie ist er in Ihre Hände gekommen?«
»Durch meinen Lieferanten in Kuang-tschéu-fu (Kanton), bei dem er für mich abgegeben wurde.«
»Hat dieser Herr Ihnen mitgeteilt, wer der Absender ist?«
»Nein. Er hat mir die Weisung gegeben, den Adressaten oder dessen Erben hier ausfindig zu machen, ihnen den Brief zu übermitteln und dafür zu sorgen, daß sie sofort antworten. Die Stelle, an welche die Antwort zu richten ist, sei in dem Briefe angegeben.«
»Das stimmt. Aber es ist beschlossen worden, keine briefliche Antwort zu erteilen. Wir reisen selbst hin, nämlich Richard Stein, ich und mein Gottfried von der Oboe.«
Jetzt war es an dem Chinesen, zu erstaunen. Er erging sich in den fremdartigsten Ausrufewörtern, wobei er die Hände mit weit ausgespreizten Fingern gen Himmel hielt und dabei den Kopf von einer Seite auf die andere warf, so daß sein Zopf wie ein Perpendikel abwechselnd herüber und hinüber flog.
»Sie selbst, Sie selbst wollen nach Tschung-kuo, dem Reiche der Mitte, nach Tschung-hoa, der Blume der Mitte!« rief er aus. »Sie werden Tien-tschao, das himmlische Reich sehen! Sie gehen nach Ki-tien-teh, dem Hause der himmlischen Tugenden, nach Schan-hoang-ti, dem Berge des erhabenen Herrschers! Wie ist das gekommen? Wodurch wurden Sie auf diesen Gedanken gebracht?«
»Durch die Teilnahme, welche ich für die Familie meiner braven Wirtin und insbesondere für Richard hege. Um es Ihnen kurz zu sagen, hat der verstorbene Volksschullehrer Stein einen Bruder gehabt, welcher in seiner Jugend, getrieben von seiner Lust zu Abenteuern, in die weite Welt gegangen ist. Er ist lange Jahre erst in Süd- und dann in Nordamerika gewesen, ohne es zu etwas Sonderlichem zu bringen. Später wollte er nach Java; das Schiff ging aber in der Nähe der chinesischen Küste unter, und er war einer der Wenigen, welche gerettet wurden. Unter den Chinesen erging es ihm zunächst herzlich schlecht, da er ja ihrer Ansicht nach ein Y-jin war, ein fremder Barbar. Er wurde wie ein Gefangener gehalten. Nach und nach lebte er sich in die dortigen Verhältnisse ein. Er erlernte die Sprache, trug chinesische Kleidung, nahm die dortigen Gewohnheiten an und brachte es dadurch so weit, daß er endlich wie ein Eingeborener behandelt wurde. Nur das Land durfte er nicht verlassen; der Versuch dazu schon sollte mit dem Tode bestraft werden. Um seiner ganz sicher zu sein, wurde er in das Innere geschafft, wo er es bald so weit brachte, daß er unter die Klasse der Ansässigen aufgenommen wurde. Er entdeckte zufälligerweise im Gebirge eine Petroleumquelle. Da er die Art der Ausbeutung und Verwertung des Öles in den Vereinigten Staaten kennen gelernt hatte, so griff er die Sache auf amerikanische Weise an, dabei aber natürlich die chinesischen Verhältnisse in Rechnung ziehend. Er wurde ein reicher Mann und breitete seine Verbindungen nach und nach bis an die Küste aus. Durch diesen letzteren Umstand ist es ihm ermöglicht gewesen, einen Brief, eben den, welchen Sie zur Besorgung erhielten, in die Heimat zu senden. Er ist unverheiratet und ohne Erben, dabei so kränklich, daß er mit dem baldigen Tode rechnet. Er will sein Vermögen nicht in fremde Hände kommen lassen. Darum bittet er seinen Bruder, sofort nach China zu reisen. Falls dieser Bruder tot ist, soll dessen ältester Sohn, von dessen Geburt er aus früheren Nachrichten weiß, zu ihm kommen. Nur so ist es möglich, die chinesischen Gesetze zu umgehen und die Früchte seines Fleißes in die Hände seiner Verwandten gelangen zu lassen. Er bittet um augenblickliche Antwort, worauf er Geld zur Reise anweisen will. Da ich mir aber sage, daß dabei Monate verschwendet werden, während welcher Zeit der kränkliche Herr wohl gar sterben könnte, habe ich unter Aufbietung meines ganzen Einflusses erreicht, daß Frau Stein ihren Richard sofort reisen lassen will, natürlich nur unter der Bedingung, daß ich ihn begleite. Die Kosten der Reise trage ich auch. Das ist alles so plötzlich gekommen und muß auch sofort ausgeführt werden, sonst steht zu erwarten, daß die Wirtin ihre Zusage wieder zurücknimmt. Es ist für eine Mutter kein Spaß, ihr Kind in solche Ferne und in ein solches Land gehen zu lassen. Sie ist von dem Ereignisse, sozusagen, übermannt und betäubt worden. Ich darf sie nicht zur ruhigen Überlegung kommen lassen. Morgen mit dem ersten Zuge reisen wir.«
Der Chinese stand mit offenem Munde und starren Blickes vor ihm. Er bewegte kein Glied seines Körpers.
»Was ist mit Ihnen?« fragte der »Methusalem« besorgt. »Sie sind ja wie vom Schlage getroffen! Wie kann meine Erzählung einen solchen Eindruck auf Sie hervorbringen?«
Er faßte den »Sohn des Himmels« bei den Schultern und schüttelte ihn. Dies gab dem Chinesen die Herrschaft über sich selbst zurück. Er eilte zur Thüre, riegelte dieselbe zu, um von keinem Käufer gestört zu werden, ergriff den Studenten beim Arme, führte ihn nach dem kleinen, hinter dem Laden liegenden Privatraume und drückte ihn dort auf einen aus Bambus geflochtenen Sessel nieder.
Dies that er so eilfertig und zeigte dabei so ein Gesicht, als handle es sich um ein höchst wichtiges Geheimnis, um eine Angelegenheit, in welcher ein Aufschub den größten Schaden bringen könne.
»Freund!« rief er, in der Folge bald chinesisch, bald deutsch sprechend. »Sie reisen wirklich, wirklich, wirklich nach Tschina, meinem heißgeliebten Vaterlande?«
»Ja, morgen schon.«
»O, Herr des Himmels, Glanz der Sonne, Ursprung der Zeit und des Raumes! Welch ein Glück, welch eine Schickung! Freund, mein Leben gehört Ihnen; mein Vermögen ist Ihr Eigentum. Alles, alles sollen Sie haben, nur die Namen meiner Vorfahren kann ich Ihnen nicht schenken. Sie können mir einen Dienst erweisen, der so groß, so unendlich groß ist, daß selbst der größte Dank zu gering dafür sein würde.«