Nesthäkchen und ihre Küken. Else Ury
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Einen Tag wie alle Tage wiederholte sich das. Die Grüße seiner Lieben begleiteten Rudolf Hartenstein aus seinem traulichen Nest hinein in den Lärm des Großstadtgetriebes, zu Krankheit und Elend, die es zu heilen galt, und machten ihn froh für seinen schweren Beruf. – – –
Der alte Junggeselle, der gegenüber mit seiner griesgrämigen Wirtschafterin eine Dreizimmerwohnung innehatte, beobachtete tagtäglich dieses Familienglück da drüben bei Doktors. Er lächelte über die kleinen Blondköpfe, die immer noch »Auf Wiedersehn« schrien, als der Vater schon längst ihren Blicken entschwunden war. Aber es war ein wehmütiges Lächeln.
Die Hartensteinschen Kinder ahnten nicht, daß für den alten Mann da drüben, vor dem sie alle drei Angst hatten – Klein-Ursel bezeichnete ihn sogar als »Bubumann« –, daß für den ihre hellen Kinderstimmen dasselbe waren, wie die goldene Morgensonne, die seine Behausung und sein altes Herz erwärmte, wie das Vogelgezwitscher, das die tiefe Stille seines einsamen Daseins belebte.
2. Kapitel
Eine Sandtorte
Vronli, Hansi und Ursel liefen den Kiesweg entlang – das heißt, eigentlich lief keins auf demselben, die Kinderfüßchen zogen stets den weichen Rasen vor –, zur Veranda ging es im Trab, laut rufend, daß man es über die ganze Straße hinweg hörte:
»Muttißen, backen wir nu Tuchen?«
Eine ganze Weile mußten sie sich noch gedulden, die drei. Erst hatte Mutti die tägliche Morgenarbeit noch zu erledigen. Betten machen – wie oft mußte Annemarie lächelnd daran denken, als sie dieses Kunststück zum erstenmal in Tübingen in ihrer Studentenbude so kunstgerecht zustande gebracht hatte, daß die Freundinnen lachend ihr Bett mit seinen Hügelchen und Schluchten »die Schwäbische Alb« genannt hatten. Jetzt hätte Freundin Ilse, bei der sie damals in die Lehre gegangen, mal sehen müssen, wie sie die Betten aufschichtete und glättete. Das Rohrstöckchen, das ab und zu mal die Rückseite ihres Trios zu bearbeiten hatte, tat ihr dabei gute Dienste. Nur hatte Hansi, der wilde Strick, eine besondere Vorliebe dafür, wenn Mutti eben mit Hochgefühl ihr tadelloses Kunstwerk betrachtete, sich mit einem Satz mitten hinein zu werfen, in die weiße, schöngeglättete Fläche: »Bautz – da lieg iß!« Daß Klein-Ursel sofort hinterher sprang, war selbstverständlich. So war das Bettenmachen täglich eine Quelle von Kinderjauchzen und Kindertränen. Denn sanft pflegte Annemarie die Übermütigen nicht gerade herauszubefördern. Und das konnte ihr auch keiner verdenken.
Beim Abseifen des Waschtisches kam es ebenfalls zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Frau Annemarie und ihren Sprösslingen. Natürlich wollten alle drei helfen. Das Panschen war die Hauptsache dabei. Ursel war durchaus nicht wählerisch. Der Mundspüleimer schien ihr am verlockendsten, um sich Gesicht und Händchen darin zu baden.
»Ursel – du kleines Ferkel!« – – – Entsetzt riß Annemarie ihr Nesthäkchen von dem unappetitlichen Bad.
»Perkel!« Klein-Ursel strahlte, daß es ein neues Wort gelernt hatte, und Annemarie – biß sich auf die Lippen.
Hansi setzte sich inzwischen das wichtigste Utensil der Kinderstube, das Mutter soeben ausgeseift, auf den blonden Krauskopf und sang dazu: »Mein Hut, der hat dei Ecken!« was geometrisch nicht stimmte. Annemarie wurde erst aufmerksam, als ihr Nesthäkchen bewundernd in die Händchen klatschte: »Pöpfchen – Hansi Pöpfchen.« Süß sah das Kerlchen aus, wie der Hermeskopf, den sie mal in der Schule gezeichnet. Und was tat Frau Annemarie, die würdige Mutter von drei Kindern? Sie stellte sich hin und lachte – lachte – – –, daß sie sich die Seiten halten mußte, daß ihr Tränen die Wangen entlangliefen, während das Trio jubelnd einfiel. Dann aber besann sich Annemarie ihrer mütterlichen Erziehungspflicht. Ehe Hansi es sich versah, ward er seiner eigenartigen Kopfbedeckung entkleidet, und er selbst befand sich zu seiner größten Verwunderung nicht mehr im Schlafzimmer, sondern vor der geschlossenen Tür desselben, in Gemeinschaft mit Klein-Ursel. Was konnten die beiden da draußen besseres tun, als die Tür, die durchaus nicht wieder aufgehen wollte, mit Fäusten und Füßchen zu bearbeiten?
»Vronli, geh raus zu den Kleinen, spielt zusammen im Garten«, wandte sich Annemarie an ihre Große.
»Och – immer soll ich bei den dämlichen Jören bleiben, und ich helfe dir doch so schön, Mutterli.« Vronlis Hilfe bestand darin, daß sie mit dem Handtuch den Fußboden aufwischte.
»Ja, dann wird wohl heute nichts mehr aus dem Kuchenbacken werden!« Das klang wirklich erschreckend ernsthaft.
»Rufste uns auch bestimmt, Mutti? Fängste auch nimmer ohne uns an?« Vronli vereinigte den Berliner Dialekt der Mutter mit dem süddeutschen ihres Vaters zu einem drolligen Gemisch. Sie ließ ihre nützliche Tätigkeit im Stich und trollte sich mit den kleinen Geschwistern in den Garten, wo sie sich damit vergnügten, die Hühner zu jagen.
Annemarie atmete auf. Die Arbeit ging jetzt ohne Hindernisse glatt von der Hand. Eigentlich war sie versucht, die Sandtorte und den Napfkuchen einzurühren, ehe ihre kleinen Ruhestörer ihr wieder auf die Bude rückten. Aber »ein Mann ein Wort« sagte bereits Hansi. Sie durfte die Kinder nicht enttäuschen, ohne ihr Vertrauen einzubüßen.
Nachdem noch das sechzehnjährige Dienstmädchen, das auf den stolzen Namen Flora hörte – das war aber auch wirklich das einzige, was sie mit der Blumengöttin gemeinsam hatte, denn sie schielte wie ein Bock –, nachdem Flora mit einem gehörigen Rüffel dabei ertappt worden war, statt den Parkettboden aufzubohnern, vor dem Spiegel eine neue Haarfrisur auszuprobieren, konnte »der Guss beginnen«.
Als Annemarie die Küche betrat, wurde sie von einem dreifachen Chor: »Wir sind schon da!« freudigst begrüßt. Hansi und Ursel thronten beängstigend brav auf dem Kohlenkasten, ihrem Lieblingssitz, während Vronli das schon bereitgelegte Nudelholz vorläufig mal als Wäschemangel benutzte und sämtliche Küchenhandtücher auf dem Fußboden damit bearbeitete.
»So, Kinder, jetzt dürft ihr mich gar nicht stören, jetzt muß ich meine Gedanken beisammen haben.« Annemarie machte ein wichtiges Gesicht und tat die Ärmelschürze, die einst in Mädchenjähren so geschmähte, vor.
»Niß tören« – die Kinder waren von der Heiligkeit des Augenblicks durchaus durchdrungen. Klein-Ursel legte sogar das Fingerchen aus den Mund.
»Also Eier, Butter – – –« begann Annemarie vor sich her zu beten.
»Eier, Butter, Tee – das hab' iß niß, das hab' iß niß – adßeh – adßeh – adßeh – – –« fiel Hansi aus der Rolle und in Muttis Überlegungen ein.
»Adßeh – adßeh – ßeiden tut feh.« – – – Nesthäkchen Ursel zeigte jetzt auch ihre Künste.
»Kinder, wenn ihr nicht mäuschenstill seid, werdet ihr an die Luft gesetzt«, lachte die Mutter, noch einmal ihr Kuchenrezept wiederholend. »Eier, Butter, Zucker, Mehl, Zitrone, was kommt denn noch in die Sandtorte hinein?«
»Sand«, half Hansi ein.
»Freilich,« Annemarie amüsierte sich köstlich, »der kommt zuletzt.«
»Is nu fätig, tönnen wir nu ausletten?« Viel Sitzfleisch hatte der wilde Hansi nicht. Das Auslecken der Schüssel war doch die Hauptsache.
»Noch