Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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junges Mädchen war. Und dann war er auf einmal abgereist, ohne sich erklärt zu haben. ›Es ist nur recht gut, daß er so wenig Einnehmendes hat, daß Kitty sich nicht hat in ihn verlieben können‹, dachte die Mutter.

      Wronski hingegen entsprach durchaus allen Anforderungen der Mutter. Er war sehr reich, klug, angesehen, auf bestem Wege zu einer glänzenden militärisch-höfischen Laufbahn und eine bezaubernde Persönlichkeit. Etwas Besseres zu wünschen, war einfach unmöglich.

      Wronski machte auf den Bällen Kitty offenkundig den Hof, tanzte viel mit ihr und verkehrte im Hause; somit war an der Ernsthaftigkeit seiner Absichten nicht zu zweifeln. Aber trotzdem befand sich die Mutter diesen ganzen Winter über in arger Unruhe und Aufregung.

      Bei der eigenen Verheiratung der Fürstin vor dreißig und etlichen Jahren hatte eine Tante das Amt der Vermittlerin übernommen. Der Freier, über den man schon vorher alles Erforderliche in Erfahrung gebracht hatte, erschien im Hause, nahm das junge Mädchen in Augenschein, um das er sich bewerben wollte, und wurde seinerseits prüfend betrachtet; die vermittelnde Tante erhielt von einer jeden Partei Mitteilung über den empfangenen Eindruck und gab diese Mitteilung an die andere Partei weiter; der Eindruck war auf beiden Seiten gut; darauf wurde an einem festgesetzten Tage den Eltern der erwartete Antrag gemacht und von ihnen angenommen. Alles war sehr glatt und einfach vonstatten gegangen. Wenigstens schien es jetzt der Fürstin so. Aber bei ihren eigenen Töchtern mußte sie die Erfahrung machen, wie schwer und knifflig die anscheinend so einfache Aufgabe, die Töchter zu verheiraten, in Wirklichkeit sei. Schon bei der Verheiratung der beiden älteren Töchter, Darja und Natalja, wieviel Angst hatte sie dabei ausgestanden, wieviel sorgenvolle Gedanken in ihrem Kopfe umhergewälzt, wieviel Geld darangewendet, wieviel Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Manne durchgekämpft! Und jetzt, da die Jüngste in die Gesellschaft eintrat, wiederholten sich dieselben Befürchtungen, dieselben Zweifel, und die Streitigkeiten mit ihrem Manne gestalteten sich noch erheblich schärfer als die wegen der älteren Töchter. Der alte Fürst war, wie alle Väter, besonders peinlich in der Sorge für den reinen, ehrenhaften Ruf seiner Töchter; er war auf die Töchter in unvernünftiger Weise eifersüchtig, namentlich auf Kitty, die sein Liebling war, und machte der Fürstin alle Augenblicke unangenehme Szenen, weil sie die Tochter ins Gerede bringe. Die Fürstin war das schon gewohnt geworden, als es sich noch um die ersten Töchter gehandelt hatte; aber jetzt fühlte sie, daß zu der Peinlichkeit, wie sie der Fürst an den Tag legte, mehr Grund vorhanden sei. Sie sah, daß sich in der letzten Zeit gar manches in den Gebräuchen der Gesellschaft geändert hatte und die Pflichten einer Mutter noch schwerer geworden waren. Sie sah, daß Kittys Altersgenossinnen allerlei Vereine bildeten, allerlei Vorlesungen besuchten, mit Männern in freierer Form umgingen, ohne Begleitung durch die Stadt fuhren, großenteils den Knicks abgeschafft hatten und, was die Hauptsache war, alle fest davon überzeugt waren, daß die Wahl eines Gatten für sie ihre eigene Angelegenheit, nicht die der Eltern sei. ›Heutzutage geht es bei der Eheschließung nicht mehr so zu wie früher‹, dachten und sagten alle diese jungen Mädchen und sogar alle älteren Leute. Aber wie man es heutzutage mit der Verheiratung der Töchter zu halten habe, das konnte die Fürstin von niemandem in Erfahrung bringen. Die französische Sitte, bei der die Eltern über das Schicksal der Kinder entscheiden, hatte in Rußland keinen Eingang gefunden und wurde so gut wie allgemein verworfen. Die englische Sitte, den jungen Mädchen völlige Freiheit zu lassen, war gleichfalls nicht angenommen worden und erschien in der russischen Gesellschaft als unmöglich. Und die russische Sitte der Heiratsvermittelung galt als abgeschmackt, und alle machten sich darüber lustig, auch die Fürstin selbst. Wie nun aber die Töchter und die Eltern sich in dieser wichtigen Sache zu verhalten hatten, das wußte kein Mensch zu sagen. Alle, mit denen die Fürstin darüber ins Gespräch kam, sagten zu ihr nur: »Aber ich bitte Sie, in unserer Zeit ist es doch wahrhaftig angezeigt, diesen veralteten Brauch aufzugeben. Die jungen Leute sollen ja die Ehe eingehen und nicht die Eltern; also muß man auch die jungen Leute sich versorgen lassen, wie sie selbst wollen.« Aber die, die keine Töchter hatten, konnten leicht so reden; die Fürstin dagegen mußte sich sagen, daß bei freier Möglichkeit der Annäherung ihre Tochter sich auch in einen Mann verlieben könne, der gar nicht beabsichtigte, sie zu heiraten, oder auch in einen solchen, der nicht zum Gatten für sie tauge. Und mochte man auch der Fürstin mit noch so starken Gründen zu beweisen suchen, daß in unserer Zeit die jungen Leute sich ihr Schicksal selbst gestalten müßten, sie vermochte das ebensowenig zu glauben, wie sie hätte glauben können, daß irgendwann in Zukunft für fünfjährige Kinder das beste Spielzeug geladene Pistolen wären. Und daher beunruhigte sich die Fürstin um Kitty mehr, als sie es bei ihren älteren Töchtern getan hatte.

      Jetzt fürchtete sie, Wronski könnte sich darauf beschränken, ihrer Tochter lediglich die Kur zu machen. Sie sah, daß Kitty sich bereits in ihn verliebt hatte; aber sie tröstete sich damit, daß er ein Ehrenmann sei und sich deshalb ein solches Verhalten nicht werde zuschulden kommen lassen. Aber zugleich entging ihr nicht, wie leicht es bei der heutigen Freiheit des Verkehrs sei, einem jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen, und wie leichtfertig im allgemeinen die Männer über eine solche Schuld denken. In der vergangenen Woche hatte Kitty ihrer Mutter ein Gespräch erzählt, das sie mit Wronski bei einer Masurka gehabt hatte. Durch das Gehörte hatte sich die Fürstin allerdings teilweise beruhigt gefühlt; aber ganz ruhig vermochte sie nicht zu sein. Wronski hatte zu Kitty gesagt, er und sein Bruder seien beide so daran gewöhnt, sich in allen Stücken ihrer Mutter unterzuordnen, daß sie nie etwas Wichtiges unternehmen würden, ohne vorher ihren Rat eingeholt zu haben. »Auch jetzt erwarte ich die Ankunft meiner Mutter aus Petersburg wie ein besonderes Glück«, hatte er gesagt.

      Kitty hatte das ihrer Mutter erzählt, ohne diesen Worten besondere Bedeutung beizumessen. Aber die Mutter faßte es anders auf. Sie wußte, daß die Ankunft der alten Gräfin von Tag zu Tag erwartet wurde, und wußte, daß diese über die von ihrem Sohne getroffene Wahl erfreut sein werde; sie wunderte sich freilich, daß er aus Furcht, seine Mutter zu kränken, bisher noch keinen Antrag gemacht hatte; jedoch wünschte sie so sehnlich sowohl diese Ehe selbst wie auch in allererster Linie endlich die Befreiung von all diesen Sorgen und Unruhen, daß sie an die in Wronskis Worten anscheinend liegende Begründung seines Verhaltens glaubte. Wie schmerzlich es auch jetzt für die Fürstin war, das Unglück ihrer ältesten Tochter Dolly mit ansehen zu müssen, die eine Trennung von ihrem Manne vorhatte, so drängte doch die Aufregung über das demnächst sich entscheidende Schicksal der jüngsten Tochter alle anderen Gefühle bei ihr zurück. Der heutige Tag hatte ihr durch Ljewins plötzliches Wiedererscheinen eine neue Beunruhigung gebracht. Sie fürchtete, daß ihre Tochter, die früher, wie es ihr vorgekommen war, gegen Ljewin eine freundliche Gesinnung gehegt hatte, aus übertriebener Ehrlichkeit Wronski einen Korb geben und überhaupt Ljewins Ankunft die dem Abschluß schon so nahe Angelegenheit verwirren oder verzögern könnte.

      »Ist er schon vor längerer Zeit angekommen?« fragte die Fürstin mit Bezug auf Ljewin, als sie nach Hause zurückfuhren.

      »Heute, maman.«

      »Ich möchte dir nur das eine sagen ...«, begann die Fürstin, und an ihrem ernsten, eine lebhafte Erregung bekundenden Gesichte erriet Kitty, wovon die Rede sein sollte.

      »Mama«, sagte sie, indem sie sich schnell zu ihr hinwandte und blutrot wurde, »bitte, bitte, sprechen Sie nicht von dieser Sache! Ich weiß alles, alles weiß ich!«

      Sie wünschte dasselbe, was die Mutter wünschte; aber die Gründe, die die Mutter zu diesem Wunsche veranlaßten, versetzten sie in Entrüstung.

      »Ich wollte nur sagen, nachdem du dem einen Hoffnung gemacht hast ...«

      »Mama, liebste Mama, ich bitte Sie inständig, sprechen Sie nicht davon! Es ist so schrecklich, davon zu sprechen.«

      »Nun, nun, dann will ich es lassen«, erwiderte die Mutter, als sie Tränen in Kittys Augen sah. »Nur eines, mein Herzchen: du hast mir versprochen, keine Geheimnisse vor mir zu haben. Wirst du deinem Versprechen treu bleiben?«

      »Niemals

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