Nesthäkchen und ihre Puppen. Else Ury
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Читать онлайн книгу Nesthäkchen und ihre Puppen - Else Ury страница 4
Aber sie hatte keine Zeit mehr, Fridas Antwort abzuwarten, denn Puck mußte doch erfahren, daß sie zehn Schokoladeneier, vier aus Marzipan, eins mit Puppentässchen, und dazu noch das süße Kükennest gefunden hatte. War der arme Wicht doch schon den ganzen Morgen aus dem Zimmer gesperrt worden, damit er nicht auf eigene Faust Ostereier suchen sollte und sie am Ende gar belecken.
»Puckchen, sieh mal, was ich hier habe.« Lachend kauerte Annemarie sich zur Erde und wies dem Hündchen ihre süßen Schätze. Aber Nesthäkchens Lachen wandelte sich plötzlich in Weinen, denn der undankbare Puck begnügte sich nicht mit Anschauen – schnapp – hatte er das größte Schokoladenei im Maul und verkroch sich damit unters Sofa.
»Du abscheulicher Puck!« Annemie raste weinend hinter ihm her, um ihm seinen Raub wieder abzujagen.
Aber Bruder Hans, der den kühnen Diebstahl mitangesehen und sich die Seiten vor Lachen hielt, zog sie an einem Wadenstrümpfchen wieder unter dem Sofa hervor.
»Laß der Hundetöle das Osterei, Annemie, du kannst es ja jetzt doch nicht mehr essen«, tröstete er.
Doch als Nesthäkchens Tränen weiterflossen, holte der gute Hans eins von seinen eigenen Ostereiern und legte es in Schwesterchens Korb.
Nun war endlich wieder Sonnenschein bei Klein-Annemarie. Spornstreichs ging es in die Kinderstube, um den Puppen ihre Ostereier zu zeigen. Die fraßen ihr sicher nichts weg.
Da klingelte es.
Mutti hatte streng verboten, daß Annemie selbständig die Eingangstür öffnete, weil viele Patienten zum Vater kamen. Aber da das kleine Fräulein recht neugierig war, spähte es durch den Türschlitz, durch den die Briefe geworfen wurden. Da sah es denn einen dunkelgrünen Damenmantel und eine Hand mit einem silbergrauen Täschchen, das ihr merkwürdig bekannt vorkam. Und da die Hand überdies ein verheißungsvolles Paket hielt, fragte Nesthäkchen ganz leise durch die Tür:
»Wer ist da?«
»Der Osterhase«, klang es ebenso leise mit verstellter Stimme zurück.
»Frida – schnell – Frida, der Osterhase ist draußen!« Die Kleine konnte es nicht erwarten, bis die Tür geöffnet wurde.
Da stand zwar nicht der Osterhase, aber eine, die Annemie ebenso lieb war – Großmama.
»Guten Tag, mein Herzchen, warum läßt du denn den Osterhasen nicht rein?« Zärtlich hob Großmama das federleichte Dingelchen zu sich empor.
»Weil Mutti es nicht erlaubt, und du ja auch gar keiner bist«, lachte das Enkelchen.
»So – wenn ich kein Osterhase bin, dann kann ich dir wohl auch kein Osterei bringen?« Großmama versteckte scherzend das Paket auf dem Rücken.
»Ach, du bist meine liebste, beste Osterhasen-Großmama, aber nun zeige mir auch, bitte, bitte, was in dem Paket drin ist.« Annemie unterstützte ihre Bitten mit Streicheln und Küssen auf Großmamas grünem Mantel.
Aber dessen hätte es gar nicht einmal bedurft, denn wer in Nesthäkchens bettelnde Blauaugen sah, konnte nicht widerstehen, wenn er auch keine Großmama war.
Dauerte das lange, bis das dumme Papier endlich ab war. Ein großer Karton kam zum Vorschein. Halb ängstlich, halb erwartungsvoll hob Nesthäkchen den Deckel.
»Eine Puppe – eine Osterhasenpuppe, ach, ist die süß!« Annemie nahm die große Puppe, die ein weißes Osterhasenkäppchen mit rosaseidenen Ohren trug, glückstrahlend aus der Schachtel und gab ihr einen zärtlichen Willkommenskuss.
»Ich glaube, du freust dich gar nicht mit deinem neuen Töchterchen, du hast am Ende schon zu viel Kinder!« neckte Großmama, als sie Annemies Mutterglück sah.
»Ach, Großmuttchen, ich danke dir tausendmal,« jetzt endlich fand Nesthäkchen auch Zeit, an Großmama zum Dank emporzuangeln, »das ist mein aller-, allerschönstes Osterei!« Glückselig streichelte sie die roten Bäckchen, die blonden Löckchen und das weiße Stickereikleid mit der rosa Schärpe.
»Mutti, du hast ein neues Enkelchen bekommen.« Mit der einen Hand zog Annemarie Großmama ins Zimmer, mit der anderen streckte sie der Mutter das neugeborene Kind entgegen. Mutti wußte nicht, wen von beiden sie zuerst begrüßen sollte.
»Wie wird denn mein neues Urenkelchen heißen?« fragte Großmama.
»Nenne es doch Gertrud, nach Großmama«, schlug Mutti vor.
»Ach nee, Gertrud heißen doch nur alte Damen!« wandte Nesthäkchen ein.
»So nenne es Gerda!« Mutti wußte doch immer einen Ausweg.
Und dabei blieb es. Gerda wanderte auf Annemaries Arm in die Kinderstube und wurde Fräulein und sämtlichen Schwestern und Brüdern vorgestellt. In der Nacht aber durfte sie bei ihrer neuen Mama im weißen Kinderbett schlafen, da diese sich keine Minute von der Kleinen trennen wollte.
Baby war abgesetzt – und Gerda war von nun an Annemies Nesthäkchen.
3. Kapitel
Wie es Puppe Gerda bei Nesthäkchen gefiel
Als Gerda, das Puppenkind, am nächsten Morgen ihre Schlafaugen aufschlug, schlief ihre neue kleine Mama noch. Neugierig sah Gerda sich ihr Mütterchen näher an. Mit roten Bäckchen lag es auf dem stickereibesetzten Kissen und lachte im Schlaf. Gewiß träumte es von dem neuen Kinde. Die hübsche kleine Mama gefiel dem Puppenkinde sehr, sicher würde sie es gut bei ihr haben. Gerda nahm sich vor, immer brav zu sein und Annemie nie zu ärgern. Dann aber faltete sie ihre Zelluloidhände und flüsterte: »Lieber Gott, ich danke dir, daß du mich zu einem so guten Mütterchen gebracht hast!«
Klein-Annemarie schlief noch immer, und Puppe Gerda begann sich allmählich zu langweilen.
Surr – surr – da summte eine Fliege über dem Kinderbett und setzte sich der Puppe gerade auf die Nase.
»Surr – surr – wie kommen Sie denn hierher, Fräulein?« begann die Fliege die Unterhaltung. »Ich wohne doch schon schrecklich lange, zwei ganze Tage, in der Kinderstube, aber Sie habe ich hier noch nicht erblickt.«
»Ich bin erst gestern hier eingezogen«, antwortete die Puppe schüchtern und schielte herzklopfend auf ihre Nase. Denn sie hatte in ihrem Leben noch niemals eine Fliege gesehen.
»Surr – surr – wo haben Sie denn früher gewohnt?« erkundigte sich die Fliege.
»In einer großen Pappschachtel, aber da war es lange nicht so hübsch wie hier. Stockdunkel war es darin, und die Luft war auch nicht besonders«, erzählte Puppe Gerda ein wenig zutraulicher. Und da sie sah, daß die Fliege es gut mit ihr meinte, setzte sie noch hinzu: »Ich habe es doch fein getroffen, daß ich hierher gekommen bin, nicht?«
»Sum – sum«, sagte die Fliege mal zur Abwechslung, legte eins der dünnen Vorderbeinchen an die Stirn und dachte nach. »Ja, es sind recht anständige Leute, sie geizen nicht mit Zuckerkrümelchen und hängen an die Kronen keine heimtückischen Leimbänder, an