Anmerkungen zum Kreationismus. Pier Revyu
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Das Erfolgsrezept „moderner“ Kreationisten besteht darin, sich mit fachlichen Inhalten detailliert auseinanderzusetzen, dabei die eigene fundamentalistische Denkweise nach Möglichkeit zu verschleiern und auf diese Weise auch außerhalb der sogenannten bildungsfernen Schichten auf Ausbreitung zu hoffen. Zusätzlich bietet jede solchermaßen erneuerte Strategie ihnen die Chance, dass die Vorgabe der „Gould-Doktrin“ verlassen wird und es doch wieder zu einer Diskussion um konkrekte fachliche Inhalte kommt, also zu einem direkten Disput zwischen Wissenschaftlern und Schöpfungsbefürwortern, wodurch der Anschein entsteht, Kreationismus wäre so etwas wie eine diskutierenswerte Alternative zur biologischen Evolutionstheorie oder zu wissenschaftlich etablierten Kosmogenese-Modellen. Mit diesem Anschein einer Debatte „auf Augenhöhe“ ist schon ein großer Teilerfolg erzielt, der dann rein situativ weiter ausgebaut werden kann.
Dass sich letzteres oft gar nicht vermeiden lässt, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass „die“ Evolutionstheorie aus mehreren Teiltheorien zusammensetzt ist und hinsichtlich zahlreicher Einzelprobleme noch sehr offen diskutiert wird. An dem Hervorgehen allen Lebens aus frühen, Protozellen-artigen Einheiten und einer über Jahrmillionen erfolgten evolutiven Umwandlung innerhalb verschiedener Haupt-Abstammungslinien besteht nach dem heutigen Stand des Wissens aber kein Zweifel, während der genaue Verlauf und die dabei anzunehmenden Einzelmechanismen unter Fachleuten immer wieder kontrovers diskutiert werden. Einzelne Aspekte dieser fachlich völlig gerechtfertigten Debatten herauszugreifen und als widersprüchlich für die Annahme einer Evolution insgesamt herauszustellen ist sozusagen ein Standardverfahren kreationistischer Pseudokritik: Die Komplexität der Evolutionstheorie (und ihrer zentralen Themenbereiche, nämlich die Wandlungsfähigkeit des Körperbaues und des Verhaltens von Organismen) wird auf diese Weise für den simpelsten denkbaren Totalangriff genutzt. Sobald unredliche (oder schlicht auf fachlicher Inkompetenz beruhende) Manöver dieser Art aber argumentativ aufgedeckt werden, bietet das Thema Evolution genügend Möglichkeiten, sogleich auf Nebenschauplätze auszuweichen. Auf diese Weise werden Wissenschaftler von jenen zahlreichen Sachverhalten, die die Annahme eines natürlichen Evolutionsprozesses als sehr gut bestätigt ausweisen, abgelenkt und planvoll „auf die andere Seite des Spielfeldes“ hinüber gelotst, nämlich in den Bereich der offenen Forschungsfragen – sie geraten dadurch in eine Position, die besonders Laien gegenüber als andauernde Defensivhaltung verkauft werden kann. Der angestrebte Eindruck nach außen soll folglich zunächst einmal der sein, dass die Evolutionstheorie ganz enorme Erklärungsdefizite hinsichtlich aller möglichen Fragen aufweist (und deren Gültigkeit deshalb insgesamt angezweifelt werden darf – ein angesichts der Faktenlage unzulässiger Gedankensprung, der aber einem fachlich nicht vorgebildeten Publikum leicht suggeriert werden kann). Ist das betreffende Zerrbild etabliert, kann im zweiten Schritt darauf hingearbeitet werden, dass der Rückgriff auf eine „einzig wahre“ Offenbarungsschrift eine Lösung bietet, die von den Fachwissenschaftlern jedoch aus reiner Arroganz (bzw. aus der Verblendung des Unglaubens heraus) nicht akzeptiert wird.
Wie bereits festgestellt wurde, muss zum Erreichen dieser kreationistischen Minimalziele die Debatte mit allen Mitteln am Laufen gehalten werden,6 um dann der Gegenseite bei etwaigen Unklarheiten eine Verworrenheit vorzuwerfen, die wesentlich erst durch die eigenen (inhaltlichen und „kognitiven“) Ausweichmanöver erzeugt wird. Praktischerweise bleibt bei diesem Verfahren die Verworrenheit und Dunkelheit der eigenen Thesen oft gänzlich verdeckt: kaum ein Kreationist kommt z.B. in die Verlegenheit, die Anfänge der Schöpfung so detailliert schildern zu müssen, wie er von der Gegenseite Details zur Entstehung der ersten Lebensformen, oder anderweitige Einzelheiten evolutiver Abläufe, zu hören verlangt. Die Extremform solcher Vermeidungsstrategien sind neuere Formen des Kreationismus, die sich auf „Intelligentes Design“ oder „Intelligente Signale“ eines planenden Weltenurhebers berufen und den fundamentalreligiösen Aspekt hinter einem angeblich objektiven – in Wirklichkeit aber wissenschaftlich unsinnigen – Denkansatz verschleiern (vgl. auch Kapitel 12). Ein vorrangiges politisches Ziel dieser Gruppierungen besteht darin, Scheinforschung unter der Prämisse von Intelligent Design (= ID) als angeblich weltanschaulich neutrales Erkenntnisstreben „universitätstauglich“ zu machen.
3 – Politische Unterstützung sogenannter wissenschaftlicher Schöpfungsforschung
Hat man sich die o.g. allgemeine Strategie „moderner“ Kreationisten klar gemacht – also besonders solchen, die sich in den offenen biologischen Forschungsfragen gut auskennen oder gar selbst ein biowissenschaftliches Studium absolviert haben, s. u. – so stellt sich abermals die Frage, ob bzw. unter welchen Umständen man ihnen argumentativ entgegentreten sollte. Dies führt unweigerlich auf die beiden im Einleitungskapitel genannten Hauptmotive zurück. Wie hoch das Gefahrenpotential eines religiösen Fanatismus auch im „aufgeklärten“ Europa sein kann, war schon vor mehr als zehn Jahren zu bemerken, als nämlich 2006 der stellvertretende Bildungsminister Polens die Evolutionstheorie als eine »Lüge« bezeichnete (Kraus 2009, S.139) und im Oktober 2007 aufgrund ähnlicher Tendenzen die parlamentarische Versammlung des Europarates eine mit The Dangers of Creationism in Education überschriebene Resolution abgab (ebd., S.141). In Absatz 2 dieser Resolution heißt es:
»For some people the Creation, as a matter of religious belief, gives a meaning to life. Nevertheless, the Parliamentary Assembly is worried about the possible ill-effects of the spread of creationist ideas within our education systems and about the consequences for our democracies. If we are not careful, creationism could become a threat to human rights, which are a key concern of the Council of Europe.«
Der Titel der Resolution verweist auf gewisse „Erfolge“ des Kreationismus im Bildungswesen, was anhand von Einzelfällen an Schulen und auch Universitäten weiter ausgeführt werden könnte. Dies braucht hier nicht zu geschehen; es reicht die Feststellung, dass religiös indoktrinierte Politiker wie der oben zitierte stellvertretende polnische Bildungsminister reelle Möglichkeiten besäßen, kreationistisches Gedankengut auf den Lehrplan zu setzen – etwa nach der aus diesen Kreisen immer wieder auftauchenden Formel, Evolutionstheorie und Schöpfungsvorstellungen sollten im Schulunterricht „gleich