Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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getan hast, dich als Original hinstellen und zeigen, daß du die Bauern nicht in kunstloser Weise, sondern nach einem bestimmten Systeme ausbeuten kannst.«

      »Nun, wenn du das glaubst, dann gib dich nicht weiter mit mir ab!« antwortete Konstantin; er fühlte, wie sein linker Backenmuskel unhemmbar zuckte.

      »Du hast nie Überzeugungen gehabt und hast auch jetzt keine; du willst nur deiner Eitelkeit frönen.«

      »Ausgezeichnet! Dann gib dich nicht weiter mit mir ab!«

      »Ich will mich auch nicht weiter mit dir abgeben! Dumm von mir, daß ich es so lange getan habe! Hol dich der Teufel! Es tut mir nur leid, daß ich überhaupt hergekommen bin!«

      Konstantin gab sich nachher die größte Mühe, seinen Bruder wieder zu beruhigen; aber Nikolai wollte nichts hören; er sagte, es wäre schon das beste, wenn er wieder wegführe, und Konstantin sah, daß seinem Bruder das Leben schon geradezu eine unerträgliche Pein war.

      Nikolai hatte bereits alles zur Abreise zurechtgemacht, als Konstantin noch einmal zu ihm trat und ihn in gezwungen klingendem Ton um Verzeihung bat, wenn er ihn irgendwie gekränkt habe.

      »Sieh mal, wie großmütig.« erwiderte Nikolai lächelnd. »Wenn du gern recht haben möchtest, so kann ich dir ja dieses Vergnügen machen. Also du hast recht; aber abreisen tue ich trotzdem!«

      Erst unmittelbar vor der Abreise küßte Nikolai seinen Bruder, sah ihn auf einmal mit seltsam ernstem Blicke an und sagte: »Trotz alledem, Konstantin, gedenke meiner nicht im bösen!« Seine Stimme zitterte.

      Das waren die einzigen Worte, die er in wirklich herzlichem Tone gesprochen hatte. Konstantin fühlte, daß er sich bei diesen Worten hinzudenken sollte: ›Du siehst und weißt, daß es mit mir schlecht steht; wir sehen uns vielleicht nicht wieder.‹ Konstantin verstand dies, und die Tränen stürzten ihm aus den Augen. Er küßte seinen Bruder noch einmal; aber er konnte nicht reden und wußte auch nicht, was er ihm hätte sagen sollen.

      Drei Tage nach der Abreise seines Bruders fuhr auch Konstantin Ljewin weg, ins Ausland. Auf der Eisenbahn traf er mit Kittys Vetter Schtscherbazki zusammen, und dieser war über Ljewins düsteres Wesen sehr erstaunt.

      »Was hast du denn?« fragte ihn Schtscherbazki.

      »Nichts; nichts Besonderes. Es gibt so wenig Vergnügliches auf der Welt.«

      »Aber wieso? Komm doch mit mir nach Paris, statt nach deinem Mülhausen zu fahren. Du sollst mal sehen, wie vergnüglich es da ist.«

      »Nein, damit habe ich schon abgeschlossen. Für mich ist es Zeit zu sterben.«

      »Na, so ein toller Gedanke!« rief Schtscherbazki lachend. »Ich will gerade erst anfangen, so recht zu leben.«

      »Ja, so habe ich vor kurzem auch noch gedacht; aber jetzt weiß ich, daß ich bald sterben werde.«

      Was Ljewin da sagte, war in der letzten Zeit seine aufrichtige Überzeugung geworden. Er sah in allem nur den Tod oder das Herannahen des Todes. Aber das Unternehmen, das er in die Wege geleitet hatte, interessierte und beschäftigte ihn nur um so mehr. Er mußte doch das Leben ausnutzen, ehe der Tod kam. Dunkelheit verhüllte ihm die ganze Zukunft; aber gerade infolge dieser Dunkelheit hatte er die Vorstellung, daß der einzige leitende Faden in dieser Dunkelheit sein Unternehmen sei, und mit letzter Kraft griff er nach diesem Faden und hielt ihn fest.

      1

      Karenins, Mann und Frau, fuhren fort, unter demselben Dache zu leben und trafen täglich miteinander zusammen; aber sie waren sich vollständig fremd geworden. Alexei Alexandrowitsch hatte es sich zur Regel gemacht, seine Frau täglich zu sehen, damit die Dienerschaft keinen Anlaß habe, sich irgendwelche Gedanken zu machen; aber er vermied es, das Mittagessen zu Hause einzunehmen. Wronski zeigte sich niemals in Alexei Alexandrowitschs Hause; aber Anna traf mit ihm außerhalb des Hauses zusammen, und ihr Mann wußte das.

      Diese Lage war für alle drei qualvoll, und keiner von ihnen wäre imstande gewesen, auch nur einen Tag lang in ihr auszuhalten, wenn nicht ein jeder darauf gerechnet hätte, daß diese Lage sich ändern werde, und sich gesagt hätte, daß es nur eine zeitweilige, leidvolle Prüfung sei, die vorübergehen werde. Alexei Alexandrowitsch wartete darauf, daß diese Leidenschaft vergehen werde, wie ja alles in der Welt vergehe, und daß dann bei allen Leuten diese Geschichte in Vergessenheit kommen und sein Name unbefleckt bleiben werde. Anna, durch die diese Lage herbeigeführt war und für die sie noch qualvoller war als für die beiden andern, ertrug sie, weil sie nicht nur hoffte, sondern fest davon überzeugt war, daß sich alles bald entwirren und klären werde. Sie wußte zwar ganz und gar nicht, wodurch diese Entwirrung und Klärung herbeigeführt werden sollte; aber sie war fest überzeugt, daß irgendein derartiges Ereignis in allernächster Zeit eintreten werde. Wronski, der sich ihren Anschauungen unwillkürlich anschloß, wartete gleichfalls auf irgendein von seinen eigenen Entschließungen unabhängiges Geschehnis, durch das alle Schwierigkeiten behoben werden sollten.

      Um die Mitte des Winters verlebte Wronski eine Woche in recht langweiliger Weise. Er war zu einem ausländischen Prinzen kommandiert worden, der sich besuchsweise in Petersburg aufhielt, und mußte diesem die Sehenswürdigkeiten der Residenz zeigen. Wronski war in seiner äußeren Erscheinung zu würdevollem Auftreten sehr geeignet; außerdem verstand er die Kunst, sich in würdiger Weise achtungsvoll zu benehmen, und war am den Verkehr mit solchen hohen Herren gewöhnt; daher eben hatte man ihn dem Prinzen beigegeben. Aber er empfand diese Obliegenheit als eine sehr unbequeme Last. Der Prinz wollte nichts weglassen, wonach man ihn zu Hause fragen könnte, ob er es auch in Rußland gesehen habe; und zweitens hegte er auch persönlich den Wunsch, die russischen Vergnügungen nach Möglichkeit durchzukosten. Wronskis Aufgabe war es, ihm in der einen wie in der andern Hinsicht als Führer zu dienen. Vormittags fuhren sie umher, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen; abends beteiligten sie sich an den echt russischen Vergnügungen. Der Prinz erfreute sich einer sehr guten Gesundheit, wie sie sogar bei Prinzen selten ist; durch Turnen und gute Körperpflege hatte er sich derart gekräftigt, daß er trotz des Übermaßes, mit dem er sich den Vergnügungen hingab, so frisch war wie eine große, grüne, glänzende holländische Gurke. Der Prinz war schon viel gereist und fand, daß einer der wichtigsten Gewinne aus der jetzigen Vervollkommnung der Verkehrsmittel darin bestehe, daß einem die Vergnügungen der verschiedenen Völker zugänglich geworden seien. Er war in Spanien gewesen, hatte dort Serenaden gebracht und war mit einer Spanierin, die Mandoline spielte, in nähere Beziehungen getreten. In der Schweiz hatte er eine Gemse geschossen. In England hatte er im roten Frack sein Pferd über Zäune setzen lassen und aus Anlaß einer Wette zweihundert Fasanen geschossen. In der Türkei war er in einem Harem gewesen, in Indien auf einem Elefanten geritten, und jetzt in Rußland wollte er alle echt russischen Vergnügungen genießen.

      Wronski, der bei ihm gewissermaßen das Amt eines Oberzeremonienmeisters versah, hatte die größte Mühe, all die russischen Vergnügungen, die dem Prinzen von verschiedenen Personen empfohlen waren, auf dem Programm unterzubringen. Da waren Spazierfahrten mit Trabern und russische Pfannkuchen und Bärenjagden und Fahrten mit dem Dreigespann und Zigeunerkonzerte und Trinkgelage, bei denen nach russischem Brauche die Gläser zerschlagen wurden. Und der Prinz machte sich mit bewundernswerter Leichtigkeit das russische Wesen zu eigen, zerschlug ganze Präsentierbretter voll Gläser, nahm eine Zigeunerin auf den Schoß und machte immer ein Gesicht, als ob er fragen wollte: ›Was nun noch weiter? Oder ist das alles, worin das russische Wesen besteht?‹

      In Wahrheit gefielen von allen russischen Vergnügungen dem Prinzen am meisten die französischen Schauspielerinnen, eine Ballettänzerin

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