Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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Erzählung war sehr hübsch und interessant; besonders bei der Stelle, wo die beiden Rivalen einander plötzlich erkannten, schienen auch die Damen in Aufregung zu sein.

      »Reizend!« sagte Anna Pawlowna und blickte dabei die kleine Fürstin fragend an.

      »Reizend!« flüsterte die kleine Fürstin und steckte ihre Nadel in ihre Handarbeit hinein, wie um damit anzudeuten, daß ihr lebhaftes Interesse für die reizende Erzählung sie daran hindere weiterzuarbeiten.

      Der Vicomte wußte dieses stillschweigende Lob zu schätzen, lächelte dankbar und sprach dann weiter. Aber in diesem Augenblick bemerkte Anna Pawlowna, die die ganze Zeit über ab und zu einen Blick nach dem ihr so unangenehmen jungen Menschen hingeworfen hatte, daß er zu laut und hitzig mit dem Abbé sprach, und eilte, um Hilfe zu bringen, nach dem gefährdeten Punkt. Pierre hatte es wirklich zustande gebracht, mit dem Abbé ein Gespräch über das politische Gleichgewicht anzuknüpfen, und der Abbé, dessen Interesse der junge Mann durch seinen treuherzigen Eifer erregt zu haben schien, entwickelte ihm seine Lieblingsidee. Beide benahmen sich beim Reden und Hören gar zu lebhaft und ungezwungen, und eben dies hatte nicht Anna Pawlownas Beifall.

      »Das Mittel dazu ist das europäische Gleichgewicht und das Völkerrecht«, sagte der Abbé. »Es braucht nur ein mächtiges Reich, zum Beispiel das als barbarisch verschriene Rußland, in uneigennütziger Weise an die Spitze eines Staatenbundes zu treten, der sich das Gleichgewicht Europas zum Ziel gesetzt hat, und dieses Reich wird der Retter der Welt sein.«

      »Aber wie wollen Sie denn ein solches Gleichgewicht zustande bringen?« begann Pierre; jedoch in diesem Augenblick trat Anna Pawlowna heran, und mit einem strengen Blick auf Pierre fragte sie den Italiener, wie ihm das hiesige Klima bekomme. Das Gesicht des Italieners veränderte sich mit einem Schlag und nahm den geradezu beleidigend heuchlerischen, süßlichen Ausdruck an, der ihm anscheinend im Gespräch mit Frauen zur Gewohnheit geworden war.

      »Ich bin von dem glänzenden Verstand und der hohen Bildung der Gesellschaft, in die ich das Glück gehabt habe, aufgenommen zu werden, namentlich auch der weiblichen Gesellschaft, dermaßen bezaubert, daß ich noch keine Zeit gehabt habe, an das Klima zu denken«, erwiderte er. Anna Pawlowna ließ jedoch den Abbé und Pierre nicht mehr los, sondern nahm sie zwecks bequemerer Beaufsichtigung mit in den allgemeinen Kreis.

      IV

      In diesem Augenblick trat eine neue Person in den Salon. Diese neue Person war der junge Fürst Andrei Bolkonski, der Gatte der kleinen Fürstin. Fürst Bolkonski war ein sehr hübscher junger Mann, von kleiner Statur, mit kantigem magerem Gesicht. Alles an seiner Figur, von dem müden, gelangweilten Blick bis zu dem ruhigen, gemessenen Gang, bildete den entschiedensten Gegensatz zu seiner kleinen, lebhaften Frau. Er schien alle im Salon Anwesenden nicht nur zu kennen, sondern ihrer auch so überdrüssig zu sein, daß es ihm höchst widerwärtig war, sie auch nur zu sehen und reden zu hören. Unter allen Gesichtern aber, die ihn so langweilten, war ihm das Gesicht seiner hübschen Frau anscheinend am meisten zuwider. Mit einer Grimasse, die sein hübsches Gesicht entstellte, wandte er sich von ihr ab. Er küßte der Wirtin die Hand und musterte mit halb zugekniffenen Augen die ganze Gesellschaft.

      »Sie machen sich fertig, um in den Krieg zu ziehen, Fürst?« fragte Anna Pawlowna.

      »General Kutusow hat mich zu seinem Adjutanten bestimmt«, antwortete Bolkonski; er legte, als ob er Franzose wäre, den Ton auf die letzte Silbe »sow«.

      »Und Lisa, Ihre Frau?«

      »Sie geht aufs Land.«

      »Aber machen Sie sich denn gar kein Gewissen daraus, uns Ihrer reizenden Gattin zu berauben?«

      »Andrei«, sagte seine Frau, indem sie zu ihrem Mann in demselben koketten Ton sprach, dessen sie sich auch Fremden gegenüber bediente, »was für eine reizende Geschichte uns da eben der Vicomte von Mademoiselle Georges und Bonaparte erzählt hat!«

      Fürst Andrei drückte die Augen zu und wandte sich ab. Pierre, der, seit Fürst Andrei in den Salon getreten war, ihn unverwandt mit frohen, freundlichen Blicken angesehen hatte, trat zu ihm heran und ergriff ihn an der Hand. Fürst Andrei verzog, ohne sich umzusehen, sein Gesicht zu einer Grimasse, welche seinen Ärger darüber zum Ausdruck brachte, daß da jemand seine Hand berührte; aber sobald er Pierres lächelndes Gesicht erblickte, breitete sich über sein eigenes Gesicht ein gutmütiges, freundliches Lächeln, wie man es ihm gar nicht zugetraut hätte.

      »Nun sieh mal an! Auch du in der vornehmen Welt?« sagte er zu Pierre.

      »Ich wußte, daß Sie hier sein würden«, antwortete Pierre. »Ich werde zum Abendessen zu Ihnen kommen«, fügte er leise hinzu, um den Vicomte nicht zu stören, der in seinen Erzählungen fortfuhr. »Ist es gestattet?«

      »Nein, es ist nicht gestattet«, antwortete Fürst An drei lachend und gab jenem durch einen Händedruck zu verstehen, daß er danach doch nicht erst zu fragen brauche. Er wollte noch etwas sagen; aber in diesem Augenblick erhob sich Fürst Wasili nebst seiner Tochter, und die Herren standen auf, um ihnen Platz zu machen.

      »Entschuldigen Sie mich, mein lieber Vicomte«, sagte Fürst Wasili zu dem Franzosen, den er gleichzeitig freundlich am Ärmel auf den Stuhl niederzog, damit er nicht aufstände. »Dieses unselige Fest bei dem Gesandten beraubt mich eines großen Vergnügens und schafft Ihnen eine unangenehme Unterbrechung. – Es ist mir äußerst schmerzlich, Ihre entzückende Soiree verlassen zu müssen«, sagte er dann zu Anna Pawlowna.

      Seine Tochter, Prinzessin Helene, ging, den Rock ihres Kleides ein wenig zusammenraffend, zwischen den Stühlen hindurch, und das Lächeln erstrahlte noch heller auf ihrem schönen Gesicht. Mit ganz entzückten Augen, ja beinahe erschrocken, sah Pierre das schöne Mädchen an, als es an ihm vorbeiging.

      »Sehr schön«, sagte Fürst Andrei.

      »Ja, sehr schön«, antwortete Pierre.

      Als Fürst Wasili an Pierre vorbeikam, ergriff er dessen Hand und wandte sich an Anna Pawlowna:

      »Machen Sie mir diesen Bären zu einem gebildeten Menschen«, sagte er. »Da wohnt er nun schon einen Monat lang bei mir, und heute sehe ich ihn zum erstenmal in Gesellschaft. Nichts ist einem jungen Mann so nötig als der Umgang mit klugen Frauen.«

      Anna Pawlowna lächelte und versprach, sich mit Pierre alle Mühe geben zu wollen, der, wie sie wußte, väterlicherseits mit dem Fürsten Wasili verwandt war. Die bejahrte Dame, welche bisher bei der Tante gesessen hatte, stand eilig auf und holte den Fürsten Wasili im Vorzimmer ein. Der bisher erheuchelte Schein eines Interesses an den Vorgängen im Salon war vollständig von ihrem Gesicht verschwunden. Dieses gute, vergrämte Gesicht drückte jetzt nur Unruhe und Angst aus.

      »Nun, was können Sie mir wegen meines Boris sagen, Fürst?« fragte sie, sobald sie ihn im Vorzimmer eingeholt hatte. (Sie sprach den Namen Boris mit einem besonderen Akzent auf dem o.) »Ich kann nicht länger in Petersburg bleiben. Sagen Sie mir, welchen Bescheid darf ich meinem armen Jungen bringen?«

      Obgleich Fürst Wasili die ältliche Dame sichtlich nur ungern und beinahe unhöflich anhörte und sogar seine Ungeduld nicht verbarg, blickte sie ihn mit freundlichem, rührendem Lächeln an und faßte ihn bei der Hand, damit er nicht fortgehe.

      »Sie brauchen ja nur dem Kaiser ein Wort zu sagen, und mein Sohn wird ohne weiteres zur Garde versetzt«, bat sie.

      »Seien Sie überzeugt, Fürstin, daß ich alles tun werde, was ich kann«, erwiderte Fürst Wasili. »Aber es ist für mich nicht so leicht, dem Kaiser

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