Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt
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»So, so – kann sein«, brummte Sievert. Damit schien er jede weitere Erörterung abschneiden zu wollen. Er schlug seinen Mantel zurück, und der Anblick, den er jetzt darbot, machte den Studenten hell auflachen. Am rechten Arm hing ihm ein Henkeltopf aus weißem Blech, daneben ein Weidenkorb, in dem ein Brot lag; an einem seiner Rockknöpfe baumelte ein Bündel Unschlittkerzen, und aus der Brusttasche guckte der Glasstöpsel eines Rumfläschchens im Verein mit einer gefüllten Papiertüte.
»Ja, ja, da lachen Sie nun!« sagte der Alte – diesmal konnte man leicht eine starke Dosis Groll, aber auch einen Anstrich von Resignation aus der harten Stimme heraushören. »Dazumal war ich Kindermagd, und jetzt bin ich Küchenjunge – hat mir mein Vater auch nicht an der Wiege gesungen... Was soll man nun da sagen!... Die alte Frau trinkt keine Ziegenmilch, das weiß Fräulein Jutta besser als ich, aber wenn ich nicht daran denke, daß Kuhmilch im Dorfe geholt wird, da geschieht es auch ganz gewiß nicht... Ich komme heute mit todmüden Beinen aus dem Walde, habe ein hübsches Bündel Holz zusammengeschlagen und freue mich auf die warme Stube – ja post festum, da ist die Milch vergessen, keine Krume Brot im Schranke, und auf dem Leuchter steckt das letzte Stümpfchen Licht. Fräulein Jutta aber ist aufgedonnert, als ging's zu einer Hoftafel beim Kaiser von Marokko, und spricht von – Teegesellschaft; na, die hätte uns noch gefehlt im Waldhause! Möchte nur wissen, mit was sie den Herrn Studenten hat traktieren wollen! O über –«
Während Sieverts Schilderung war der Hüttenmeister flammendrot geworden; bei dem letzten Ausruf aber hob er drohend den Zeigefinger, und ein so zornsprühender Blick traf den Alten, daß er scheu die Augen wegwandte und den Satz unvollendet ließ. Der Student dagegen war das Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit – er hatte beide Arme auf den Tisch gelegt, und seine Augen hingen unverwandt an den Lippen des Sprechenden.
»Na, und Bauernbrot kann ich der alten Frau auch nicht auf den Tisch bringen«, fuhr Sievert nach einer Pause ablenkend fort; »da bin ich noch nach Arnsberg gelaufen, und der Schloßverwalter hat mir nolens volens dies Brot da herausrücken müssen... Der weiß übrigens auch nicht, wo ihm der Kopf steht. In der Küche hantiert der Koch aus A.; ein halb Dutzend Bediente rennt hin und her; es wird gesäubert, geheizt und beleuchtet aus Leibeskräften – Seine Exzellenz, der Minister, kommt trotz Sturm und Schneewetter heute abend noch nach Arnsberg. In A. und ganz besonders in seinem Hause ist der Typhus ausgebrochen, und da will er die kleine Gräfin in Person auf das einsame Arnsberg reiten.«
Ein Zug tiefen Mißbehagens ging durch das schöne Gesicht des Hüttenmeisters. Er schritt rasch einigemal im Zimmer auf und ab.
»Und wissen Sie nicht, wie lange der Minister hier bleiben will?« fragte er stehen bleibend.
Sievert zuckte die Achseln.
»He, was weiß ich!« sagte er. »Ich denke mir übrigens, es ist ihm weniger um das Kind als um seine eigene Person zu tun, und da wird er ja wohl abwarten, bis Freund Hein aus A. wieder abgezogen ist.«
Das waren offenbar keine erfreulichen Nachrichten für den jungen Mann; er blieb einen Augenblick nachdenklich mitten im Zimmer stehen, enthielt sich jedoch jeder weiteren Bemerkung.
»Sievert«, sagte er nach einer Pause, »erinnern Sie sich des Herrn von Eschebach?«
»Ei ja – er war Leibarzt beim Prinzen Heinrich und hat mir einen Armbruch glücklich kuriert... Vor etwa sechzehn Jahren ist er übers Meer gegangen und hat nie wieder ein Sterbenswort von sich verlauten lassen – soviel ich mir denke, haben ihn die Seefische gefressen.«
»Bis jetzt noch nicht, Sievert!« entgegnete lächelnd der Hüttenmeister. »Heute nachmittag kam ein weitgereister, an meinen verstorbenen Vater adressierter Brief in meine Hände. Der Totgeglaubte schreibt eigenhändig, daß er mit wehmütiger Freude der Zeit gedenke, wo er von Schloß Arnsberg aus nach dem Hüttenmeisterhaus in Neuenfeld gewandert sei, um dicke Milch unter den Linden zu essen... Er lebt unverheiratet und kinderlos in Brasilien, ist unumschränkter Besitzer großer Bergwerke, Eisengießereien und so weiter, führt aber ein völlig einsiedlerisches Leben und bittet schließlich meinen Vater, ihm einen seiner Söhne zu schicken, da er oft leidend sei und einer Stütze bedürfe.«
»Hei, da gibt's eine fette Erbschaft!«
»Sie wissen, Sievert, daß ich um keinen Preis von Neuenfeld fortgehen werde«, sagte der Hüttenmeister kurz.
»Und mir fällt es nicht ein, mich auf diese Weise von Theobald zu trennen – Herr von Eschebach mag seine Gold- und Silberminen behalten! – rief lebhaft der Student, auf dessen Wangen allmählich zwei Fieberflecken zu glühen begannen.
»Nu, nu, da behält er sie eben!« brummte Sievert, indem er, sich, wie in Gedanken verloren, mechanisch auf einen Stuhl niederließ. »So, so, der ist also reich geworden!« sagte er nach einer Weile und rieb sich nachdenklich das stachlige, graubärtige Kinn. »Von Haus aus war er eigentlich ein armer Schlucker –«
»Und weshalb ist er nach Brasilien gegangen?« unterbrach ihn der Student.
»Ja, weshalb – da fragen Sie mich zu viel. Übrigens – gedacht hab' ich mir manchmal, daß den eine einzige schlimme Nacht fortgetrieben hat.«
In diesem Augenblick schnob der Sturm mit einem schrillen, anhaltenden Pfeifen draußen um die Ecke. Die Fenster klirrten, und ein Dachziegel krachte zerberstend auf das Steinpflaster.
»Hören Sie?« fragte Sievert, mit dem Daumen über die Schulter nach dem Fenster zeigend. »Just so eine Winternacht war's – eine Nacht, in der die ganze Höllenjagd über den Thüringer Wald hintobte. Das heulte, pfiff und gellte, es rüttelte an dem alten Arnsberger Gemäuer, daß die Bilder an den Wänden zitterten, und aus den Kaminen schossen die Flammen weit in die Zimmer hinein – es war, als sollte das Schloß von der Erde weggefegt werden... Am anderen Morgen lagen alle Steinbilder umgerissen im Schloßgarten, dickstämmige Bäume waren geknickt und zersplittert wie Rohr, und im Schloßhof lagen Glassplitter, Ziegelscherben und zerbrochene Fensterladen handhoch durcheinander – auf dem verwüsteten Dach aber steckte die Trauerfahne, und drin in Arnsberg wurde mit allen Glocken geläutet, weil in der Nacht Prinz Heinrich gestorben war.«
Er schwieg einen Moment; dann lachte er rauh auf.
»Was half ihnen alles Läuten!« fuhr er fort. »Was half der Fürstin die kohlschwarze Schleppe und Schneppe und dem Lande das schwarzgeränderte Wochenblatt – sie mußten sich doch alle den Mund wischen, denn es war Todfeindschaft gewesen bis ans Ende... Das müssen Sie ja noch wissen, Hüttenmeister!«
»Ja – ich war damals noch ein Kind; aber ich erinnere mich recht gut, daß Gehässigkeiten zwischen A. und Arnsberg hin und her flogen, und daß der Prinz seinen Leuten nicht einmal den Umgang mit den fürstlichen Beamten gestatten wollte – mein Vater hatte als herrschaftlicher Hüttenmeister auch darunter zu leiden.«
»Richtig – und wer von den Kavalieren hielt damals zu dem Prinzen Heinrich und hauste mit ihm auf Arnsberg?«
»Nun, das waren Ihr Herr, Sievert, der Major von Zweiflingen, Herr von Eschebach und der jetzige Minister Baron Fleury.«
»Ja der!« lachte Sievert abermals bitter auf. »Der war ein Pfiffikus sein Leben lang! Die beiden anderen kamen nie in die Stadt, geschweige denn an den Hof – es wär' ihnen auch schlecht genug bekommen –, Seine Exzellenz aber scharwenzelte hüben und drüben. Weiß der Henker, wie er's angefangen hat, aber jede Partei drückte die Augen zu, wenn er mit der anderen verkehrte – das kann eben nur so ein französischer Windbeutel, und dem glückt's auch bei den pfiffigen Deutschen... Ja, die am Hofe zu A. haben wohl gemeint, der könne Frieden stiften und ihnen schließlich zu ihrem