Ungeduld des Herzens / Нетерпение сердца. Стефан Цвейг

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Ungeduld des Herzens / Нетерпение сердца - Стефан Цвейг Exklusive Klassik

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die Landschaft sich immer weiter ins Ferne auffalten zu sehen; tatsächlich bot jede dieser schmalen unverglasten Luken ein neues bezauberndes Bild. Über dem sommerlichen Lande lag wie ein goldenes Gespinst ein windstiller, durchsichtig heißer Tag. In fast reglosen Ringen schnörkelte sich der Rauch über den Schornsteinen der verstreuten Häuser und Höfe, man sah – jede Kontur wie mit einem scharfen Messer aus dem stahlblauen Himmel geschnitten – die strohgedeckten Hütten mit ihrem unvermeidlichen Storchennest auf dem Giebel, und die Ententeiche vor den Scheunen blitzten wie geschliffenes Metall. Dazwischen in den wachsfarbenen Feldern liliputanisch winzige Figuren, weidende Kühe in gesprenkelten Farben, jätende und waschende Frauen, ochsengezogene schwere Gespanne und behend hinflitzende Wägelchen inmitten der sorgfältig rastrierten Felderkarrees. Als ich die etwa neunzig Stufen emporgestiegen war, umfaßte der Blick gesättigt die ganze Runde des ungarischen Flachlands bis an den leicht dunstigen Horizont, wo in der Ferne ein erhobener Streifen blaute, vielleicht die Karpathen, und zur Linken leuchtete zierlich zusammengedrängt unser Städtchen mit seinem zwiebligen Turm. Freien Auges erkannte ich unsere Kaserne, das Rathaus, das Schulhaus, den Exerzierplatz, zum erstenmal seit meiner Transferierung in diese Garnison empfand ich die anspruchslose Anmut dieser abseitigen Welt.

      Aber mich gelassen dieser freundlichen Schau hinzugeben, ging nicht an, denn, bereits an die flache Terrasse emporgelangt, mußte ich mich bereitmachen, die Kranke zu begrüßen. Zunächst entdeckte ich Edith überhaupt nicht; der weiche Strohfauteuil, in dem sie ruhte, wandte mir seine breite Rücklehne zu, die wie eine bunte wölbige Muschel ihren schmalen Körper völlig verdeckte. Nur an dem danebenstehenden Tisch mit Büchern und dem offenen Grammophon gewahrte ich ihre Gegenwart. Ich zögerte, zu unvermittelt gegen sie vorzutreten; das konnte die Ruhende oder Träumende vielleicht erschrecken. So wanderte ich das Viereck der Terrasse entlang, um ihr lieber Auge in Auge entgegenzukommen. Aber da ich behutsam nach vorne schleiche, merke ich, daß sie schläft. Man hat den schmalen Körper sorgfältig eingebettet, eine weiche Decke um die Füße geschlagen, und auf einem weißen Kissen ruht, ein wenig zur Seite geneigt, das ovale, von rötlichblondem Haar umrahmte Kindergesicht, dem die schon sinkende Sonne einen bernsteingoldenen Schein von Gesundheit leiht.

      Unwillkürlich bleibe ich stehen und nutze dies zögernde Warten, um die Schlafende wie ein Bild zu betrachten. Denn eigentlich habe ich bei unserem oftmaligen Beisammensein noch nie wirklich Gelegenheit gehabt, sie geradewegs anzuschauen, denn wie alle Empfindlichen und Überempfindlichen leistet sie einen unbewußten Widerstand, sich betrachten zu lassen. Auch wenn man sie nur zufällig im Gespräch anblickt, spannt sich sofort die kleine ärgerliche Falte zwischen den Brauen, die Augen werden fahrig, die Lippen nervös, nicht einen Augenblick gibt sich unbewegt ihr Profil. Nun erst, da sie mit geschlossenen Augen liegt, widerstandlos und reglos, kann ich (und ich habe das Gefühl eines Ungehörigen, eines Diebstahls dabei) das ein wenig eckige und gleichsam noch unfertige Antlitz betrachten, in dem sich Kindliches mit Fraulichem und Kränklichem auf die anziehendste Weise mischt. Die Lippen, leicht wie die eines Dürstenden aufgetan, atmen sacht, aber schon diese winzige Anstrengung hügelt und hebt ihre kindlich karge Brust, und wie erschöpft davon, wie ausgeblutet lehnt das blasse Gesicht, eingebettet in das rötliche Haar, in den Kissen. Ich trete vorsichtig näher. Die Schatten unter den Augen, die blauen Adern an den Schläfen, der rosige Durchschein der Nasenflügel verraten, mit wie dünner und farbloser Hülle die alabasterblasse Haut dem äußeren Andrang wehrt. Wie empfindlich muß man sein, denke ich mir, wenn so nah, so unbeschirmt die Nerven unter der Oberfläche pochen, wie unermeßlich leiden mit solch einem flaumleichten elfischen Leibe, der wie zum leichten Lauf geschaffen scheint, zu Tanz und Schweben, und dabei grausam der harten schweren Erde verkettet bleibt! Armes gefesseltes Geschöpf – abermals fühle ich das heiße Quellen von innen, jenen schmerzhaft erschöpfenden und gleichzeitig wild erregenden Aufschwall des Mitleids, der mich jedesmal übermannt, wenn ich an ihr Unglück denke; mir zittert die Hand vor Verlangen, ihr zart über den Arm zu streichen, mich hinzubeugen über sie und das Lächeln gleichsam wegzupflücken von ihren Lippen, falls sie aufwacht und mich erkennt. Ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit, das sich bei mir dem Mitleid jedesmal beimengt, wenn ich an sie denke oder sie betrachte, drängt mich näher heran. Aber nicht diesen Schlaf stören, der sie weghält von sich selbst, von ihrer körperlichen Wirklichkeit! Gerade dies ist ja so wunderbar, Kranken während ihres Schlafes innig nahe zu sein, wenn alle Angstgedanken in ihnen gefangen sind, wenn sie so restlos ihr Gebrest vergessen, daß sich manchmal auf ihre halboffenen Lippen ein Lächeln niederläßt wie ein Schmetterling auf ein schwankes Blatt, ein fremdes, gar nicht ihnen selbst gehöriges Lächeln, das auch sofort wegschrickt beim ersten Erwachen. Welches Glück von Gott, denke ich mir, daß die Verkrüppelten, die Verstümmelten, die vom Schicksal Beraubten wenigstens im Schlaf nicht um Form oder Unform ihres Leibes wissen, daß der milde Betrüger Traum wenigstens dort ihnen ihre Gestalt in Schönheit und Ebenmaß vortäuscht, daß der Leidende zumindest in dieser einen, dunkel umrandeten Welt des Schlummers dem Fluch zu entfliehen vermag, in den er leiblich verkettet ist. Das Ergreifendste aber für mich sind die Hände, die über der Decke verkreuzt liegen, matt durchäderte, langgestreckte Hände mit zerbrechlich schmalen Gelenken und spitz zugeformten, etwas bläulichen Nägeln – zarte, ausgeblutete, machtlose Hände, gerade vielleicht noch stark genug, kleine Tiere zu streicheln, Tauben und Kaninchen, aber zu schwach, etwas festzuhalten, etwas zu fassen. Wie kann man, denke ich mir erschüttert, mit solch ohnmächtigen Händen sich gegen wirkliches Leiden wehren? Wie irgend etwas erkämpfen und fassen und halten? Und es widert mich fast, wenn ich an meine eigenen Hände denke, diese festen, schweren, muskulösen, starken Hände, die mit einem Zügelriß das unbotmäßigste Pferd bändigen können. Gegen meinen Willen muß mein Blick nun auch auf die Decke hinabstarren, die zottig und schwer, viel zu schwer für dies vogelleichte Wesen, auf ihren spitzen Knien lastet. Unter dieser undurchsichtigen Hülle liegen tot – ich weiß nicht, ob zerschmettert, gelähmt oder bloß geschwächt, ich habe nie den Mut gehabt, zu fragen – die ohnmächtigen Beine in jene stählerne oder lederne Maschinerie gespannt. Bei jeder Bewegung, erinnere ich mich, hängt sich schwer wie Kettenkugeln diese grausame Apparatur an die versagenden Gelenke, unablässig hat sie dies Widrige klirrend und knirschend mit sich zu schleppen, sie, die Zarte, die Schwächliche, gerade sie, von der man fühlt, daß ihr Schweben und Laufen und Sichaufschwingen natürlicher wäre als Gehen!

      Unwillkürlich schauere ich zusammen bei dem Gedanken, und so stark rinnt und rieselt der Riß bis zu den Sohlen, daß die Sporen klingelnd aufzittern. Es kann nur ein ganz minimales, ein kaum hörbares Geräusch gewesen sein, dies silberne Klirren und Klingeln, aber es scheint ihren dünnen Schlaf durchdrungen zu haben. Noch öffnet die beunruhigt Aufatmende nicht die Lider, aber die Hände beginnen bereits aufzuwachen: lose falten sie sich auseinander, dehnen sich, spannen sich; als ob die Finger im Aufwachen gähnten. Dann blinzeln versucherisch die Lider, und befremdet tasten die Augen um sich.

      Plötzlich entdeckt mich ihr Blick und wird sofort starr; noch hat der Kontakt vom bloß optischen Schauen nicht hinübergezündet zum gewußten Denken und Erinnern. Aber dann ein Ruck, und sie ist völlig erwacht, sie hat mich erkannt; mit purpurnem Guß stürzt ihr das Blut in die Wangen, vom Herzen mit einem Stoß hochgepumpt. Wieder ist es, als schüttete man in ein kristallenes Glas plötzlich roten Wein.

      »Wie dumm«, sagt sie mit scharf zusammengezogenen Brauen und rafft mit einem nervösen Griff die abgesunkene Decke näher an sich, als hätte ich sie nackt überrascht. »Wie dumm von mir! Ich muß einen Augenblick eingeschlafen sein.« Und schon beginnen – ich kenne das Wetterzeichen – die Nasenflügel leise zu zucken. Herausfordernd sieht sie mich an.

      »Warum haben Sie mich nicht sofort aufgeweckt? Man beobachtet einen nicht im Schlaf! Das gehört sich nicht. Jeder Mensch sieht lächerlich aus, wenn er schläft.«

      Peinlich berührt, sie mit meiner Rücksicht verärgert zu haben, versuche ich, mich in einen dummen Scherz hinüberzuretten. »Besser lächerlich, während man schläft«, sage ich, »als lächerlich, wenn man wach ist.«

      Aber schon hat sie sich mit beiden Armen höher die Lehne emporgestemmt, die Falte zwischen den Brauen schneidet tiefer, jetzt beginnt auch um die Lippen das wetterleuchtende Flattern und Flackern. Scharf springt ihr

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