Über Land un See. Wolfgang Bendick
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Wir gingen vor zum Hafen. „Eigentlich kennen wir jetzt den See, wir sind ihn ja gestern abgefahren. Von mir aus brauchen wir nicht mehr zu segeln!“, meinte Doris. Doch ich hatte mich schon darauf eingestellt und wollte auch, dass sie mal das Erlebnis des Segelns hat, denn das ist etwas völlig anderes, als mit Motor zu fahren! „Ich hab aber schon bezahlt!“, sagte ich, obwohl es nicht stimmte, „die werden kaum das Geld wieder rausrücken. Komm!“ Ich wusste aus Erfahrung, dass man ihr mit der ökonomischen Saite kommen musste, um sie zu etwas zu bewegen. Das Boot, eine ‚Caravelle‘ lag schon am Steg, jemand zog gerade das Segel hoch. „Gut, aber nur für eine Stunde. Dann bringst du mich zurück an Land. Keine Minute mehr!“ Nachdem auch die kleine Fock gesetzt war, die mit dem Segel zusammen ungeduldig im Wind flatterte, stieg zuerst sie, dann, als sie saß, ich in das schaukelnde Boot. Und schon blies uns der Wind hinaus auf den See.
Tat das gut, wieder unter Segeln zu sein! Meine Gedanken schweiften weit in die Vergangenheit zurück. Mit 11 Jahren war ich das letzte Mal gesegelt, auf meiner morschen, mit Teer abgedichteten ‚Pamir‘, ein schweres, träges Holzboot, getakelt mit einem ausrangierten Paddelbootsegel, viel zu klein dafür. Doch es fuhr, wenn auch etwas quer, aber es fuhr! Seitdem ich das Boot hatte, lebte ich mehr auf dem Wasser als im Haus. Ich hatte ein kleines Zelt darauf genagelt, worin ich meine Hausaufgaben machte und ‚Robinson Crusoe‘ las, Jack London, Herman Melville und die Romane der Entdecker der Pole. Ich band es manchmal unter den überhängenden Weiden fest und war in Amazonien oder auf dem Fluss Kongo. Mochten die anderen Boote aus Mahagoniholz sein und glänzen, meines war das schönste! Damals waren noch alle Boote aus Holz. Das Neueste waren Sperrholzboote, wie der FD, oder ‚Flying Dutchman‘, wohl ein holländisches Boot, die durch ihren in gekreuzten Schichten verleimten Rumpf Spanten fast überflüssig machten. Dadurch wurden sie auch leichter und billiger. Die Segler sprachen von den neuen Glasfaserbooten, leicht, solide, selber mit wenig Aufwand herzustellen. Ich kannte Glasfenster und dachte, dass diese Boote bestimmt durchsichtig wären und ziemlich zerbrechlich. Wurden sie wo dranfahren, lösten sie sich wie eine Autoscheibe in tausend Stückchen auf. Da war mir mein Boot schon lieber!
Mit meinen Erinnerungen kamen auch die Handgriffe und das Gefühl zurück, um das Boot zu lenken, den optimalen Winkel zum Wind zu finden, es richtig laufen lassen! Ein kleines grünes Kajütboot segelte auf dem See, sogar mit Steuerrad, besetzt mit drei älteren Leuten. Ich fuhr nahe hin, winkte ihnen zu, und ließ sie bald zurückfallen. Ich merkte am Flattern der Fock, dass der Holpunkt nicht stimmte und zog die Vorschoten unter der vorderen Bank durch, um ihn zu verbessern. Diese Fock gehörte nicht zu diesem Boot, das merkte ich bald. Ich versuchte mich im Halsen und erklärte Doris den Unterschied zu einer Wende. Der Wind war optimal, die Zeit verging wie im Flug. Ich hatte keine Uhr. Ich wartete, dass Doris sagen würde, dass die Stunde um sei. Wir kreuzten über den See, mal den Wind im Rücken, mal von vorn. Doris machte es sich, einmal die ersten Emotionen wegen der anfangs ungewohnten Schräglage hinter sich, bequem und überließ mir den Rest.
Auf ihrer Armbanduhr erkannte ich heimlich, dass drei Stunden bald abgelaufen wären. Ich löste mich aus dem Bann des Wassers und des Windes uns steuerte wieder den Ponton an. Da es zwischen Ufer und Steg ziemlich eng war und der Wind heftig zum Land hin blies, hatten wir zu viel Fahrt, um anzulegen. Von meiner Seefahrtszeit her wusste ich noch, dass man gegen den Strom oder gegen den Wind anlegen muss, je nachdem, wer stärker ist. Die an Land kamen angerannt, um das Boot aufzufangen. Aber ich beschrieb im engen Wasser einen Kreis, um ihm die Fahrt zu nehmen, dann noch einen halben und ließ das fast stehende Boot mit flatternden Segeln seitlich zum Ponton driften, wo es helfende Hände in Empfang nahmen. Wir stiegen aus. „Ich wusste gar nicht, dass du segeln kannst!“, meinte Doris. „Das wusste ich auch nicht!“, erwiderte ich neckend. „Das ist wie Fahrrad fahren. Wenn du es einmal kannst, fragst du dich nicht mehr, wie das geht. Das geht von selbst!“
Abends saßen wir überm Ufer in der Pizzeria und genossen den letzten freien Tag. Die Sonne verzauberte mit ihren fast waagerechten Strahlen den See in eine Märchenlandschaft, ließ Himmel und Wasser in allen Schattierungen von Orange, Rot und violett leuchten. Es war, als würde die Natur alles aufbieten, um uns diesen Tag unvergesslich zu machen. Der See hatte uns in seinem Zauberbann. Würde er andauern?
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Da es, trotz des festen Versprechens eines Reeders in Hamburg nicht geklappt hatte, wieder auf einem Frachter anzuheuern, und da der Ruf des Wassers nach unserem Segeltörn immer stärker wurde, kaufte ich in der Bretagne einen 17-Fuß (1 Fuß sind rund 30 cm) -Jollenkreuzer, den die Enkel „Blauwal“ tauften, um damit auf dem See von Montbel einen Ersatz für das Meer zu finden. Doch der Ruf aus der Ferne war stärker - trotz der hochtrabenden Namen wie ‚Bora Bora‘ oder ‚Cap Hoorn‘, die man den markanten Stellen des Sees gegeben hatte - der „Blauwal“ wollte das Meer sehen, und ich auch. So keimte in mir plötzlich die Idee, mit dem Boot einen Großteil der deutschen Seen abzuschippern und zugleich Freunde und ehemalige Fahrensleute zu besuchen. Denn, einmal in Rente, hatte ich endlich Zeit gefunden, ein Buch über meine Lehrjahre bei der Handelsmarine zu schreiben. Ein Verleger brachte das Buch heraus. Prompt fanden dadurch ein paar frühere Fahrens-Kollegen meine Adresse und wir nahmen zueinander Kontakt auf.
DIE REISE DES BLAUWALS
Schluchsee
Bodensee
Alpsee
Niedersonthofener See
Rottachsee
Forggensee
Chiemsee
Havel
Achterwasser
Elbe
Hamburg Hafen
Steinhuder Meer
Halterner See
SCHLUCHSEE
SCHLUCHSEE
Es war wieder Herbst. Der See von Montbel war zu einer Pfütze geschrumpft und machte es den wenigen aktiven Seglern, vor allem denen mit Steckschwertern schwer, eine Fahrrinne zu finden. Ein Kumpel aus dem Segelclub, der von meinem Plan, mit dem ‚Trailer-Boot‘ durch Deutschland zu reisen wusste, wollte mitfahren und dabei seine Großeltern in Dänemark besuchen. Beim Segeln auf unbekannten Gewässern, allein schon beim Mast aufstellen, ist es besser, zu zweit zu sein. In den Wochen zuvor schmiedeten wir Pläne. Der Tag der Abreise kam, das Boot war auf dem Hänger. Natürlich glänzte der Kumpel am Abfahrtstermin durch Abwesenheit. Würde man im Leben seine Taten immer von jemand anderem abhängig machen, käme man nicht weit. Also brachen mein Blauwal und ich alleine auf.
Über die Reise gibt es nicht viel zu sagen, zu oft schon war ich diese Strecke gefahren. Nur, dass die meisten Tankstellen, vor allem die der Supermärkte nicht für Bootsgespanne gebaut sind.
Nach 14 Stunden Fahrt und ein paar Stunden unruhigen Schlafes auf einem Parkstreifen neben der Autobahn in Deutschland, fuhr ich weiter in den Schwarzwald. Mein erstes Ziel war der Schluchsee, fünf Quadratkilometer klein, ein dunkles Wasser, mitten in den nach Tannen duftenden Bergen gelegen. Laut Internet bestand am dortigen Campingplatz eine Möglichkeit, das Boot zu Wasser zu lassen. Vielleicht ein Schlauchboot,