Anna Karenina, 2. Band. Лев Толстой
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So sprach man fortwährend von Aleksey Aleksandrowitsch, ihn richtend und verspottend, während dieser, dem von ihm in Beschlag genommenen Mitglied des Staatsrates den Weg vertretend, und um keine Minute seine Ausführungen verkürzend, um ihn nicht fortlassen zu müssen, demselben Punkt für Punkt einen Finanzplan vorlegte.
Fast zu gleicher Zeit, als Aleksey Aleksandrowitsch von seinem Weibe verlassen wurde, ereignete sich für diesen das bitterste Ereignis was einem Beamten passieren kann – Stillstand in seiner aufwärtsführenden Carriere. Derselbe war Thatsache geworden, und alle erkannten dies klar, Aleksey Aleksandrowitsch selbst aber hatte sich noch nicht eingestanden, daß seine Carriere zu Ende sei. War es der Zusammenstoß mit Stremoff, war es das Unglück mit seinem Weibe, oder einfach der Umstand, daß Aleksey Aleksandrowitsch zu der ihm bestimmten Grenze gelangt war, für jedermann war es im laufenden Jahre klar geworden, daß es mit seiner amtlichen Laufbahn vorüber war. Er bekleidete noch einen wichtigen Posten, er war noch Mitglied vieler Kommissionen und Komitees, aber auch ein Mann, der in Ungnade gefallen, und von welchem man nichts mehr erwartete. Was er auch reden mochte, was er auch in Vorschlag brachte, man hörte ihn, als wäre das, was er beantragte, schon längst bekannt und eben gerade das, was gar nicht notwendig war.
Aber Aleksey Aleksandrowitsch merkte das nicht, im Gegenteil, der direkten Teilnahme an der Regierungsthätigkeit fernstehend, sah er jetzt viel klarer, als früher, die Mängel und Fehler in der Thätigkeit anderer, und hielt es für seine Pflicht, auf die Mittel zu deren Verbesserung hinzuweisen.
Bald nach seiner Trennung von der Gattin begann er, seine Denkschrift über die neue Rechtsordnung zu schreiben, die erste aus einer zahllosen Reihe niemandem nutzbringender Denkschriften über alle Zweige der Verwaltung, welche er sich vorgenommen hatte, zu schreiben.
Aleksey Aleksandrowitsch erkannte seine hoffnungslose Stellung in der Beamtenwelt nicht nur nicht, er war auch nicht erbittert hierüber, sondern eher noch mehr als je zufrieden mit seiner Thätigkeit.
„Ein Beweibter sorgt sich um das Eitle, wie er seinem Weibe gefallen mag, ein Unbeweibter um das Erhabene, wie er dem Herrn gefallen kann,“ sagt der Apostel Paulus, und Aleksey Aleksandrowitsch, in allen Dingen jetzt nur noch geleitet von der heiligen Schrift, erinnerte sich oft dieses Textes. Es schien ihm, daß er seit der Zeit, seit welcher er ohne seine Frau lebte, gerade mit diesen Projekten dem Herrn mehr diente, als früher.
Die augenscheinliche Ungeduld des Mitgliedes des Staatsrats, welches wünschte, von ihm loszukommen, setzte Aleksey Aleksandrowitsch nicht in Verlegenheit; er hörte nicht eher damit auf, seinen Plan zu entwickeln, als bis das Ratsmitglied, die Gelegenheit des Vorüberschreitens der Persönlichkeit aus der Zarenfamilie benutzend, ihm entschlüpft war.
Allein geblieben, ließ Aleksey Aleksandrowitsch den Kopf sinken, indem er seine Gedanken sammelte, blickte dann zerstreut um sich, und schritt der Thür zu, an welcher er der Gräfin Lydia Iwanowna zu begegnen hoffte.
„Wie sind sie alle körperlich so stark und gesund,“ dachte Aleksey Aleksandrowitsch, auf den mächtigen Kammerherrn mit seinem frisierten, wohlriechenden Backenbart blickend, auf den rotschimmernden Hals des straff in seiner Uniform erscheinenden Fürsten, an denen er vorbeizuschreiten hatte. „Es ist ganz richtig gesagt, daß alles in der Welt von Übel ist,“ dachte er, nochmals seitwärts nach den Waden des Kammerherrn blickend.
Langsam seine Beine weiterbewegend, verbeugte er sich mit dem gewöhnlichen Ausdruck von Ermüdung und Würde vor jenen Herren, welche von ihm gesprochen hatten, und suchte, nach der Thür blickend, mit seinen Augen die Gräfin Lydia Iwanowna.
„Ah, Aleksey Aleksandrowitsch!“ sagte der alte Herr, mit boshaft blinzelnden Augen, während Karenin neben ihm hinschritt und mit kalter Bewegung den Kopf neigte.
„Ich habe Euch noch nicht beglückwünscht,“ sagte der alte Herr, auf sein neuempfangenes Ordensband weisend.
„Ich danke Euch,“ versetzte Aleksey Aleksandrowitsch, „welch ein herrlicher Tag ist heute,“ fügte er hinzu, nach seiner Gewohnheit besonders Betonung auf das Wort „herrlich“ legend.
Daß man über ihn lachte, wußte er, aber er erwartete von ihnen ja auch gar nichts anderes als Feindseligkeit; er war schon daran gewöhnt.
Als er die aus dem Korsett emporsteigenden gelben Schultern der Gräfin Lydia Iwanowna, die in die Thür getreten war, und ihre ihn zu sich rufenden, schönen sinnigen Augen erblickte, lächelte er, die weißen, nicht schlecht gewordenen Zähne zeigend, und begab sich zu ihr hin.
Die Toilette Lydia Iwanownas hatte große Mühe gekostet, wie überhaupt alle ihre Toiletten in der letzten Zeit. Der Zweck derselben war jetzt ein vollständig umgekehrter im Vergleich zu dem, welchen sie vor dreißig Jahren damit verfolgt hatte.
Damals hatte sie sich nur mit Etwas putzen wollen, je mehr, um so besser. Jetzt, im Gegenteil hatte sie so notorisch in einer ihren Jahren und ihrer Figur nicht entsprechenden Weise an Schönheit verloren, daß sie nur noch darum bemüht war, den Gegensatz zwischen diesem Putz und ihrer äußeren Erscheinung nicht gar zu schrecklich werden zu lassen.
Was Aleksey Aleksandrowitsch anbetraf, so hatte sie dies erreicht, und erschien diesem anziehend. Sie bildete für ihn die einzige Insel nicht nur von Zuneigung, sondern auch der Liebe, inmitten des Meeres von Feindseligkeit und Hohn, das ihn umgab.
Durch die Spießrutengasse von höhnischen Blicken hindurchschreitend, strebte er naturgemäß ihrem Blick voll Liebe zu, wie die Pflanze dem Licht.
„Ich gratuliere Euch,“ sprach sie zu ihm, mit den Augen auf sein Ordensband weisend.
Ein Lächeln des Vergnügens unterdrückend, zuckte er nur mit den Schultern, die Augen schließend, als wollte er sagen, es könne ihn dies nicht erfreuen. Die Gräfin Lydia Iwanowna wußte recht wohl, daß dies für ihn eine der höchsten Freuden war, obwohl er es nimmermehr eingestanden haben würde.
„Was macht unser Engel?“ sagte die Gräfin Lydia Iwanowna, an Sergey denkend.
„Kann nicht gerade sagen, daß ich vollständig zufrieden mit ihm wäre,“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, die Brauen in die Höhe ziehend und die Augen öffnend. „Auch Sitnikoff ist nicht zufrieden mit ihm.“ Sitnikoff war der Pädagog, dem die weltliche Erziehung Sergeys anvertraut war. „Wie ich Euch schon gesagt habe, besitzt er eine gewisse Kühlheit gerade denjenigen Hauptfragen gegenüber, die die Seele eines jeden Menschen, und jedes Kind berühren,“ begann er, seine Gedanken über die einzige, ihn neben seiner amtlichen Thätigkeit interessierende Frage zu entwickeln – über die Erziehung seines Sohnes.
Nachdem Aleksey Aleksandrowitsch mit Hilfe Lydia Iwanownas aufs neue dem Leben und der Thätigkeit wieder geschenkt worden war, fühlte er auch seine Verpflichtung, sich mit der Erziehung des Kindes zu befassen, welches in seinen Händen geblieben war. Da er sich vorher niemals mit Erziehungsangelegenheiten beschäftigt hatte, so opferte Aleksey Aleksandrowitsch einige Zeit dem theoretischen Studium des Gegenstandes, und indem er einige anthropologische, pädagogische und didaktische Bücher durchlas, stellte er einen Erziehungsplan auf, und ging, den besten Petersburger Schulmann zur Leitung desselben einladend, ans Werk. Dieses Werk nun beschäftigte ihn beständig.
„Ja, aber das Herz? Ich erkenne in ihm das Herz des Vaters und mit einem solchen Herzen kann ein Kind nicht schlecht sein,“ sagte Lydia Iwanowna verzückt.
„Ja, mag sein; was mich anbetrifft, so erfülle ich meine Pflicht. Das ist alles, was ich thun kann.“
„Ihr