Die Gefühle der Tiere. Peter Wohlleben

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Die Gefühle der Tiere - Peter Wohlleben

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Posten. Oder würden Sie sich von einer Dame leiten lassen, die völlig durch den Wind ist?

      Muttertiere, die ihren Nachwuchs verlieren, müssen verstehen können, dass das Kleine tot ist. Ansonsten wäre eine Trennung nicht machbar, gefährdeten sich die Eltern beim Verharren neben dem Leichnam selbst. Zum einen wäre ein Weiterwandern mit der Sippe nicht möglich, zum anderen werden durch den Kadaver Raubtiere angelockt. Dieses Verständnis braucht einige Tage, um zu reifen. Erst dann trennt sich das Muttertier vom kleinen Leichnam und nimmt sein gewohntes Leben wieder auf.

      Es gibt noch weitere Gründe, die das Registrieren des Tods absolut notwendig machen. Stirbt ein Vertreter der eigenen Art in der Nähe, so besteht möglicherweise Lebensgefahr für den Rest der Sippe. Ob Seuche oder Raubtier, jetzt ist höchste Aufmerksamkeit gefragt, sonst wird man selbst zum Opfer. Hinweise, dass Tiere den Tod von Artgenossen mit Schrecken wahrnehmen, gibt es schon lange. Bis heute wird ein alter (und hässlicher) Brauch ausgeübt: Dazu werden Saatkrähen geschossen und an Stangen im Feld aufgehängt. So möchten manche Bauern Fraßschäden abwehren. Und tatsächlich wirkt dieses barbarische Mittel zumindest eine Zeit lang.

      Etwas weniger dramatisch kamen Forscher der Universität von Kalifornien zu ähnlichen Schlüssen, die Folgendes beschreiben: Die mit unseren heimischen Krähen verwandten Westlichen Buschhäher versammeln sich nach dem Tod eines Artgenossen. Für ein bis zwei Tage sitzen sie um den Leichnam herum und stoßen charakteristische Rufe aus. Es sieht also ganz so aus, als hätten viele Tiere eine Vorstellung vom Ende des Lebens, in der Form des Sterbens für sich selbst und als Tod für Angehörige.

      Mit dem Tod untrennbar verbunden ist für Menschen die Trauer. Niedergeschlagenheit, Desorientierung und oft eine veränderte Lebensführung kennzeichnen die Folgen dieser Emotion. Im Blut sind entsprechende Stresshormone nachweisbar. Trauer ist die instinktive Antwort auf den Tod. Und dieser Instinkt ist auch bei vielen Tieren vorhanden. Vielfach werden Haustiere (vor allem Hunde) beschrieben, die nach dem Tode von Frauchen oder Herrchen die Nahrungsaufnahme verweigern. Graugänse, die in einer lebenslangen Ehe mit ihrem Partner leben, bleiben nach dessen Tod oft allein und zeigen Symptome einer Depression. Konrad Lorenz, der berühmte Verhaltensforscher, konnte nachweisen, dass die Phase des Alleinbleibens umso länger dauert, je länger das Paar »verheiratet« war. Bei sehr alten Ehen sucht sich die verwitwete Gans für den Rest ihres Lebens keinen neuen Partner mehr, ein Phänomen, welches auch beim Kolkraben zu finden ist.

      Empathie im Tierreich

      Jemand anderes nicht nur vom Äußeren her, sondern ganzheitlich, also mit all seinen Gefühlen verstehen zu können – diese Fähigkeit bezeichnet man als Empathie.

      Ein typisches Beispiel aus diesem Bereich ist das Mitgefühl oder im Falle eines negativen Ereignisses das Mitleid. Der griechische Philosoph Aristoteles definierte schon vor 2300 Jahren Mitleid als »ein gewisses Schmerzgefühl über ein in die Augen fallendes, vernichtendes und Schmerz bringendes Übel, das jemanden trifft, der nicht verdient, es zu erleiden«. Wissenschaftler der Universität London fanden heraus, dass bei der mitleidenden Person die gleichen Gehirnregionen angeregt werden, welche beim malträtierten Probanden aktiv sind. So wurde bei Paaren zunächst einem Partner an einer Hand Schmerz zugefügt und dabei die Gehirnströme gemessen. Danach sah diese Person zu, wie die gleiche Hand des anderen Partners ebenfalls schmerzvoll gereizt wurde. Und siehe da: In beiden Fällen wurde das Schmerzzentrum aktiv, sodass der zusehende Partner die Situation gedanklich ebenfalls durchlitt. Die Aktivität des Schmerzzentrums war dabei umso stärker, je mehr Mitleid der Proband empfand. Die genauen Abläufe dieser instinktgesteuerten Fähigkeit sind noch unbekannt; klar ist jedoch, dass allein die Beobachtung eines anderen diese Mitleidsprozesse in Gang setzt und die entsprechenden Bilder und Gefühle im Gehirn erzeugt. Je näher uns eine betreffende Person steht, desto stärker kann das Mitleid ausfallen. Dies legt eine weitere Vermutung nahe: Empathie kann es nur bei Wesen geben, die in sozialen Strukturen leben. Gilt das nur für den Menschen? Oder gibt es Mitgefühl auch bei anderen Arten oder sogar zwischen diesen?

      Innerartliche Empathie ist nichts typisch Menschliches. Von vielen Säugetieren ist bekannt, dass sie sich von Emotionen anderer berühren lassen. Auch Mitgefühl und der Wunsch, dem anderen zu helfen, sind keine Seltenheit. Wissenschaftler der Universität Chicago untersuchten hierzu Ratten. Diese befreiten eingesperrte Artgenossen aus Käfigen, obwohl sie eigentlich zeitgleich angebotene Schokolade fressen konnten. Stattdessen kümmerten sie sich erst um die Häftlinge und teilten anschließend sogar ihre Belohnung mit den Freigelassenen.

      Angesichts neuerer Erkenntnisse bei Bäumen klingt das vergleichsweise trivial. Buchen etwa unterstützen Nachbarn mit Zuckerlösung, wenn es diesen schlecht geht. Dazu tauschen sie über Wurzel- und Pilzgeflechte, mit denen sie untereinander Netzwerke bilden, Botschaften und anschließend Flüssigkeiten aus. Woher wissen sie, dass es einem Artgenossen schlecht geht? Hier steht die Wissenschaft noch ganz am Anfang, Tatsache ist jedoch, dass die Bäume die Not ihrer Kumpel registrieren und daraufhin helfend eingreifen. Und wenn Buchen oder Eichen so etwas können, dann ist es bei sozial organisierten Tieren fast eine Selbstverständlichkeit. Allein schon die Mutter-Kind-Beziehung funktioniert nur, wenn Mama die Bedürfnisse ihres Nachwuchses nachvollziehen kann. So stellten britische Forscher fest, dass Glucken mit Herzrasen auf Stress bei ihren Küken reagieren. Ähnliches ist bei den meisten Vögeln und Säugetieren zu vermuten. Wie aber sieht es mit der Empathie zwischen verschiedenen Arten aus? Ist hier endgültig eine Konstellation gefunden, in der wir einsame Spitze sind?

      Tasten wir uns behutsam an die Antwort heran und untersuchen verschiedene Variationen. Die erste, relativ einfach nachzuvollziehende ist die zwischen Mensch und geliebtem Haustier. Allein in Deutschland existieren viele Millionen derartige Beziehungen. Hunde und Katzen haben bei den meisten Besitzern den Status eines Familienmitglieds, in manchen Fällen stehen sie sogar anstelle eines Kindes. Dass sich Herrchen und Frauchen problemlos in die Gefühlswelt ihrer Lieblinge hineinversetzen können, steht zumindest vonseiten des Menschen fest. Egal, ob dies tatsächlich oder nur eingebildet so ist: Es wird kräftig mitgefühlt. Und umgekehrt?

      Es gibt deutliche Hinweise, dass die Vierbeiner sogar unsere Gedanken lesen können. Forscher des Max-Planck-Instituts in Leipzig fanden heraus, dass Hunde Gesten des Menschen verstehen. Diese Fähigkeit ist angeboren, muss also nicht erst erlernt werden. Zur Untersuchung wurden zwei geruchsabschirmende, umgedrehte Becher aufgestellt, einer mit Futter darunter, einer ohne. Mit der Hand deuteten die Versuchspersonen in die Richtung, in der die Belohnung gesucht werden sollte. In den meisten Fällen machten sich die Hunde am richtigen Becher zu schaffen. Lag das Futter offen herum und lautete der Befehl »Aus!«, so blieben sie brav liegen – bis sich die Person umdrehte, sodass der Hund sich unbeobachtet wähnte und rasch fraß. Wie sehr sich Hunde in uns hineinversetzen können, wurde bei einem weiteren Versuch der Leipziger Forscher noch deutlicher. Dazu wurden den Hunden zwei Spielzeuge vorgelegt. Das eine konnte der Versuchsleiter sehen, das andere war aus seiner Perspektive hinter einem Schirm verdeckt, während die Hunde gute Sicht auf beide hatten. Auf das Kommando »Bring’s mir her« brachten die Vierbeiner stets dasjenige, welches der Leiter sah. Das andere konnte er ja nicht gemeint haben – so dachten offensichtlich die Hunde und zeigten damit, wie sehr sie aus der Sicht des Menschen entschieden. Aus der Beobachtung unseres Äußeren können diese Haustiere also auf unsere Absichten und Möglichkeiten schließen, und das übrigens besser als etwa Schimpansen. Allzu viele Beispiele von Mitgefühl zwischen verschiedenen Arten gibt es allerdings (noch) nicht.

      Genau wie bei unserer Spezies endet auch beim Tier die Empathie dort, wo das andere Wesen zu verschieden vom eigenen wird. Von einem besonders abstoßenden Beispiel berichtete mir eine Tierschützerin. Abstoßend war hierbei allerdings eher die Rolle des Menschen. Auf der Insel Sylt wurde zu einer Treibjagd geblasen. Im Mittelpunkt des Interesses der Jäger waren Hasen, die sich im sandigen Gras der Dünen tummelten. Die Waidmänner standen

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