Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole. H. G. Wells

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Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole - H. G. Wells

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Haar war silbergrau. Er trat mit einem Mal und in vertrauenerweckender und angenehmer Weise aus dem verschwommenen Hintergrunde hervor. Er setzte seine randlose Brille auf die Nase und betrachtete mich mit einem sanften Lächeln, das mir außerordentlich anziehend dünkte.

      »Nun, mein Junge«, sagte er mit einer Stimme, die mir fast die meines Vaters schien, »sie wissen offenbar nicht recht, was sie mit dir anfangen sollen. Würdest du denn gerne zu mir kommen?«

      »Ja, bitte«, sagte ich, sobald ich den Sinn seiner Frage verstanden hatte.

      Meine Tante und ihre Gesellschafterin begannen, mir ein Loblied zu singen. Sie ließen plötzlich jede Verstellung beiseite. Ich hatte nicht im entferntesten geahnt, wie viel Gutes sie von mir hielten. »Er ist so lebhaft und so klug«, sagten sie; »er hat Interesse für alles und jedes. Wohlversorgt und gut genährt, wird er ein netter kleiner Junge werden.«

      Und somit war mein Schicksal entschieden.

      2

      Der gütige, weitherzige geistliche Herr

      Mit meiner Niederlassung in Harrow Hoeward hob, so glaube ich, mein Leben erst richtig an. Von den vorhergehenden Jahren bewahrt mein Gedächtnis nur flüchtige Bilder und Bruchstücke; vom Tage meiner Ankunft aber in jenem so traulichen Heim gelangt meine Erinnerung zu einer Kontinuität. Ich könnte, so scheint mir, vom Haus des Rektors und ganz gewiß vom Garten Karten in genauem Größenverhältnis zeichnen, ich vermag mir den ganz bestimmten dumpfigen Geruch des Brunnens im Hofe jenseits des Hintergebäudes in Erinnerung zu rufen und sehe die neun Ringelblumen, die in gleichen Abständen voneinander vor der grauen Steinmauer standen, deutlich vor mir. Jahr für Jahr ersetzte sie Blackwell, der alte Gärtner, durch neue. Ich könnte eine Chronik der Katzen schreiben und darin den Charakter jeder einzelnen schildern. Hinter der Pferdekoppel lag ein Graben, und dahinter der steile offene Hügel, der sich zum Himmel erhob. Ich pflegte sowohl an schneeigen Wintertagen wie auch im heißen Sommer auf einem Brett den Hügel hinunterzurutschen, denn das trockene Gras des Sommers war noch schlüpfriger als Eis. Vor dem Pfarrhaus befanden sich ein sauberer Rasenplatz und eine Taxushecke, zu unserer Linken die Häuser der Pferdehändler, dann bei der Straßenbiegung das Postamt und der Gemischtwarenhändler. Auf der anderen Seite grenzten wir an Kirche und Kirchhof.

      Mein Onkel nahm mich als ein noch unbestimmtes und bildsames Geschöpf bei sich auf, aus dem alles mögliche hätte werden können. In seinem Hause aber wurde ich unvermeidlich der Blettsworthy, der ich heute bin.

      Vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an war er für mich das wirklichste und beruhigendste Wesen der Welt. Ihn nur zu sehen, war, als ob man an einem hellen Morgen erwachte. Bis zu seinem Erscheinen war alles in meinem Leben verschwommen, bedrohlich und noch ohne Überzeugungskraft gewesen; ich hatte das Gefühl, daß ich mich nicht richtig verhielt, unsicher war, daß ich von schattenhaften und doch zerstörenden Mächten umgeben war und von Triebkräften gelenkt wurde, die ebenso unheilvoll werden konnten, wie sie unkontrollierbar waren. Hinter dem Alltagsleben tobte ein Wirbelsturm. Ich hatte schon in der Kindheit das Gefühl, als ob der Tagtraum, in dem ich lebte, sich jederzeit in böses Alpdrücken verwandeln könnte, trotz des stoischen Widerstandes, den ich ihm entgegensetzte; diese Gefahr war für viele Jahre gebannt. »Alles rings um dich scheint ein wenig in Unordnung geraten«, sagte mein Onkel im Cheltenhamer Wohnzimmer zu mir, »in Wirklichkeit aber, und grundsätzlich, ist alles in bester Ordnung.«

      Und solange er lebte, war entweder wirklich alles grundsätzlich in bester Ordnung, oder er vermochte durch einen besonderen Zauber seines Wesens alles in Ordnung scheinen zu lassen. Ich kann heute noch nicht sagen, wie es sich wirklich verhielt.

      An meine Tante Dorcas habe ich keine so lebendige Erinnerung wie an meinen Onkel. Ich erinnere mich tatsächlich weniger deutlich an sie als an den alten Blackwell oder die Köchin. Das ist sonderbar, denn sie muß sich ziemlich viel mit mir beschäftigt haben. Aber sie war eine emsige, zurückhaltende Frau, die ihre Obliegenheiten mit solchem Nachdruck verrichtete, daß sie nicht so sehr als ihr Tun, sondern vielmehr als etwas Notwendiges im Gang des Weltalls erschienen. Ich glaube, sie hatte sich stets eigene Kinder gewünscht und mag betrübt gewesen sein, als ihr klar wurde, daß ihre Familie aus einem einzigen, halb fremden Neffen bestehen sollte, einem zweifelhaften, vom Forscherdrang besessenen Wesen, das über das Babyalter schon hinaus war und seinen begrenzten englischen Wortschatz durch dunkle portugiesische Brocken ergänzte. Eine gewisse geistige Fremdheit blieb wohl immer zwischen ihr und mir bestehen. Sie verriet niemals irgendwelchen Mangel an Zuneigung; sie erfüllte in jeder Weise ihre Pflicht mir gegenüber, doch ist es mir, wenn ich heute auf jene Tage zurückblicke, völlig klar, daß wir nicht wie Mutter und Sohn zueinander standen. Ihr eigentliches Innenleben hatte überhaupt nichts mit mir zu tun. Um so mehr wandte sich mein Herz meinem Onkel zu, der rings um sich Güte zu verbreiten schien, so wie eine Wiese bei gutem Wetter Duft verbreitet; in meiner kindlichen Vorstellung herrschte er nicht nur über das Haus, die Kirche und alle Seelen von Harrow Hoeward, sondern auch über das weite kahle Hügelland, ja sogar über den Sonnenschein. Es ist erstaunlich, in welchem Maße er meinen Vater aus meinem Gemüt verdrängt hat.

      Meine Vorstellung von Gott ist noch heute mit ihm vermengt. In Madeira hatte ich viel von Dios gehört, wenn man ihn verfluchte oder beschwor, von einem subtropischen, leidenschaftlichen Dios, einem hitzigen und donnernden Gott. Doch erst als ich alt genug geworden war, um Vergleiche anzustellen, verband ich die beiden Gottheiten miteinander. In England nun zeigte sich mir Gott als der verbündete Schatten meines Onkels, ein lieber englischer Gentleman, ein alles beherrschender Super-Blettsworthy, ein Gott des Taues und der sonnigen Morgenfröste, hilfreich und ohne Groll, dessen besondere Feiertage Ostern, Weihnachten und das Erntedankfest waren. Er war der Gott einer Welt, die sich auf dem rechten Wege befand, ernst nur, um gleich wieder zu lächeln; selbst durch die feierliche Strenge des Karfreitags hindurch leuchtete die Versicherung meines Onkels, daß der junge Gentleman am Sonntag wohlbehalten und gesund zurückkehren werde. Eine ernste Zeit selbstverständlich, ein Anlaß zu tiefgründigen Betrachtungen, der uns aber auch die heißen Kreuzsemmeln bescherte.

      Es gab Kreuze in der Kirche meines Onkels, aber kein Kruzifix, keine Dornenkrone, keine Nägel.

      Mein Onkel schüttelte die Ärmel seines Chorrocks von seinen wohlgeformten Händen zurück, neigte sich über die Kanzel und sprach freundlich zu uns von der freundlichen Macht, die die Welt regiert, zwanzig Minuten höchstens, denn Gott darf den schwächeren Brüdern nicht langweilig werden. Er bedurfte zuweilen der Rechtfertigung, dieser Gott der Blettsworthys, sein Tun und Lassen mußte den Menschen erklärt werden, aber beileibe nicht auf langweilige Art. Mein Onkel sprach in seinen Predigten besonders gern vom Regenbogen, von der Arche und von dem Bunde Gottes mit den Menschen. Er war schrecklich anständig und ehrbar, dieser Gott, wie mein Onkel ihn schilderte, und Er und mein Onkel erweckten den Wunsch in mir, ebenfalls anständig und ehrbar zu sein. In einer Welt, in der es immerzu hieß: »ganz recht«, »alles in bester Ordnung« und »sehr wohl, Sir«. Ich lebte in dieser Welt und fühlte mich all die Jahre sicher. War es nichts weiter als ein Traum?

      Das Böse lag fernab, die Hölle war vergessen. »So etwas tut man nicht«, sagte mein Onkel, und man tat es nicht. »Vorwärts, los«, sagte mein Onkel, und man machte sich ans Werk. »Nur immer gerecht sein«, sagte mein Onkel; »man darf nicht hart gegen die Leute sein. Geduld mit den Unbegabten! Wie können wir wissen, ob sich der Bursche nicht nach Kräften bemüht?« Selbst die Zigeuner, die durch das ruhige Hügelland zogen und mitunter meinem Onkel kraft seiner weltlichen Richtermacht über nebensächlichere Fragen des Betragens Rede stehen mußten, waren tiefgläubige Anglikaner; wenn sie auch gelegentlich eine Kleinigkeit entwendeten, so waren sie doch weder Räuber noch gewalttätig. Liebes England! Soll ich dich niemals mehr wiedersehen, wie ich dich in jenen unversehrten und glücklichen Tagen sah? Auch das Languedoc und die Provence sollen milde Landstriche sein, ebenso Sachsen; und es heißt, daß man in Skandinavien da und dort gesegnete Gebiete findet, die man ohne Vorbehalt liebt. Ich kenne diese Gegenden nicht. Mein

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