Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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ich habe manchmal nicht zehn Kopeken in meinem Besitz und weiß jetzt nicht, wie ich die Equipierung meines Boris bezahlen soll.« Sie nahm das Taschentuch heraus und fing an zu weinen. »Ich brauche fünfhundert Rubel und besitze gerade noch einen einzigen Fünfundzwanzigrubelschein. Ich bin in einer solchen Lage, daß ... Meine einzige Hoffnung beruht jetzt auf dem Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow. Wenn der sich nicht geneigt zeigt, sein Patenkind zu unterstützen (er ist ja der Taufpate meines Boris) und ihm eine Summe zu seinem Unterhalt auszusetzen, so sind alle meine bisherigen Bemühungen zwecklos gewesen: ich habe kein Geld, um ihn zu equipieren.«

      Der Gräfin traten vor Mitgefühl die Tränen in die Augen; sie schwieg, in Überlegungen versunken.

      »Ich denke oft«, fuhr die Fürstin fort, »es ist ja vielleicht Sünde, aber ich denke oft: da lebt nun Graf Kirill Wladimirowitsch Besuchow ganz einsam und allein ... so ein riesiges Vermögen ... und wozu lebt er? Ihm ist das Leben nur noch eine Last, Boris dagegen fängt eben erst an zu leben.«

      »Er wird deinem Boris gewiß etwas hinterlassen«, sagte die Gräfin.

      »Gott weiß, ob er das tut, liebe Freundin! Diese reichen, hohen Herren sind so entsetzlich egoistisch. Aber ich will doch gleich jetzt mit Boris zu ihm fahren und ihm offen sagen, wie es steht. Mögen die Leute von mir denken, was sie wollen; mir ist das wirklich ganz gleichgültig, wenn das Schicksal meines Sohnes davon abhängt.« Die Fürstin erhob sich. »Jetzt ist es zwei Uhr, und um vier beginnt bei euch das Diner. Da habe ich noch Zeit hinzufahren.«

      Und als praktische Petersburgerin, die die Zeit auszunutzen weiß, ließ Anna Michailowna ihren Sohn rufen und ging mit ihm ins Vorzimmer.

      »Adieu, mein Herz!« sagte sie zu der Gräfin, die ihr bis zur Tür das Geleit gab. »Wünsche mir guten Erfolg«, fügte sie, mit Rücksicht auf den Sohn, flüsternd hinzu.

      »Sie wollen zum Grafen Kirill Wladimirowitsch, meine Teuerste?« fragte der Graf vom Speisesaal aus und kam ebenfalls ins Vorzimmer. »Wenn es ihm besser geht, so laden Sie doch Pierre zum Diner bei uns ein. Er hat ja früher in unserm Haus verkehrt und mit den Kindern getanzt. Vergessen Sie ja nicht, ihn dringend einzuladen, meine Teuerste. Na, nun wollen wir mal sehen, ob unser Koch Taras uns heute Ehre macht. Er sagt ja, daß es nicht einmal beim Grafen Orlow jemals ein solches Diner gegeben hat, wie unseres heute sein wird.«

      XV

      »Lieber Boris«, sagte die Fürstin Anna Michailowna zu ihrem Sohn, als die Equipage der Gräfin Rostowa, in der sie saßen, auf der mit Stroh belegten Straße hinfuhr und nun in den weiten Hof des Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow einbog. »Lieber Boris«, sagte die Mutter, indem sie ihre Hand unter der alten Saloppe hervornahm und sie mit einer schüchternen, freundlichen Bewegung auf die Hand des Sohnes legte, »sei recht freundlich und liebenswürdig. Graf Kirill Wladimirowitsch ist doch dein Pate und von ihm hängt dein künftiges Schicksal ab. Vergiß das nicht, lieber Sohn, und sei recht liebenswürdig, wie du es ja zu sein verstehst.«

      »Wenn ich wüßte, daß dabei etwas anderes für uns herauskommt als Demütigungen ...«, antwortete der Sohn kalt. »Aber ich habe es Ihnen versprochen und werde es Ihnen zu Gefallen tun.«

      Mutter und Sohn traten, ohne sich anmelden zu lassen, geradewegs in die durch hohe Glasfenster erhellte, rechts und links durch je eine Reihe von Statuen in Nischen flankierte Vorhalle; aber der Portier musterte die beiden, und obwohl sie in einer feinen Equipage gekommen waren, die nun vor dem Portal hielt, so fragte er doch nach einem bedeutsamen Blick auf die alte Saloppe, zu wem sie zu gehen wünschten, ob zu den Prinzessinnen oder zu dem Grafen; und als er hörte, daß sie zu dem Grafen wollten, erwiderte er, das Befinden Seiner Erlaucht sei heute schlechter und Seine Erlaucht nähmen niemand an.

      »Dann wollen wir doch wieder zurückfahren«, sagte der Sohn auf französisch.

      »Lieber Sohn«, erwiderte die Mutter in flehendem Ton und berührte wieder die Hand des Sohnes, als ob diese Berührung ihn beruhigen oder anregen könnte.

      Boris entgegnete nichts und blickte, ohne den Mantel abzulegen, seine Mutter fragend an.

      »Lieber Freund«, sagte Anna Michailowna mit außerordentlich sanfter Stimme zu dem Portier, »ich weiß, daß Graf Kirill Wladimirowitsch sehr krank ist ... eben deswegen bin ich gekommen ... ich bin eine Verwandte von ihm ... Wenn es ihm so schlecht geht, werde ich ihn nicht belästigen ... Dann möchte ich nur den Fürsten Wasili Sergejewitsch sprechen; der logiert ja hier. Bitte, melde uns bei ihm an.«

      Der Portier zog mürrisch die nach dem oberen Stockwerk hinaufgehende Schnur und wendete sich von den beiden Besuchern ab.

      »Die Fürstin Drubezkaja zu dem Fürsten Wasili Sergejewitsch«, rief er dem Diener in Frack, Schuhen und Kniehosen zu, der von oben heruntergelaufen kam und von dem Treppenabsatz aus herunterblickte.

      Die Mutter legte die Falten ihres aufgefärbten Seidenkleides zurecht, betrachtete sich in dem venezianischen, aus einer einzigen großen Scheibe bestehenden Wandspiegel und stieg tapfer in ihren schiefgetretenen Schuhen die mit einem Teppich belegte Treppe hinan.

      »Lieber Sohn, du hast mir versprochen ...«, wandte sie sich wieder an ihren Sohn und suchte ihn wieder durch eine Berührung seiner Hand zu einem ihren Wünschen entsprechenden Verhalten zu bewegen. Boris ging mit niedergeschlagenen Augen ruhig hinter ihr her.

      Sie traten in einen Saal, aus welchem eine Tür in die dem Fürsten Wasili angewiesenen Gemächer führen sollte.

      Mutter und Sohn gingen bis in die Mitte des Saales und wollten gerade einen alten Diener, der bei ihrem Eintritt aufgesprungen war, fragen, wohin sie sich zu wenden hätten, da drehte sich an einer der Türen der Bronzegriff, und Fürst Wasili, in einem mit Samt bezogenen Pelz, mit nur einem Ordensstern, also im Hausanzug, erschien in der Tür und begleitete einen schönen Herrn mit schwarzem Haar hinaus. Dieser Herr war der berühmte Petersburger Arzt Dr. Lorrain.

      »Es ist also sicher?« fragte der Fürst.

      »Errare humanum est, Fürst; aber ...«, antwortete der Arzt; er schnarrte dabei das r und sprach die lateinischen Worte mit französischer Aussprache.

      »Gut, gut!«

      Als Fürst Wasili die Fürstin Anna Michailowna und ihren Sohn bemerkte, trennte er sich mit einer Verbeugung von dem Arzt und trat schweigend, aber mit fragender Miene, auf sie zu. Der Sohn bemerkte, wie die Augen seiner Mutter auf einmal einen Ausdruck tiefen Grames annahmen, und lächelte leise.

      »Ja, unter was für traurigen Umständen müssen wir uns wiedersehen, Fürst ... Nun, wie geht es unserm teuren Kranken?« fragte sie, als ob sie den beleidigend kalten Blick, mit dem der Fürst sie ansah, nicht bemerkte.

      In dem fragenden Blick, welchen Fürst Wasili auf die Mutter und dann auf den Sohn richtete, lag sein höchstes Erstaunen über die Anwesenheit der beiden hier. Boris verbeugte sich höflich. Ohne die Verbeugung zu erwidern, wandte sich Fürst Wasili zu Anna Michailowna und antwortete auf ihre Frage durch eine Bewegung des Kopfes und der Lippen, welche zu verstehen gab, daß für den Kranken nicht mehr viel zu hoffen sei.

      »Also wirklich?« rief Anna Michailowna. »Ach, das ist ja schrecklich! Ein furchtbarer Gedanke ...! Dies ist mein Sohn«, fügte sie, auf Boris weisend, hinzu. »Er wollte Ihnen persönlich seinen Dank sagen.« Boris verbeugte sich nochmals höflich.

      »Seien Sie überzeugt, Fürst, daß mein Mutterherz nie vergessen wird, was Sie für uns getan haben.«

      »Ich freue mich, daß

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