Der scharlachrote Buchstabe. Nathaniel Hawthorne

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Der scharlachrote Buchstabe - Nathaniel Hawthorne

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oder andern ungläubigen Sektierer aus der Stadt peitschen oder einen faulen indianischen Landstreicher, den das Feuerwasser des weißen Mannes zur Verübung von Straßenunfug getrieben, mit Striemen in den Schatten des Waldes hinausjagen wollte. Es konnte sogar sein, daß eine Hexe, wie die alte Frau Hibbins, die bösartige Witwe einer Magistratsperson, am Galgen sterben sollte. In jedem dieser Fälle wäre ziemlich die gleiche Feierlichkeit auf den Gesichtern der Zuschauer zu bemerken gewesen, wie solches einem Volke ziemte, bei welchem Religion und Gesetz fast identisch und in dessen Charakter beide so vollkommen verschmolzen waren, daß die mildesten Handlungen der öffentlichen Disziplin ihm ebenso ehrwürdig und schauerlich erschienen wie die strengsten. Die Teilnahme, welche eine Gesetzesübertretung von solchen um die Schandbühne versammelten Zuschauern erwarten konnte, war in der Tat nur gering und kalt. Andererseits konnte eine Strafe, mit welcher in unserer Zeit unausbleiblich ein hoher Grad von spöttischer Infamie und Lächerlichkeit verbunden sein würde, damals von einer fast ebenso strengen Würde wie die Todesstrafe selbst begleitet sein.

      Es war an dem Sommermorgen, wo unsere Geschichte beginnt, ein bemerkenswerter Umstand, daß die Frauen, von denen sich mehrere unter der Menge befanden, ein besonderes Interesse an der Bestrafung, welche hier bevorstand, zu nehmen schienen. Die Zeit besaß noch nicht so viel Gefühlsverfeinerung, daß eine Empfindung des Unpassenden die Trägerinnen von Röcken und Miedern abgehalten hätte, auf die öffentlichen Straßen hinauszutreten und ihre nicht unsubstantiellen Personen, wenn Anlass dazu vorhanden, bei einer Exekution in die dem Schafott nächsten Reihen der Zuschauer hineinzuzwängen.

      Jene Frauen und Jungfrauen von altenglischer Geburt und Erziehung waren moralisch wie physisch aus gröberen Fasern gemacht als ihre schönen, durch eine Reihe von sechs bis sieben Generationen von ihnen getrennten Nachkommen. Denn in dieser Kette der Geschlechtsfolge hat jede Mutter ihrem Kinde eine schwächere Blüte, eine bleichere, kürzer dauernde Schönheit und eine zartere physische Konstitution, wo nicht einen Charakter von geringerer Kraft und Solidität wie ihren eigenen, vermacht. Die Frauen, welche jetzt um die Gefängnistür standen, waren weniger als ein halbes Jahrhundert von der Zeit entfernt, wo die männliche Elisabeth die nicht ganz unpassende Vertreterin ihres Geschlechts gewesen war. Sie waren ihre Landsmänninnen, und das Rindfleisch und das Bier ihrer Heimat waren zusammen mit einer um keinen Deut feineren moralischen Diät zu gutem Teil in ihre Zusammensetzung eingegangen. Die helle Morgensonne schien daher auf breite Schultern und volle Busen und runde, tiefrote Wangen, die auf der fernen Insel zur Reife gediehen und in der Atmosphäre von Neuengland kaum erst bleicher oder schmäler geworden waren. Überdies war jenen Matronen, was die meisten von ihnen zu sein schienen, eine Dreistigkeit und Geradheit der Rede eigen, welche uns sowohl in Bezug auf ihre Fassung wie auf das Volumen ihres Tones in Schrecken setzen würde.

      »Hört, Weiber!« rief eine Fünfzigjährige mit harten Zügen, »ich will euch etwas sagen. Es würde sehr zum öffentlichen Wohle gereichen, wenn wir Weiber, die wir von reifem Alter und in gutem Rufe stehende Gemeindemitglieder sind, mit der Bestrafung von Missetäterinnen wie dieser Esther Prynne beauftragt würden. Was meint ihr, Gevatterinnen? Würde die schlimme Dirne, wenn sie vor uns fünfen, die wir hier beisammen stehen, zur Aburteilung gelangte, mit einem Spruch, wie ihn die würdigen Richter gefällt haben, davonkommen? Meiner Treu, ich glaub es nicht.«

      »Die Leute sagen«, sprach eine andere, »daß Ehrwürden Pfarrer Dimmesdale, ihr frommer Pastor, sich es schwer zu Herzen nähme, daß seine Gemeinde von einem solchen Skandal betroffen worden ist.«

      »Die Richter sind gottesfürchtige Herren, aber viel zu gnädig – das ist die Wahrheit«, stimmte eine dritte herbstliche Matrone bei. »Sie hätten allerwenigstens Esther Prynne mit einem glühenden Eisen auf der Stirn brennen sollen. Madam Esther würde dabei schön das Gesicht verzogen haben, darauf könnt ihr euch verlassen. Aber sie, das freche Ding, wird sich wenig daraus machen, was man ihr auf ihr Mieder setzt! Sie kann es ja mit einer Brosche oder irgend so einem heidnischen Zierat bedecken und ebenso munter wie sonst auf der Straße umherlaufen.«

      »Ja, aber«, sprach sanfter eine junge Frau, die ein Kind an der Hand hielt, »sie mag das Zeichen bedecken, wie sie will, der Schmerz wird ihr doch immer im Herzen bleiben.«

      »Was reden wir da von Zeichen und Brandmarkungen auf ihrem Mieder oder am Fleische ihrer Stirn!« rief ein anderes Frauenzimmer, die häßlichste und zugleich die unbarmherzigste unter diesen selbst eingesetzten Richterinnen. »Das Weib hat über uns alle Schande gebracht und sollte von Rechts wegen sterben. Ist kein Gesetz dafür da? Wahrhaftig, es gibt deren, in der Schrift sowohl wie im Gesetzbuch. Die Richter, die sie wirkungslos gemacht haben, mögen es sich dann selbst danken, wenn ihre eigenen Weiber und Töchter auf Abwege geraten.«

      »Gott sei uns gnädig, Gevatterin!« rief ein Mann aus der Menge; »gibt es denn bei den Weibern keine Tugend, außer jener, die einer heilsamen Furcht vor dem Galgen entspringt? Das ist das härteste Wort, was noch gesprochen worden ist. Jetzt still, Basen, der Schlüssel dreht sich in der Gefängnistür und hier kommt Frau Prynne selbst.«

      Die Tür des Gefängnisses wurde von innen aufgerissen, es zeigte sich zuerst, gleich einem schwarzen, in den Sonnenschein hinaustretenden Schatten, die Schreckensgestalt des Stadtbüttels, Degen an der Seite und Amtsstab in der Hand. Diese Person verkündete und stellte in ihrer Erscheinung die ganze düstere Strenge des puritanischen Gesetzkodex dar, welchen in seiner letzten und den Übertreter zunächst berührenden Anwendung zur Ausübung zu bringen sein Amt war. Er streckte den Amtsstab in seiner linken Hand aus und legte seine rechte auf die Schulter einer jungen Frau, die er so vorwärts zog, bis sie ihn auf der Schwelle der Gefängnistür mit einer Gebärde voll natürlicher Würde und Charakterstärke zurückstieß und wie aus eigenem Antriebe in die freie Luft hinaustrat. Auf ihren Armen trug sie ein Kind, einen etwa drei Monate alten Säugling, der blinzelnd sein kleines Gesicht von dem zu hellen Lichte des Tages abwandte, weil ihn seine Existenz bisher nur mit dem grauen Zwielicht eines Kerkers oder andern düstern Gemaches im Gefängnis bekannt gemacht hatte.

      Als die junge Frau, die Mutter dieses Kindes, der versammelten Menge vollkommen sichtbar wurde, schien es ihr erster Impuls zu sein, das Kind dicht an ihren Busen zu schließen, nicht sowohl von mütterlicher Zärtlichkeit getrieben, als um dadurch ein gewisses Zeichen zu verbergen, das in ihr Gewand gewirkt oder daran befestigt war. Im nächsten Augenblick schloß sie jedoch, daß ein Zeichen der Schande nur schlecht dazu dienen würde, ein anderes zu verbergen, nahm das Kind auf ihren Arm und schaute mit brennendem Erröten und doch stolzem Lächeln und einem Blick, der sich nicht einschüchtern lassen wollte, auf ihre Mitbürger und Nachbarn ringsum. Mitten auf dem Brustteile ihres Gewandes zeigte sich, von feinem rotem Tuch geschnitten und mit prächtig gestickten phantastischen Schnörkeln von Goldfäden umgeben, der Buchstabe A, der Anfangsbuchstabe von Adulteress = Ehebrecherin. Er war so kunstvoll und mit so fruchtbarer üppiger Phantasie eingestickt, daß das Ganze wie ein passender letzter Zierat des Gewandes aussah, welches sie trug, und das von dem Geschmack der Zeit entsprechender, aber weit über das von den Aufwandsgesetzen der Kolonie Erlaubte hinausgehender Pracht war.

      Die junge Frau war hochgewachsen und besaß eine Gestalt von vollkommener Eleganz im großen Maßstab. Sie hatte dunkles, üppiges Haar von solchem Glanze, daß es den Sonnenschein schimmernd zurückwarf, und ein Gesicht, das, nicht bloß durch regelmäßige Züge und warme Farbe schön, auch noch den eindrucksvollen Charakter besaß, welchen eine wohlgeformte Stirn und tiefschwarze Augen verleihen. Überdies sah sie vornehm aus, wie man bei den Frauen jener Zeit die Vornehmheit verstand, das heißt, sie besaß mehr eine gewisse Stattlichkeit und Würde als die zarte, vergängliche und unbeschreibliche Grazie, welche heutzutage als ihre Zeichen gelten. Und nie hatte Esther Prynne vornehmer in diesem alten Sinne des Ausdrucks ausgesehen, als da sie aus dem Gefängnisse trat. Die sie früher gekannt und erwartet hatten, daß ihre Schönheit durch die Wolke des Unglücks getrübt und verdunkelt werden würde, waren erstaunt, ja entsetzt, als sie bemerkten, wie diese hervorleuchtete und das Unglück und die Schmach, worin sie gehüllt war, wie eine Glorie um sie erstrahlen ließ. Zwar lag darin für einen empfindenden Beobachter etwas ausgesucht Schmerzliches. Ihre Kleidung,

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