Kampf dem Karl,. Bernhard Giersche

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Kampf dem Karl, - Bernhard Giersche Krebstagebücher von Bernhard Giersche

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ging. Der wurde gleich hektisch und machte Ultraschall etc. Er vermutete eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die er im Ultraschall auffällig fand. Der Hausarzt ließ einen Rettungswagen kommen und mich ins katholische Krankenhaus nach Lippstadt bringen.

      Dort wartete ich dann auf meiner Liege etwa zwei Stunden, bis mich jemand in ein Behandlungszimmer schob und untersuchte. Wieder Ultraschall, diesmal aber ohne Befund. Der Oberarzt kam und auch er machte wieder einen Ultraschall, fand aber nichts auffälliges. Nach dem Röntgen des Bauches und einer Magenspiegelung legten sich die Ärzte dort fest: Es handle sich um eine Gastritis, eine Magenschleimhautentzündung. Nichts gefährliches, lästig, schmerzhaft aber nicht bedrohlich. Am vierten Tag wurde ich als geheilt entlassen, ich sollte für zwei Wochen Magentabletten nehmen.

      Mein Hausarzt tobte und konnte nicht verstehen, warum man mich mit Schmerzen und hohen Entzündungswerten entließ. Er benutzte wieder das Ultraschallgerät und fand in der Leber in beiden Lappen ungewöhnliche Strukturen. Er ordnete sofort ein CT des gesamten Bauchraumes an, sowie die Bestimmung der Tumormarker. Das sind Werte, die auf die Existenz eines Krebsgeschwüres hindeuten. Gisela und ich waren spätestens jetzt nervös geworden. Der Hausarzt sagte allerdings auf Nachfrage, dass die komischen Stellen auf der Leber wohl keine Geschwüre seien und ich keinen Grund zur Sorge hätte.

      Am nächsten Tag bereits waren die Ergebnisse da: Die zwei Stellen, die er auf der Leber hat erkennen können, waren im CT eindeutig zu sehen. Große, runde Anomalien. Und es waren nicht zwei davon, sondern zwölf. Dann die Tumormarker, Drastisch erhöht. Der Arzt sagte, dass er noch nie derart hohe Werte gesehen habe. Kurzum....er sagte mir, dass das alles eine eindeutige Sprache spricht und er nicht umhin käme mir zu sagen, dass das alles sehr ernst sei. „Herr Giersche, Sie sind ein sehr kranker Mann (...)!“

      Ich stieg wie ferngesteuert ins Auto, die Einweisung ins evangelische Krankenhaus und die Arztbriefe dabei. Solche Dinge kennt man sonst nur aus Büchern. Oder schlechten Filmen.

      Der erste Gedanke auf dem Weg nach Hause war, dass ich kaum Bargeld und nicht genug Zigaretten habe.Völlig bescheuert...aber ich bin erst zum Geldautomaten und danach zur Tankstelle gefahren um Zigaretten zu kaufen. Zuhause wartete Gisela auf mich und auf Nachricht über meine Gesundheit. Da habe ich das erste Mal gedacht: ich habe Krebs. Das ist hier kein Spaß oder Irrtum. Ich habe Krebs. Leberkrebs. Ich weiß noch, dass ich ganz laut „Scheiße“ gebrüllt habe, alleine im Auto. Ich parkte vor dem Haus. Gisela saß auf der Terrasse. Sie sah es mir sofort an. Ich war jetzt in meinem Soldatenmodus, wie ich es nenne. So eine Art emotionaler Schutzbunker. Ich berichtete alles, was es zu berichten gab und Gisela begriff die Tragweite dessen, was ich da erzählte sehr schnell. Wir beschlossen, unsere nächsten Verwandten zu informieren. Das geschah telefonisch. Meine Brüder, meine zwei „Exfrauen“, meine großen Kinder. Wie verrückt das klang...“Ich habe Krebs“.

      Gisela informierte ihre Kinder und beste Freundinnen. Dann ging es wie ferngesteuert ans Tasche packen für das Krankenhaus. Die Papiere, die ich mitführte waren eindeutig und man nahm mich sofort stationär auf. Der zuständige Oberarzt konnte die Tumore in der Leber per Ultraschall gut erkennen. Der größte der Zwölf hatte einen Durchmesser von vier Zentimetern. Noch glaubten wir, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte. Inzwischen hatten wir eine Whatsapp Gruppe gegründet mit dem bezeichnenden Titel: „Bernie-Karzinom“. In der Gruppe waren alle Leute Mitglied, die Informationen bekommen sollten. Es gibt sie noch heute, nur habe ich sie umbenannt: „Cancerfuck“ heißt sie seit gestern.

      Ich hatte bereits mein Dreibettzimmer bezogen, als ich zum Abend hin noch einmal von einem Arzt nach draußen zum Gespräch gebeten wurde. Er teilte mir unumwunden mit, dass man die CD mit den Aufnahmen aus dem CT ausgewertet habe. Der Haupttumor, das Mutterkarzinom also lag in der Pankreas, der Bauchspeicheldrüse. Die Tumore in der Leber waren Metastasen. Ich blickte den Arzt nur an und fragte ihm, ob ihm klar sei, dass das für mich das Todesurteil bedeutet. Er sah seine Schuhe an, als er nur nickte.

      Ich habe mich früher immer gefragt wie sich so etwas wohl anfühlt. Wie sich ein zum Tode verurteilter Mensch fühlen möge. Ich fühlte selber gar nicht so viel, tue es bis heute nicht. Keine Angst. Keine Angst vor dem Tod und keine Angst vor dem Sterben. Ich weiß um die Prognosen und ich kann Statistiken lesen. Wissen kann man das alles, begreifen allerdings nicht. Die Bürde, es meinen Kindern sagen zu müssen, meiner Mutter und den Menschen die mich lieben und schätzen wiegt schwerer als der drohende Tod. Soviel Traurigkeit und Leid wegen mir.

      Ich selbst bin mit mir etwa im Reinen, bin gefestigt und im Gleichgewicht. Meine Lebensbilanz kann sich sehen lassen, denke ich. Aber was ich mit dieser Diagnose anderen zufüge ist ungeheuerlich. Es bricht mir das Herz, ich schäme mich und könnte schreien. Für mich selbst ist es okay....und schon deswegen werde ich ringen und kämpfen und nicht aufgeben, bis die verdammte Pumpe aufhört zu schlagen. Soweit für heute. Morgen schreibe ich über Hoffnung und Glauben. Und über Methadon..…

      5. Juli 2017

      Und wieder ein Tag weniger auf der Liste. Heute vor drei Wochen habe ich die Diagnose empfangen. Von Hoffen und Bangen, ich liege hier in meinem Krankenhausbett und warte darauf, abgeholt zu werden. Rechts und links neben mir liegen zwei sehr alte Männer. Der eine ist schwer dementiell verändert und der andere hat nie eine gute Schule genossen. Ich weiß nicht wer nervtötender ist, die hochbetagten Greise oder deren Ehefrauen, die täglich zu Besuch kommen und alle Klischees über keifende und ultrakonservative Omas bedienen. Ich war/bin Altenpfleger und hatte tagaus tagein mit solchen Menschen zu tun. Das scheint im Moment denkbar weit weg. Mein Altruismus scheint weitgehend erloschen zu sein, denn ich verspüre keinerlei Helferimpuls mehr, wenn die beiden wieder einmal an die Grenzen ihrer Ressourcen kommen. Früher hätte ich mich umfassend darum gekümmert, das ist mir abhanden gekommen.

      Wenn ich meinen Körper nach Schmerzquellen scanne spüre ich das Stechen im rechten Oberbauch deutlich. Ich bekomme zwar Morphium und habe ein Fentanylpflaster kleben, schlucke Tillidin und Pregabalin und dennoch ragt der Schmerz unter dem rechten Rippenbogen wie eine Turmspitze aus dem Nebel der anderen Schmerzen und Gefühlen heraus. Das ist „Karl“. „Karl, das Karzinom“. So haben Gisela und ich meinen inneren Mitesser getauft. Der sitzt da auf der Pankreas und lümmelt sich in der Leber. Gestern gab es noch einmal ein Ganzkörper-MRT um Karls Zweigstellen zu finden. Pankreaskrebs streut gerne in die Milz, die Nieren und in die Knochen. In der Leber ist er ja schon mächtig vertreten. Mal sehen, ob es damit genug ist oder ob Karl noch weitere Filialen betreibt. Als käme es darauf noch an….

      Halt, so will ich nicht denken. Denn es gibt Hoffnung. Durch einen Krebsfall in der Familie, Wochen vor der eigenen Diagnose habe ich durch Zufall bei der Recherche einen Bericht entdeckt, der sich mit dem Mittel Methadon befasste. Methadon ist eigentlich ein Opioid, das eine starke schmerzstillende Wirkung hat. Bekannt ist es, weil es als Ersatzdroge für Heroin eingesetzt wird. Methadon hat die Eigenschaft, die Krebszellen anfälliger für die Chemotherapie zu machen. Es erhöht offenbar den Wirkungsgrad der Chemotherapie. Leider ist das noch nicht durch korrekte wissenschaftliche, klinische Studien bewiesen und deswegen sträuben sich noch viele Mediziner es im Rahmen einer Chemotherapie einzusetzen.

      Es gibt fundierte Berichte über Krebspatienten, die nahezu völlig vom Krebs befreit wurden, obwohl sie nach medizinischem Ermessen keine Überlebenschance hatten. So wie ich mit meiner Diagnose keine Chance auf Genesung habe. Doch das Methadon verändert die Situation. Es ist wie ein Silberstreif am Horizont für Gisela und mich und unsere Kinder. Hoffnung ist eine starke Macht. Wo es Hoffnung gibt, widersetzt man sich dem Tod. Wo Hoffnung besteht, und sei sie noch so gering, ist man kein hoffnungsloser Fall, ist man nicht zwingend verloren. Ein wenig ist das wie Lotto spielen. Gibst du keinen Schein ab, brauchst du nicht auf den Hauptgewinn zu hoffen. Indem du deine Kreuze auf dem Zettel machst, wächst diese Pflanze „Hoffnung“, denn rein theoretisch kannst du gewinnen. Und täglich gewinnen Menschen im Lotto. Also… machen Gisela und ich unsere Kreuze auf dem Methadonzettel.

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