Mafia. 100 Seiten. Petra Reski

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Mafia. 100 Seiten - Petra Reski Reclam 100 Seiten

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weil viele Touristen Sizilien besuchen, um genau diesen kleinen mafiösen Schauder zu spüren, bot der amerikanische Reiseveranstalter Overseas Adventure Travel aus Boston seiner Reisegruppe eine Zeit lang auch eine »erhellende Diskussion über die sizilianische Mafia« mit besagtem Angelo Provenzano an – der im Gespräch mit den amerikanischen Touristen die Last seines Namens beklagt haben soll, womit er im Sinne der political correctness sogar auf Verständnis stieß. Später ließ er verlauten, sein Treffen mit den Urlaubern sei lediglich ein Beitrag für den örtlichen Tourismus gewesen – einen Wirtschaftssektor, an den er immer geglaubt habe.

      Schade, dass niemand die Touristen auf den Antimafia-Kämpfer Peppino Impastato aufmerksam machte. Auch er war Sohn eines Mafiosos – und wandte sich gegen die Mafia. Oder auf Massimo Ciancimino: der jüngste Sohn von »Don Vito«, Palermos mafiösem Bürgermeister, entschloss sich nach dem Tod seines Vaters 2009, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, woraufhin er in Palermo nicht zur Touristenattraktion, sondern zur Persona non grata wurde.

      Massimo Ciancimino erzählte, was sein Vater bei den Treffen mit dem untergetauchten Mafiaboss Bernardo Provenzano besprach und beschrieb, welche Richter, Politiker, Polizisten und Geheimagenten im Salon von Don Vito ein- und ausgingen. Seine Aussagen waren es, die erhellten, wie hohe Beamte und Politiker mit der Mafia verhandelten – diese Aussagen lösten später den Prozess um die »Trattativa« aus, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Hintergründe der Verhandlungen zwischen dem italienischen Staat und der Mafia zur Zeit der Ermordung von Paolo Borsellino und Giovanni Falcone zu klären. Nachdem Massimo Ciancimino ausgesagt hatte, fanden plötzlich viele ehemalige Minister, hohe Staatsbeamte, Polizisten und ehemalige Staatsanwälte ihre Erinnerung wieder – und sagten über Begebenheiten aus, die ein neues Licht auf die Hintergründe der Attentate fallen ließen.

      Salvatore Borsellino, der Bruder des ermordeten Staatsanwalts, wies in einem offenen Brief darauf hin, dass die Lage der Mafia eine andere wäre, wenn sich mehr Söhne und Töchter der Mafia öffentlich von ihren Vätern und ihren Taten distanziert hätten.

      Massimo Ciancimino zahlte für seine Aussagen einen hohen Preis: Er wurde bedroht, verfolgt und verklagt und nicht nur für seine ganze Familie zur Persona non grata, sondern auch für das gesamte Establishment – das nicht toleriert, wenn jemand die unheilige Allianz zwischen Teilen des italienischen Staates und der Mafia denunziert. Er sei ein Toter, der spricht, un morto che parla, so nennt es die Mafia, wenn sie jemanden geächtet hat, weil er ihre Geheimnisse verrät.

      Tatsächlich wollte Massimo Ciancimino durch seinen couragierten Schritt lediglich aus dem Schatten seines Vaters heraustreten – auf dass der Name Ciancimino nicht mehr nur für den mafiosen Bürgermeister von Palermo stehe, sondern auch für einen Sohn, der den Mut gehabt hat, darüber auszusagen, welche Politiker und Staatsdiener sich mit der Mafia gemein gemacht haben.

      Wie alles anfing

      Entstanden ist die Mafia in Süditalien – ihre Ursprungsgebiete sind Sizilien, Kalabrien und Kampanien, aus denen die italienischen Mafiaorganisationen hervorgegangen sind: die sizilianische Cosa Nostra, die kalabrische ’Ndrangheta, die kampanische Camorra (heute auch il sistema genannt) und später auch die apulische Sacra Corona Unita.

      In Westsizilien wurde man zuerst auf die Mafia aufmerksam. 1838 schickte Don Pietro Ulloa, Staatsanwalt in Trapani, dem Justizminister einen Bericht über die ökonomische und soziale Situation Siziliens, der eine genaue Beschreibung der Mafia enthielt, ohne dass jedoch der Name erwähnt wurde. Ulloa berichtete von fratellanze, Geheimbünden, auch partiti genannt, die ohne Versammlungen, ohne andere Bindung als die der Abhängigkeit von einem Oberhaupt existierten. Einem Oberhaupt, der mal ein Grundherr, mal ein Dekan gewesen sei. Eine gemeinsame Kasse half je nach Bedarf – um die Entlassung eines Beamten zu erreichen oder einen anderen zu gewinnen, mal um einen Beamten zu schützen, ein andermal, um einen Unschuldigen zu belasten. Das Volk habe mit den Übeltätern eine Art Übereinkunft getroffen. Wenn es zu Diebstählen kam, traten Vermittler auf, um Transaktionen zur Wiedererlangung der gestohlenen Gegenstände anzubieten, viele Richter deckten diese fratellanze mit einem undurchdringlichen Schutz.

      Soziologische Definiton der Mafia

      Die Mafia ist eine Einheit aus kriminellen Organisationen, deren wichtigste, aber nicht einzige, Cosa Nostra ist. Sie handelt innerhalb eines Beziehungsgeflechts, in dem sie ein System von Gewalt und Illegalität einrichtet, das der Anhäufung von Kapital und dem Erwerb von Machtpositionen dient, wobei sie sich auf einen kulturellen Kodex stützt und sich eines gewissen sozialen Konsenses erfreut. (Vgl. Link 1 in den Lektüretipps)

      (Soziologische Definition des renommierten sizilianischen Mafiaforschers Umberto Santino)

      Es gibt kaum ein Wort, das in den Sprachen der Welt so verbreitet ist wie das Wort »Mafia«. Der Ursprung des Wortes liegt im Dunkeln – Linguisten vermuten ihn in der arabischen und spanischen Herrschaft auf Sizilien, wo es als Synonym für »überheblich« und »arrogant« genutzt wurde. Die Mafiosi nehmen das Wort »Mafia« allerdings nicht in den Mund, sie sagen »Cosa Nostra«, unsere Sache, ein Ausdruck, der seit den 1950er Jahren auch umgangssprachlich zunehmend verwendet wird.

      Sicher ist nur, dass sich das Wort »Mafia« in Sizilien verbreitete, nachdem 1863 ein populäres Theaterstück in sizilianischem Dialekt aufgeführt wurde: I mafiusi della Vicaria, das vom Alltag einer geheimen, kriminellen Gruppe im Gefängnis von Palermo handelte, die den anderen Gefangenen ihre Gesetze aufzwang. Offiziell taucht das Wort »Mafia« zum ersten Mal 1865 in einem Bericht des Präfekten von Palermo Filippo Gualterio an das Innenministerium auf, der die Macht dieser kriminellen Geheimgesellschaft unterstreicht. Praktisch ist das die offizielle Geburtsstunde der Mafia – kurz nachdem im Jahr 1860 der italienische Nationalstaat entstanden war.

      Historischer Hintergrund für die Entwicklung der Mafia ist die Tatsache, dass der Feudalismus in Italien erst 1812 abgeschafft wurde und sich diese feudalistischen Strukturen anders als im Norden in Süditalien noch lange bis ins 19. Jahrhundert hielten: Die großen Ländereien gehörten adeligen Großgrundbesitzern, die fern in Neapel, Rom oder Paris lebten und die Verwaltung ihres Grundbesitzes den sogenannten gabellotti überlassen hatten: Gutsverwaltern. Viehdiebstahl war das am meisten verbreitete Delikt – das allerdings nicht mit Hilfe der von den Bourbonen eingesetzten Autoritäten gelöst wurde, die für Ordnung sorgen sollten, sondern von den Vorläufern der Mafiabosse.

      Die erste umfassende Untersuchung der Mafia wurde 1876 von zwei jungen toskanischen Adeligen geleistet, Leopoldo Franchetti und Sidney Sonnino. Sie bereisten Sizilien, um die Situation von Wirtschaft und Verwaltung zu analysieren. Ihre Analyse ist von bleibendem Wert, weil sie die ersten waren, die das Machtsystem der Mafia auf moderne Art beschrieben: Als eine Verbrechensindustrie, ins Leben gerufen von bürgerlichen Gewalttätern, die das Gewaltmonopol des Staates ablehnen – und mit der territorialen Führungsklasse eng zusammenarbeiten.

      Diese Definition ist auch deswegen heute noch von Bedeutung, weil sie den unique selling point der Mafia herausgearbeitet hat, der bis heute zu ihrem Überleben beitrug: Die Mafia arbeitet nie an den Rändern der Gesellschaft, sie ist kein Fremdkörper, sie arbeitet im sozialen und politischen Herzen einer Gesellschaft. Bis heute. In Italien und im Rest der Welt.

      Als 2014 die Ermittlung um die römische Hauptstadtmafia bekannt wurde, lieferte einer der verhafteten Mafiosi in einem abgehörten Telefonat die wohl passendste Definition der Mafia der Moderne: »Das ist die Theorie der Zwischenwelt. Oben sind die Lebenden und unten sind die Toten, und wir sind dazwischen. Wir sind dazwischen, weil auch die Personen, die sich in der oberen Welt befinden, ein Interesse daran haben, dass jemand aus der unteren Welt Sachen erledigt, die niemand anderes machen kann. Das ist es: Alles vermischt

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