Anna Karenina, 2. Band. Лев Толстой

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Anna Karenina, 2. Band - Лев Толстой

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fort, Golenischtscheff aufmerksam ins Gesicht blickend.

      „Ah, ich wüßte nicht,“ antwortete Golenischtscheff ruhig – der recht wohl das Verhältnis kannte – „bist du schon seit lange hier angekommen?“ fügte er hinzu.

      „Ich? Seit vier Tagen,“ antwortete Wronskiy, noch einmal aufmerksam das Gesicht des Schulkameraden musternd.

      „Ja wohl, er ist ein vernünftiger Mensch und nimmt die Dinge, wie sichs gehört,“ sagte Wronskiy zu sich selbst, die Bedeutung des Gesichtsausdrucks Golenischtscheffs und den Wechsel der Unterhaltung verstehend; „man kann ihn schon mit Anna bekannt machen; er verhält sich ganz so, wie es sich gehört.“

      Wronskiy hatte sich während der drei Monate, die er im Auslande mit Anna zugebracht hatte, im Zusammentreffen mit den Menschen stets die Frage vorgelegt, wie die betreffende neuerscheinende Person seine Beziehungen zu Anna betrachte, und größtenteils begegnete er bei den Männern der Auffassung „wie es sich gehörte“. Wenn man ihn aber frug, oder diejenigen frug, welche verstanden, was das „wie es sich gehört“, eigentlich bedeute, so wäre wohl er selbst ebenso wie jene in großer Verlegenheit gewesen.

      In Wirklichkeit verstanden diejenigen, welche nach Wronskiys Meinung das „wie es sich gehört“ kannten, dieses nicht im geringsten, sondern verhielten sich nur im allgemeinen so, wie wohlerzogene Leute sich in allen verwickelten und unlösbaren Fragen zu verhalten pflegen, die das Leben von allen Seiten umgeben – sie verhielten sich zurückhaltend, und mieden Anspielungen und unangenehme Fragen. Sie gaben sich den Anschein, als ob sie vollständig Bedeutung und Sinn der Situation erfaßt hätten, sie erkannten dieselbe an und hießen sie sogar gut, hielten es aber für unangebracht und überflüssig, das alles auszusprechen.

      Wronskiy hatte sich nicht sogleich gedacht, daß Golenischtscheff einer von diesen Leuten wäre, und er war daher doppelt erfreut über ihn. In der That verhielt sich Golenischtscheff der Karenina gegenüber, nachdem er bei derselben eingeführt worden war, so, wie Wronskiy es nur immer wünschen konnte. Augenscheinlich vermied er ohne die geringsten Schwierigkeiten alle Gespräche, die zu einer peinlichen Situation hätten führen können.

      Er hatte Anna früher nicht gekannt und war überrascht von ihrer Schönheit, noch mehr aber von der Naivetät, mit welcher sie ihre Lage auffaßte. Sie errötete, als Wronskiy Golenischtscheff einführte, und dieses kindliche Erröten, das ihr offenes schönes Gesicht überzog, gefiel ihm außerordentlich. Besonders aber sprach ihn an, daß sie sogleich, wie in der Absicht keinerlei Zweifel in Gegenwart eines Fremden möglich bleiben zu lassen, Wronskiy einfach „Aleksey“ nannte und erzählte, daß sie mit ihm in ein neugemietetes Haus übersiedeln werde, welches man hier den Palazzo nenne. Dieses offenherzige und naive Verhalten angesichts ihrer Lage gefiel Golenischtscheff. Angesichts dieser gutmütig heitern energischen Art und Weise Annas und seiner Bekanntschaft mit Aleksey Aleksandrowitsch und Wronskiy schien es ihm, als ob er sie vollständig verstände. Es schien ihm als ob er erkenne, was sie nicht im entferntesten erkannte; nämlich das, daß sie sich, das Unglück eines Mannes verschuldend, indem sie ihn und ihren Sohn verließ und ihren guten Ruf verlor, dennoch voll Energie heiter und glücklich fühlen konnte.

      „Er liegt dort drüben,“ sagte Golenischtscheff, den Palazzo meinend, den Wronskiy gemietet hatte. „Es befindet sich ein schöner Tintoretto dort, aus der letzten Epoche des Künstlers.“

      „Wißt Ihr was? Das Wetter ist schön, begeben wir uns einmal hin und besichtigen wir ihn nochmals,“ sagte Wronskiy, sich zu Anna wendend.

      „Sehr erfreut; ich komme sogleich mit und will nur meinen Hut aufsetzen, Ihr sagt, es ist heiß?“ sprach sie, an der Thür stehen bleibend und fragend auf Wronskiy blickend. Wiederum bedeckte eine helle Röte ihr Gesicht.

      Wronskiy erkannte an ihrem Blick, daß sie nicht wisse, in welchen Beziehungen er mit Golenischtscheff zu stehen gedenke, und besorgt sei, ob sie sich auch so verhalten habe, wie er es gewünscht haben möchte.

      Er schaute sie mit einem zärtlichen langen Blicke an.

      „Nein, nicht so sehr,“ versetzte er.

      Ihr schien, daß sie damit alles verstanden hatte, namentlich, daß er zufrieden mit ihr sei, und ihm zulächelnd ging sie schnellen Schrittes zur Thür hinaus.

      Die Freunde blickten einander an und in den Zügen beider erschien Verlegenheit, es war, als ob Golenischtscheff, augenscheinlich bezaubert von ihr, etwas über sie zu sagen wünschte, aber nicht fände was, während Wronskiy das Nämliche wünschte und es doch zugleich fürchtete.

      „So ist es also“ – begann Wronskiy, um doch wieder eine Unterhaltung anzuknüpfen, „du hast dich hier angesiedelt? Treibst du denn noch immer deine alte Beschäftigung?“ fuhr er fort, sich erinnernd, daß man ihm gesagt hatte, Golenischtscheff schriebe etwas.

      „Ja. Ich schreibe den zweiten Teil meiner ‚Zwei Gesetze‘,“ antwortete dieser, vor Vergnügen über diese Frage ins Feuer geratend, „das heißt, um genau zu sein, ich schreibe noch nicht, sondern bereite noch vor, ich sammle Material. Dieser zweite Teil wird bei weitem umfangreicher werden und fast sämtliche Fragen umfassen. Man will bei uns in Rußland nicht begreifen, daß wir die Erben von Byzanz sind,“ begann er eine lange eifrige Auseinandersetzung.

      Wronskiy war es anfangs peinlich, daß er die erste Abhandlung über die „Zwei Gesetze“, über welche der Autor mit ihm sprach, als ob sie etwas ganz Bekanntes wäre, gar nicht kannte. Als aber Golenischtscheff seine Ideen zu entwickeln begann, und Wronskiy ihm zu folgen vermochte, hörte ihn der Letztere, auch ohne die „Zwei Gesetze“ zu kennen, mit Interesse an, da Golenischtscheff gut sprach, doch versetzte ihn die verbissene Erregtheit, mit welcher Golenischtscheff über den ihn beschäftigenden Gegenstand sprach, in Erstaunen und Mißstimmung. Je länger jener sprach, umsomehr entflammte sich sein Blick, umsomehr beeilte er sich, eingebildeten Gegnern zu replizieren und um so unruhiger und trüber wurde sein Gesichtsausdruck. Wronskiy war, indem er sich Golenischtscheff als den hageren, lebhaften und gutmütigen Knaben von gutem Herkommen, der stets der Erste im Corps gewesen war, in die Erinnerung zurückrief, nicht imstande, einen Grund für diese Gereiztheit zu finden, und schüttelte den Kopf über ihn. Insbesondere wollte ihm nicht gefallen, daß Golenischtscheff als ein Mann aus der guten Gesellschaft, sich auf eine Stufe mit gewissen Skriblern stellte, die ihn gereizt hatten, und denen er nun grollte. War das die Sache wert? Wronskiy gefiel dies nicht, aber er empfand, daß Golenischtscheff unglücklich war, und fühlte Mitleid mit ihm. Verzweiflung, ja fast Geistesverwirrung war auf diesen beweglichen, ziemlich angenehmen Zügen sichtbar, während er, Annas Eintreten gar nicht einmal bemerkend, fortfuhr, hastig und eifrig seine Ideen zu äußern.

      Als Anna in Hut und Überwurf, mit ihrer schönen Hand in schnellen Bewegungen mit dem Sonnenschirm spielend, neben Wronskiy stehen blieb, riß sich dieser mit einem Gefühl der Erleichterung von den starr auf ihn gerichteten, klagenden Blicken Golenischtscheffs los und schaute mit neuer Liebe auf seine reizende Freundin in ihrer Fülle von Lebenskraft und Freude.

      Golenischtscheff konnte sich nur schwer wieder sammeln und blieb anfangs niedergeschlagen und finster, doch belebte ihn Anna, freundlich gegen jedermann gestimmt – wie sie überhaupt während dieser Zeit war – bald wieder durch die Natürlichkeit und Heiterkeit ihres Verkehrs. Nachdem sie verschiedene Themata versucht hatte, brachte sie das Gespräch auf die Malerei, über die er sehr gut sprach und hörte ihm aufmerksam zu. Sie gingen zu Fuße nach dem gemieteten Haus und besichtigten es.

      „Über Eines freue ich mich sehr,“ sagte Anna zu Golenischtscheff, als sie bereits auf dem Rückwege waren. „Aleksey wird ein gutes Atelier haben. Du wirst doch ohne Zweifel dieses Zimmer nehmen,“ sagte sie zu Wronskiy auf russisch, ihn jetzt duzend, da sie schon erkannt hatte, daß Golenischtscheff ihnen in ihrer Einsamkeit sehr nahe treten würde, und man so vor ihm nichts zu verhehlen brauche.

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