Klausurenkurs im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht. Christoph Herrmann
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Maßgebliche Bedeutung erlangt das allgemeine Völkerrecht im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht darüber hinaus regelmäßig im Rahmen von kodifiziertem Völkergewohnheitsrecht, etwa der WVK oder auch den Regeln über die Deliktshaftung der Staaten wegen der Verantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Handeln, die in den ILC Draft Articles niedergeschrieben sind. So hat etwa die UN-Völkerrechtskommission (International Law Commission [ILC]) mit den ILC Draft Articles eine Verschriftlichung der Regeln zur deliktischen Staatenverantwortlichkeit erreicht, die mit der Resolution 56/83 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12.12.2001 angenommen wurde. Eine völkervertragsrechtliche Grundlage i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln oder Unterlassen existiert damit allerdings nicht. Verbindlichen Charakter erhält die völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit weiterhin vielmehr „lediglich“ als Gewohnheitsrecht i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut (siehe Fall 16, Rn. 932).
II. Das Recht der WTO und regionale Handelsabkommen
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Die WTO ist eine internationale Organisation mit derzeit 164 Mitgliedern, die auf Grundlage des Übereinkommens zur Errichtung der WTO (WTO-Übereinkommen) zum 1.1.1995 gegründet worden ist. In die rechtliche WTO-Struktur sind gemäß den Anhängen des WTO-Übereinkommens mehrere multi- und plurilaterale Abkommen integriert, etwa das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen 1994 (GATT 1994), das Übereinkommen über die Landwirtschaft, das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (alle Anhang 1A), das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) (Anhang 1B) sowie die Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung (Anhang 2).
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Das Regulierungsregime der WTO begründet keinen Freihandel, sondern zielt auf die Erhöhung des Liberalisierungsgrades des internationalen Handels und damit auf einen freieren Handel ab. Es beinhaltet ein umfassendes Antidiskriminierungsregime sowie den „tariffs only“- und „bound tariffs“-Grundsatz.
1. Der „tariffs only“-/„bound tariffs“-Grundsatz des GATT
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Im Zusammenhang mit dem „tariffs only“-Grundsatz ist zunächst festzuhalten, dass die schlichte Erhebung von Zöllen nicht per se gegen WTO-Recht verstößt. Als offensichtliche Maßnahmen aufgrund des Grenzübertritts sind Zölle im WTO-Recht grundsätzlich ein legitimes Instrument zur Lenkung der Warenströme.[40] Normativ ergibt sich der „tariffs only“-Grundsatz aus Art. XI:1 GATT i.V.m. Art. II GATT. Dabei bestimmt Art. XI:1 GATT, dass Kontingente, Ein- bzw. Ausfuhrbewilligungen wie auch andere Maßnahmen, die den Marktzugang bzw. Marktaustritt von Waren in nicht-tarifärer Art und damit regelmäßig wenig transparenter Weise behindern, verboten sind (siehe dazu Fall 15, Rn. 902 ff.).[41] Art. II:1 GATT schreibt darüber hinaus die Zollbindung der WTO-Mitglieder an die gemäß Art. XI:1 WTO-Übereinkommen beizufügenden Listen der Zugeständnisse und Verpflichtungen vor („bound tariffs“). Die WTO-Mitglieder können mittels der Listen untereinander verbindliche Maximalzölle festlegen, dürfen die in den Listen festgelegten Maximalzölle allerdings nicht überschreiten.[42] Die Zolllisten sind gemäß Art. II:7 GATT ein Bestandteil des GATT (siehe Fall 14, Rn. 831 ff.).
a) Grundpfeiler des Antidiskriminierungsregimes
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In materieller Hinsicht basiert das WTO-System darüber hinaus im Wesentlichen auf einem umfassenden Antidiskriminierungsregime, das den Grundsatz der Meistbegünstigung sowie denjenigen der Inländer(gleich)behandlung umfasst. Während nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz ein gegenüber einem WTO-Mitglied gewährter Vorteil auf alle anderen WTO-Mitglieder auszuweiten ist (vgl. Art. I:1 GATT; Art. II GATS), verbietet die Inländerbehandlung die Schlechterstellung gleichartiger ausländischer Waren bzw. Dienstleistungen gegenüber inländischen nach deren Markteintritt (vgl. Art. III GATT). Im Bereich des GATS besteht die Besonderheit, dass für den Umfang der Verpflichtungen die in den Listen i.S.v. Art. XI:1 GATS vorgenommenen Zugeständnisse maßgeblich sind (sogenannter positive list approach).
aa) Die Kriterien der GATT-Arbeitsgruppe „Working Party on Border Tax Adjustments“
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Eine besondere Schwierigkeit im Rahmen des Art. I:1 GATT bzw. des Art. III GATT besteht regelmäßig hinsichtlich der Bestimmung der Gleichartigkeit der in Rede stehenden Produkte. Diesbezüglich ist auf die von der GATT-Arbeitsgruppe „Working Party on Border Tax Adjustments“ bereits 1970 erarbeiteten Kriterien zurückzugreifen, nämlich die physikalischen Eigenschaften der Ware, deren Endverbrauch, die Vorlieben und Gewohnheiten von Verbrauchern sowie die Zolltarifklassifikation.[43] Zu beachten ist, dass diese Kriterien einer auf den Einzelfall bezogenen Bewertung dienen sollen, inwiefern zwischen den in Rede stehenden Erzeugnissen eine Wettbewerbsbeziehung besteht (siehe dazu Fall 3, Rn. 240 und Fall 15, Rn. 910).[44]
bb) Herstellungs- bzw. Produktionsmethoden als Gleichartigkeitskriterien
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Zur Bildung der relevanten Vergleichsgruppe kann dagegen nicht unmittelbar die „Herstellungs- bzw. Produktionsmethode“ (Process and Production Method [PPM]) einer Ware herangezogen werden.[45] Allenfalls können PPMs insoweit mittelbar bei der Bestimmung der Gleichartigkeit Berücksichtigung finden, dass diese einen Produktbezug haben (product-related PPMs [PR-PPMs]) und sich etwa in den physikalischen Eigenschaften des Erzeugnisses bzw. in dessen Qualität niederschlagen.[46] Sofern PPMs dagegen keinen Einfluss auf die Produktqualität nehmen und damit keinen unmittelbaren Produktbezug aufweisen (non-product-related PPMs [NPR-PPMs]), widerspricht deren Heranziehung der Dogmatik des GATT. Besonders deutlich wird dies im Falle der Gleichartigkeitsprüfung anhand von Verbrauchervorlieben, die in erheblichem Maße von unterschiedlichen Herstellungsmethoden abhängen können. So dürfte nicht nur die Objektivierung der subjektiven Verbrauchererwägungen regelmäßig Schwierigkeiten bereiten, sondern es dürfte aus dogmatischer Sicht vor allem entscheidend sein, dass das GATT die Berücksichtigung derartiger Erwägungsgründe, die sich in der jeweiligen staatlichen Maßnahme manifestieren, vielmehr als Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Rechtfertigung gemäß Art. XX GATT vorsieht (siehe dazu Fall 3, Rn. 242 ff.; Fall 15, Rn. 913 ff.).