Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert
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Aber dann kam sie in die Ecke des Salons, wo er stand, und fragte ihn, ob er einige der Gäste kenne, ob er die Malerei liebe und wie lange er in Paris studiere. Jedes Wort aus ihrem Munde schien Frédéric etwas Neues, etwas, das ausschließlich zu ihrer Person gehöre. Er betrachtete aufmerksam die Fransen ihres Kopfputzes, die ihre nackten Schultern mit den Spitzen liebkosten, und er wandte seine Augen nicht mehr davon ab, versenkte den Blick in dieses blendende Fleisch, allein er wagte nicht, seine Lider zu heben, um ihr gerade ins Antlitz zu schauen.
Rosenwald unterbrach sie, indem er Madame Arnoux bat, etwas zu singen. Während er präludierte, wartete sie, ihre Lippen öffneten sich und ein weicher, langgezogener Ton stieg empor.
Frédéric verstand nichts von den italienischen Worten. Es begann mit einem ernsten Rhythmus, wie ein Kirchengesang, dann sich crescendo belebend, vermehrten sich die sonoren Töne und verhallten allmählich, und mit getragenem, vollem Klang wiederholte sich die liebliche Melodie.
Sie stand neben dem Klavier, die Arme herabhängend, mit verlorenem Blick. Zuweilen beugte sie sich etwas vor und kniff die Lider für einen Moment zusammen, um die Noten zu lesen. Ihre volle Altstimme nahm in der Tiefe einen düsteren Klang an, der erschütterte, und ihr schöner Kopf mit den langen Brauen neigte sich dann auf die Schulter; ihre Brust hob sich, sie breitete die Arme aus, ihr Hals, dem die Läufe entströmten, bog sich weich wie unter leisen Küssen, zurück; sie schmetterte drei hohe Töne heraus, dem noch ein höherer folgte, und schloß dann nach einer Pause mit einer Fermate.
Rosenwald verließ den Flügel nicht. Er fuhr fort, für sich selber zu spielen. Von Zeit zu Zeit verschwand einer der Gäste. Um elf Uhr, als die letzten sich verabschiedeten, ging Arnoux mit Pellerin, unter dem Vorwand, ihn begleiten zu wollen, fort. Er gehörte zu denen, die sich krank dünken, wenn sie nach Tisch nicht ihren Spaziergang gemacht haben.
Madame Arnoux war in das Vorzimmer getreten. Dittmer und Hussonnet verabschiedeten sich, sie reichte ihnen die Hand. Auch Frédéric reichte sie die Hand, und er fühlte, wie es jede Pore seiner Haut durchströmte.
Er verließ seine Freunde, es drängte ihn, allein zu sein. Sein Herz floß über. Warum diese dargebotene Hand? War es eine unüberlegte Bewegung oder eine Ermutigung? »Dummheit! Ich bin ein Narr!« Was lag übrigens daran, da er sie jetzt ganz nach Belieben besuchen, in ihrer Atmosphäre leben durfte.
Die Straßen waren öde. Zuweilen kam ein schwerer Karren vorüber, der das Pflaster erschütterte. Die Häuser mit ihren grauen Fassaden und geschlossenen Fenstern reihten sich aneinander; und er dachte verächtlich an alle diese menschlichen Wesen, die hinter den Mauern schliefen und existierten, ohne sie zu kennen, von denen nicht einer ahnte, daß sie lebte! Er hatte weder Bewußtsein von Ort noch Raum, noch von irgend etwas; und müßig weiterschlendernd, indem er mit dem Stock die Rolljalousien der Läden streifte, ging er aufs Geratewohl, erregt und überwältigt, immer geradeaus. Eine feuchte Luft hüllte ihn ein, und er fand sich am Rande des Quais.
Die Gaslampen leuchteten unbestimmt in zwei geraden Linien, und lange rote Flammen flackerten in der Tiefe des Wassers. Es hatte die Farbe des Schiefers, während zu beiden Seiten des Flusses der klarere Himmel sich auf große Schattenmassen senkte. Gebäude, die man nicht unterschied, vertieften die Dunkelheit. Ein leuchtender Dunst schwebte über den Dächern drüben; alle Geräusche verloren sich in einem einzigen Gesumm; es wehte ein leiser Wind.
Er war mitten auf dem Pont-Neuf stehen geblieben und atmete mit bloßem Kopf und nackter Brust die Luft ein. Währenddem fühlte er tief in sich ein Unbezwingbares, eine Welle von Zärtlichkeit aufsteigen, die ihn überwältigte wie jene ruhelosen dort unten. Eine Kirchenuhr schlug eins, ganz langsam, wie eine Stimme, die ihn rief.
Da ergriff ihn einer jener seelischen Schauer, die uns in höhere Sphären heben. Er fühlte Fähigkeiten in sich, deren Wesen er noch nicht kannte. Er fragte sich ernsthaft, ob er ein großer Dichter oder ein großer Maler werden solle; – und er entschied sich für die Malerei, da diese ihn Madame Arnoux nähern müsse. Er hatte also seinen Beruf gefunden! Sein Lebensziel war ihm jetzt klar und die Zukunft gewiß.
Als er seine Tür geschlossen hatte, hörte er jemand in dem dunklen Kabinett neben dem Zimmer schnarchen. Es war der andere. Er hatte nicht mehr an ihn gedacht.
Zufällig sah er sein Gesicht im Spiegel. Er fand sich schön; – und er blieb eine Minute stehen, sich zu betrachten.
5.
Am nächsten Vormittag hatte er sich einen Farbenkasten, Pinsel und eine Staffelei gekauft. Pellerin willigte ein, ihm Unterricht zu geben, und Frédéric führte ihn in seine Wohnung, um zu sehen, ob an seinen Mal-Utensilien nichts fehle.
Deslauriers war zurückgekommen. Ein junger Mann saß auf dem zweiten Sessel. Der Schreiber sagte, auf ihn weisend:
»Das ist er! da ist er nun! Sénécal!«
Dieser junge Mensch mißfiel Frédéric… Die Stirn trat unter seinem ganz kurz geschorenen Haar noch mehr hervor. Etwas Hartes, Kaltes stach aus seinen grauen Augen; und sein langer schwarzer Überrock, sein ganzes Kostüm verriet den Pädagogen, den Geistlichen.
Anfangs sprach man über Tagesereignisse, unter anderm von Rossinis Stabat; Sénécal, danach gefragt, erklärte, er gehe niemals ins Theater. Pellerin öffnete den Farbenkasten.
»Ist das alles für dich?« sagte der Schreiber.
»Aber selbstverständlich!«
»Ach was! welch eine Idee!«
Und er neigte sich über den Tisch, wo der Hilfslehrer der Mathematik in einem Bande von Louis Blanc blätterte. Er hatte ihn selber mitgebracht und las mit leiser Stimme Stellen daraus, während Pellerin und Frédéric zusammen die Palette, den Spachtel, die Tuben untersuchten, worauf sie anfingen, sich über das Diner bei Arnoux zu unterhalten.
»Der Kunsthändler?« fragte Sénécal. »Netter Herr, wahrhaftig!«
»Weshalb denn?« sagte Pellerin.
Sénécal erwiderte:
»Ein Mann, der aus politischen Schandtaten Geld herausschlägt!«
Und er fing an von einer bekannten Lithographie zu erzählen, auf der die ganze königliche Familie bei erbaulichen Beschäftigungen dargestellt war: Louis Philippe hielt ein Gesetzbuch, die Königin ein Gebetbuch, die Prinzessinnen stickten, der Herzog von Nemours gürtete sich einen Säbel um; Monsieur de Joinville zeigte seinen jüngeren Brüdern eine Landkarte; im Hintergrund bemerkte man ein zweischläfriges Bett. Dieses Bild, »Eine gute Familie« betitelt, war das Entzücken der Bürger gewesen, aber der Kummer der Patrioten. Pellerin erwiderte in einem ärgerlichen Ton, als wäre er selbst der Urheber, daß doch alle Meinungen von gleichem Wert seien. Sénécal widersprach. Die Kunst sollte ausschließlich die Moralisierung der Massen im Auge haben! Es müßten nur Stoffe wiedergegeben werden, die tugendhafte Handlungen darstellten; die andern wären schädlich.
»Aber das hängt doch von der Ausführung ab!« rief Pellerin aus. »Ich kann Meisterwerke schaffen!«
»Dann um so schlimmer. Man hat nicht das Recht…«
»Wie?«
»Nein, mein Herr, Sie