Vom höchsten Gut und vom größten Übel. Cicero
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§ 18. Allein wenn Epikur, mein Torquatus, die Dialektik verachtet, die doch allein die Fähigkeit gewährt, den Inhalt einer Sache zu durchschauen, zu beurtheilen, was sie ist, und vernünftig und gerade aus etwas zu erörtern, so überstürzt er sich, wie mir scheint, in seiner Rede und unterscheidet nicht kunstgemäss, was er vortragen will, wie der eben besprochene Fall ergiebt. Das höchste Gut nennt Ihr Lust; Ihr habt also zu erklären, was die Lust ist, ohnedem kann das Gesuchte nicht entwickelt werden. Hätte Epikur dies gethan, so würde er nicht so schwanken, sondern entweder die Lust festhalten wie Aristipp, d.h. die Lust, wo die Sinne sanft und angenehm erregt werden, und die auch das Vieh, wenn es sprechen könnte, Lust nennen würde, oder wenn er durchaus seine eigene Sprache reden wollte und nicht die, welche
»Alle Danaer und Mycener und die Attische Jugend«
und die übrigen Griechen, die in diesem Verse genannt werden, reden, so hätte er diese Schmerzlosigkeit allein Lust nennen und die des Aristipp zurückweisen sollen. Hätte er aber beide Zustände gebilligt, wie er wirklich thut, so hätte er die Schmerzlosigkeit mit der Lust verknüpfen und zwei Endziele aufstellen sollen.
§ 19. Denn viele grosse Philosophen haben diese beiden höchsten Güter verbunden; so verknüpft Aristoteles die Uebung der Tugend mit dem Glück eines vollkommenen Lebens; auch Kallipho fügt zur Sittlichkeit die Lust, während Diodor zu derselben Sittlichkeit die Schmerzlosigkeit hinzufügt. Dasselbe würde Epikur gethan haben, wenn er die gegenwärtige Ansicht des Hieronymus milder ältern des Aristipp verbunden hätte. Diese Beiden stimmen nämlich nicht überein und stellen deshalb besondere Ziele; aber da Beide vortrefflich Griechisch sprechen, so setzt Aristipp, welcher die Lust für das höchste Gut erklärt, diese Lust nicht in die Schmerzlosigkeit, und Hieronymus, welcher die Schmerzlosigkeit für das höchste Gut erklärt, braucht dafür niemals das Wort Lust und rechnet die Lust nicht einmal zu den begehrenswerthen Dingen.
Kapitel VII.
§ 20. Denn es giebt nicht blos, wie Du meinst, zwei Worte, sondern auch zweierlei Zustände; der eine ist die Schmerzlosigkeit, der andere die Lust. Aus diesen verschiedenen Dingen wollt Ihr nun nicht blos einen Namen machen, was ich mir eher gefallen lassen würde, sondern auch einen Zustand, was durchaus unmöglich ist. Epikur, der beide Zustände billigt, musste sie als zwei behandeln, wie er es auch in der Sache thut, doch ohne sie in den Worten zu trennen. Denn da, wo er jenen Zustand an vielen Stellen lobt, den wir Alle mit Lust bezeichnen, wagt er zu sagen, dass es ihm nicht einfalle, irgend ein Gut getrennt von jener Lust des Aristipp anzunehmen, und er sagt dies da, wo seine ganze Rede nur von dem höchsten Gute handelt. Ja, in einem anderen Buche, in dem er durch kurzgefasste und bedeutungsvolle Aussprüche gleichsam Orakel der Weisheit, wie man sagt, von sich gegeben hat, schreibt er wörtlich, wie Dir, Torquatus, sicherlich bekannt sein wird, da wohl Jeder von Euch die »Hauptsätze des Epikur«, d.h. die am meisten gebilligten, gelernt hat, indem sie die wichtigsten bündigen Aussprüche über das glückliche Leben sein sollen, das Folgende, und gieb Acht, ob ich den Ausspruch richtig wiedergebe:
§ 21. »Wenn die Dinge, welche den verweichlichten und schwelgerischen Menschen Lust gewähren, sie auch in der Furcht vor den Göttern, vor dem Tode und von den Schmerzen befreien und ihnen die Grenze der Begierden lehren könnten, so könnte man solche Menschen nicht tadeln, denn sie wären aller Lust voll und empfänden von keiner Seite Schmerz oder Sorge, d.h. kein Uebel.« – Hier konnte Triarius sich nicht länger halten und rief: Ist es möglich, Torquatus, dass Epikur dies gesagt hat? Triarius schien mir zwar dies schon zu wissen, aber er wollte es doch von Torquatus zugestanden hören. Allein Torquatus erschrak darüber nicht, sondern sagte dreist: Allerdings sind dies des Epikur eigene Worte, allein Ihr verstellt nicht, was er damit meint. – Wenn er anders denkt, als spricht, sagte ich, so würde ich nie verstehn, was er will; allein er spricht so deutlich, dass ich es wohl verstehe, und wenn er daher sagt, dass die Schwelger nicht zu tadeln seien, wenn sie weise wären, so spricht er ebenso widersinnig, als wenn er sagte, die Vatermörder seien nicht zu tadeln, sofern sie nicht unmässig seien und sofern sie die Götter und den Tod und die Schmerzen nicht fürchten. Und wie gehört es hierher, den Schwelgern eine Ausrede zu bieten oder sich Menschen zu erdenken, die schwelgerisch leben, aber von dem bedeutendsten Philosophen unter dem Beding nicht getadelt werden, dass sie nur sonst seine Regeln innehalten?
§ 22. Müsstest Du, mein Epikur, nicht vielmehr diese Schwelger deshalb tadeln, dass sie in dieser Weise ihr Leben nur mit Verfolgung aller Arten von Lust verbringen, wenn doch, wie Du sagst, die Schmerzlosigkeit schon die höchste Lust ist? Nun kann man aber Schwelger finden, welche zuerst so wenig gewissenhaft sind, dass sie selbst aus einer Opferschale essen würden, und die ferner den Tod so wenig fürchten, dass sie jene Worte aus der »Hymnis« im Munde führen:
»Sechs Monate sind mir genug des Lebens,
den siebenten weihe ich dem Orcus.«
Ferner werden sie jene Epikureischen Arzneien gleichsam aus der Apothekerbüchse hervorholen: »Ist der Schmerz gross, so ist er kurz, und ist er lang, so wird er leicht.« Nur das Eine verstehe ich nicht, wie es möglich ist, dass ein Schwelger Maass in seinen Begierden halten könne.
Kapitel VIII.
§ 23. Was soll es also bedeuten, wenn Epikur sagt: »Ich wüsste nicht, was ich an ihnen tadeln sollte, sobald sie in ihren Begierden sich mässigen.« Das heisst doch so viel als: Ich will die Unmässigen nicht tadeln, wenn sie nicht unmässig sind. Auf diese Weise könnte er auch die Schlechten nicht tadeln, sobald sie nur gute Menschen sind. Dieser strenge Mann hält also die Schwelgerei an sich nicht für tadelnswerth, und er hat wahrhaftig Recht, mein Torquatus, wenn die Lust das höchste Gut ist. Denn ich mag mir die Schwelger nicht so vorstellen, wie Ihr es zu thun pflegt; nicht als Leute, die auf den Tisch speien, die von den Gastmahlen weggetragen werden müssen und, noch krank, des andern Tages sich wieder vollsaufen; die, wie man sagt, die Sonne weder jemals auf- noch untergehen gesehen haben, und die darben, nachdem sie ihr Vermögen verprasst haben. Von dieser Art Schwelger nimmt Keiner von uns an, dass sie angenehm leben. Aber jene Feinen und Zierlichen, mit den besten Köchen und Bäckern, mit ihrem Fisch- und Vogelfang und ihrer Jagd, Alles in der ausgesuchtesten Art, welche die Ueberladung vermeiden, denen, wie Lucilius sagt, »Wein aus goldnen Schalen fliesst«:
»Dem nichts entzogen der Heber oder die Hand,
Und dem der Seiher die Herbigkeit wegnahm«;
welche die Spiele und alle jene Dinge benutzen, bei deren Mangel Epikur klagt, kein weiteres Gut zu kennen; sie sollen auch schöne Knaben haben, welche sie bedienen, und alledem soll die Kleidung, das Silbergeräthe, die korinthischen Gefässe, der Ort selbst und das Haus entsprechen; von diesen Schwelgern möchte ich nie anerkennen, dass sie gut und glücklich leben.
§ 24. Daraus folgt, nicht dass die Lust keine Lust sei, sondern dass die Lust nicht das höchste Gut ist. Auch jener Lälius, der als Jüngling den Stoiker Diogenes und später den Panätius gehört hatte, ist nicht deshalb ein Weiser genannt