TEXT + KRITIK 234 - Robert Menasse. Ewout van der Knaap

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу TEXT + KRITIK 234 - Robert Menasse - Ewout van der Knaap страница 5

TEXT + KRITIK 234 - Robert Menasse - Ewout van der Knaap TEXT + KRITIK

Скачать книгу

erscheint im Roman ohne Karneval- und Fußballbezüge, in der Symbiose ehemaliger österreichischer Flüchtlinge jüdischer Abstammung und Ex-Nazis wird ein neues Österreich in Brasilien kreiert: »hier ist den Deutschsprachigen, vor allem den Österreichern möglich, sich wie daheim zu fühlen; man ist unter sich, in einer Enklave (…) man spricht Hochdeutsch mit Austriazismen versetzt, trägt Dirndl, trinkt Heurigen und pflegt ungebrochen die vertrauten Mentalitäten (…). Sie alle sind in dieser Fremde zu Hause«.8 Roman, der Protagonist, findet in der Beschäftigung mit seinem Romanentwurf die Möglichkeit eines Auswegs aus dieser existenziellen Sackgasse. Seine Lieblingsfigur in dieser Lebenssituation ist Leo Singer, der in der Bar Esperança (»Bar jeder Hoffnung«) seine Lehre über die sinnliche Gewissheit propagiert. Dieser dient der Figur Roman als Muster für dessen Roman, in dem die Schicksalsgeschichte eines Geistesmenschen mit tragischem Ausgang erzählt werden soll. Dieser Roman wird zum zweiten Roman Menasses: »Selige Zeiten, brüchige Welt«.

      3

      4

      Schauplatz des Romans ist das Waldviertel, die tiefste österreichische Provinz, deren kleine Gemeinde Komprechts touristisch entwickelt werden soll. Die Figur Roman fällt familiär, sozialpolitisch und mental in eine Welt zurück, die er einmal schon überwunden hatte. Er muss also wieder vor der totalen Zusammenhanglosigkeit der Welt fliehen. Mit einer Videokamera versucht er, sein Leben zu registrieren und ihm so einen Sinn zu geben. Er nimmt alles auf, aber in den Aufnahmen ist dennoch nichts Wesentliches zu sehen. Er ist trotz seiner Zielsetzung nie am richtigen Ort und nie zur richtigen Zeit. Die Geschichte kann nicht einmal technisch objektiviert werden. Informationen über die bereits thematisierten Videoaufnahmen in »Schubumkehr«bekommen wir von gestaltlosen Figuren in Form unbenannter Dialoge. Roman selbst erscheint nie in den Szenen des Films, er bildet sich nicht ab, er kann nicht evoziert werden. Deshalb gibt es nur leere Lichteffekte im selbst gemachten Film: Es gibt niemanden mehr, der zu sehen ist, aber auch niemanden, der sehen könnte. Es wird noch immer das Ganze beansprucht, die Welt erlebt aber die letzten wahnsinnigen Stadien einer negativen Entwicklungsgeschichte, die globale Züge trägt. Roman verschwindet am Ende des Romans, er ist wieder dort angelangt, von wo er sich aufgemacht hatte: Die Heimatlosigkeit am Anfang in Brasilien und am Ende in Österreich werden übereinander kopiert.

      5

      Der erste Erzählstrang thematisiert die spanische Inquisition des 17. Jahrhunderts und die Vertreibung der portugiesischen Juden aus ihrer von ihnen als paradiesisch empfundenen Heimat, während der zweite Erzählstrang Österreich aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt. Die Geschichte wiederholt sich nur scheinbar: Sowohl der Völkermord im Namen der katholischen Kirche als auch der Holocaust nach der arischen Rassenlehre beruhen auf böser menschlicher Berechnung. Menasse lässt eine historisch fundierte christlich-katholische Wahnsinnsideologie in einer biografisch untermauerten Schicksalsgeschichte und eine zeitgenössische linksliberale Karriere eines Historikers parallel laufen. Der ehemalige Samuel Manasseh ben Israel wird Schriftgelehrter, Politiker und Lehrer, hingegen ist der gegenwärtige Viktor Abravanel im Werk von Menasse eine bekannte, wiederholt vorkommende Figur, die die großen Ereignisse des Lebens aus Feigheit, Unverständnis oder aus Dummheit verpasst. Sie teilen ein epochenübergreifendes Schicksal: Unvorbereitet begegnen beide Hauptfiguren der Zugehörigkeitspflicht zum Judentum, die von anderen geregelt und dementsprechend vorgeschrieben wird.

      6

      Im darauf folgenden Roman widmete sich Menasse einem Amalgam von Archetypen der europäischen Neuzeit die weltliterarisch als wandernde und epochenübergreifende Figuren gelten. Don Juans und Don Quijotes ideologische Erbschaften werden von Menasse simuliert. Endergebnis und Kopie bilden eine Mischung namens »Don Juan de la Mancha«, dessen sexuell-intellektuelle Entwicklungsgeschichte vom letzten Stadium der Unlust her erzählt wird. Menasses Protagonist Nathan ist ein späterer Neffe des Don Quijote und besteht nicht mehr auf ritterlichen, sondern auf von den Medien beeinflussten Idealen. Er ist auch kein Don Juan im wahren Sinne des Wortes: Nathan ist ein sexsüchtiger Typ, der die Lust im Laufe seiner erotomanischen Heldentaten einfach verliert. Menasse stellt die Erziehung beziehungsweise Rückentwicklungsgeschichte der Lust eines intellektuellen Tollpatsches unserer Zeit in sexual- und psychoanalytisch simulierter Stilübung dar.

      7

Скачать книгу