Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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sich in dich an einem einzigen Tage zu verlieben, dann ist es schon das beste, daß die Sache auseinandergeht.«

      »O Gott, das wäre aber doch zu dumm!« rief Anna, und von neuem überzog eine dunkle Röte ihr Gesicht, diesmal vor Freude, als sie den Gedanken, der sie selbst beschäftigte, von einem anderen aussprechen hörte. »So reise ich also nun ab, nachdem ich mir Kitty, die ich doch so liebgewonnen hatte, zur Feindin gemacht habe! Ach, was ist sie für ein liebes, gutes Wesen! Aber du wirst das schon wieder in Ordnung bringen, Dolly. Nicht wahr?«

      Dolly konnte kaum ein Lächeln unterdrücken. Sie liebte Anna; aber sie sah mit einer gewissen Befriedigung, daß auch diese nicht frei von Schwächen war.

      »Zur Feindin? Das ist unmöglich.«

      »Ich wünschte von ganzem Herzen, daß ihr alle mich so liebhaben möchtet, wie ich euch liebhabe. Und jetzt habe ich euch noch weit mehr liebgewonnen«, sagte Anna mit Tränen in den Augen. »Ach, wie dumm ich doch heute bin!«

      Sie fuhr sich mit dem Taschentuche über das Gesicht und begann sich umzukleiden.

      Erst ganz kurz vor der Abfahrt nach dem Bahnhof kam Stepan Arkadjewitsch nach Hause, der sich verspätet hatte; er hatte ein rotes, vergnügtes Gesicht und roch nach Wein und Zigarren.

      Annas gerührte Stimmung war auch auf Dolly übergegangen, und als sie ihre Schwägerin zum letzten Male umarmte, flüsterte sie ihr zu: »Sei versichert, Anna, ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast. Und sei auch versichert, daß ich dich liebhabe und immer liebhaben werde als meine beste Freundin!«

      »Ich weiß gar nicht, wie ich das verdiene«, erwiderte Anna, indem sie sie küßte und ihre Tränen verbarg.

      »Du hast mein Herz verstanden und verstehst mich auch jetzt. Lebe wohl, du Liebe, Gute!«

      29

      »Nun ist alles zu Ende; Gott sei Dank!« das war der erste Gedanke, den Anna Arkadjewna hatte, als sie sich zum letzten Male von ihrem Bruder verabschiedet hatte, der bis zum dritten Glockenzeichen in der Tür des Abteils gestanden hatte, um anderen Reisenden den Eingang zu versperren. Sie setzte sich auf ihren Polstersitz neben ihre Kammerjungfer Annuschka und blickte in dem Halbdunkel des Schlafwagens um sich. »Gott sei Dank, morgen sehe ich meinen kleinen Sergei und Alexei Alexandrowitsch wieder, und mein Leben wird wieder seinen altgewohnten guten Gang nehmen.«

      Obwohl die aufgeregte Stimmung, in der sie sich den ganzen Tag über befunden hatte, noch nicht von ihr gewichen war, traf Anna doch sorgsam und mit einem Gefühl des Behagens ihre Vorbereitungen für die Fahrt. Mit ihren kleinen, geschickten Händen öffnete und verschloß sie die rote Reisetasche, holte ein Kissen heraus, legte es sich auf die Knie und setzte sich, nachdem sie sich auch die Füße sorgfältig eingewickelt hatte, ruhig hin. Eine kranke Dame hatte sich bereits schlafen gelegt. Zwei andere Damen suchten mit Anna ein Gespräch anzuknüpfen, und eine beleibte alte Dame hüllte gleichfalls ihre Füße in eine Decke und äußerte sich abfällig über die Heizung. Anna erwiderte den Damen ein paar Worte; aber da das Gespräch ihr nicht besonders interessant werden zu wollen schien, so hieß sie Annuschka die Reiselaterne hervorholen, hängte sie an der Armlehne des Sessels auf und nahm aus ihrer Reisetasche ein Papiermesser und einen englischen Roman. Anfangs konnte sie nicht lesen. Zuerst störte sie das Lärmen und Hinundherlaufen auf dem Bahnsteige; dann, als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, mußte sie unwillkürlich auf das von ihm verursachte Geräusch horchen; darauf wurde ihre Aufmerksamkeit durch den Schnee abgelenkt, der gegen das linke Fenster schlug und an der Scheibe haftenblieb, und durch den Anblick des vorbeigehenden, dicht eingemummten Schaffners, der auf der einen Seite ganz mit Schnee bedeckt war, und durch die Gespräche der anderen Damen über den entsetzlichen Schneesturm draußen. Aber dann weiter blieb alles unverändert: dasselbe rüttelnde Stoßen, derselbe Schnee am Fenster, dieselben schnellen Übergänge von Gluthitze zu Kälte und wieder zu Hitze, dasselbe Vorüberhuschen derselben Personen im Halbdunkel und dieselben Stimmen; und nun begann Anna zu lesen und das Gelesene zu verstehen. Annuschka schlummerte schon; die rote Reisetasche hielt sie mit ihren breiten Händen auf den Knien; ihre Hände staken in Handschuhen, von denen der eine zerrissen war. Anna Arkadjewna las, und sie verstand, was sie las; aber es machte ihr kein Vergnügen, zu lesen, das heißt das Leben anderer Menschen gleichsam wie in einem Spiegel zu verfolgen. Es verlangte sie gar zu sehr, selbst zu leben. Mochte sie nun lesen, wie die Heldin des Romans einen Kranken pflegte, so wünschte sie, selbst mit unhörbaren Schritten durch das Zimmer des Kranken zu gehen; oder las sie, wie ein Parlamentsmitglied eine Rede hielt, so begehrte sie, selbst eine solche Rede zu halten; oder las sie, wie Lady Mary hoch zu Roß hinter der Meute dahingaloppierte und ihre Schwägerin neckte und alle Teilnehmer der Jagd durch ihre Kühnheit in Erstaunen versetzte, so regte sich in ihr das Verlangen, dies auch zu tun. Aber irgend etwas zu tun, dazu war für sie jetzt keine Möglichkeit, und so zwang sie sich denn zu lesen, während ihre kleinen Hände mit dem glatten Papiermesser spielten.

      Der Held des Romans war schon nahe daran, das zu erreichen, was für einen Engländer das höchste Glück ist, den Baronetstitel und ein Landgut, und Anna hegte den Wunsch, mit ihm zusammen auf dieses Gut zu fahren, als sie plötzlich die Empfindung hatte, eigentlich müsse er sich schämen und sie müsse es auch tun. Aber weshalb sollte er sich denn schämen? ›Weshalb brauche ich mich zu schämen?‹ fragte sie sich erstaunt und gekränkt. Sie legte das Buch auf ihre Knie, ließ sich gegen die Lehne des Sessels zurücksinken und preßte beide Hände fest um das Papiermesser zusammen. Sie hatte sich über nichts zu schämen. Sie musterte alle ihre Moskauer Erinnerungen: es war nur Gutes und Angenehmes. Sie dachte an den Ball, sie dachte an Wronski und seine verliebte, demütige Miene; sie rief sich alles, was zwischen ihnen beiden vorgegangen war, ins Gedächtnis zurück; es war nichts Beschämendes darunter. Aber dabei wurde doch gerade an dieser Stelle der Erinnerungen das Gefühl der Scham stärker, als ob eine innere Stimme gerade dann, wenn sie an Wronski dachte, ihr wie bei einem gewissen Gesellschaftsspiele zuriefe: ›Warm, sehr warm, heiß!‹ ›Nun, was denn?‹ sagte sie energisch zu sich selbst und setzte sich in ihrem Sessel wieder aufrecht. ›Was soll denn das? Fürchte ich mich etwa, dieser Sache offen ins Gesicht zu sehen? Was liegt denn vor? Als ob zwischen mir und diesem jungen Offizier irgendwelche andere Beziehungen bestünden und bestehen könnten als mit jedem anderen Bekannten.‹ Sie lächelte geringschätzig und griff wieder nach dem Buche; aber jetzt vermochte sie das, was sie las, schlechterdings nicht mehr zu verstehen. Sie fuhr mit dem Papiermesser über die Fensterscheibe und hielt dann seine glatte, kalte Fläche an ihre Wange und lachte beinahe laut auf vor Freude, obwohl zu diesem Gefühl, das sie plötzlich überkam, gar kein Anlaß vorlag. Sie hatte die Empfindung, daß die Spannung ihrer Nerven immer straffer werde, wie wenn sie an Wirbeln befestigt wären, die immer schärfer angezogen würden. Sie fühlte, daß ihre Augen sich immer weiter und weiter öffneten, daß ihre Finger und Zehen sich nervös bewegten, daß ihr irgend etwas in der Brust den Atem benahm und daß alles Sichtbare und Hörbare in diesem hin und her schwankenden, halbdunklen Raume ihr einen ungewöhnlich grellen Eindruck machte. Fortwährend kamen ihr Augenblicke, in denen sie zweifelte, ob der Wagen vorwärts oder rückwärts fahre oder überhaupt still stehe. Saß da Annuschka neben ihr oder eine Fremde? ›Was liegt dort auf der Lehne, ist es ein Pelz oder ein Tier? Und bin ich selbst hier? Ich selbst oder eine andere?‹ Es war ihr furchtbar, sich dieser halben Bewußtlosigkeit hinzugeben. Aber sie fühlte sich immer wieder zu diesem Zustande hingezogen und konnte sich nach Willkür ihm überlassen und sich von ihm befreien. Sie stand auf, um zu sich zu kommen, legte das Reisetuch weg und knöpfte den Kragen ihres warmen Kleides ab. Einen Augenblick war sie bei klarer Besinnung und begriff, daß der eintretende hagere Arbeitsmann im langen Nankingüberrock, an dem mehrere Knöpfe fehlten, der Heizer war, daß er nach dem Thermometer sah, daß Wind und Schnee hinter ihm durch die Tür eindrangen; aber dann verwirrten sich ihre Gedanken wieder. Dieser Arbeitsmann mit dem langen Oberkörper begann etwas an der Wand zu benagen; die alte Dame streckte ihre Beine durch die ganze Länge des Wagens aus und füllte ihn wie eine schwarze Wolke

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