Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May
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Читать онлайн книгу Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May страница 17
Jeder Schatten bedeutet fehlendes Licht. Ein Mensch, der sich zum Schatten anderer macht, hat seinem Geiste und seinem freien Eigenleben entsagt. Er ist eine unselbständige Dunkelexistenz geworden, die überall, wo Licht vorhanden ist, nach Trübem, Düsterem und Finsterem hascht. Diese Lichtscheu wirkt genau so, wie die Wasserscheu. Sie giebt sich ganz und gar der Tollheit hin und folgt von Schritt zu Schritt, nur um zu – — beißen!«
Der Ustad hielt nach dieser längeren Gedankenfolge inne. Man sah es ihm an, daß er keine Bemerkung von uns erwartete. Ich hätte wohl manches einzuwenden gehabt, sah aber keinen zwingenden Grund, dies augenblicklich zu thun. Gegen derartige Ansichten und Anschauungen hat man vorsichtig zu verfahren. Es giebt Meinungsverschiedenheiten, die nicht im Handumdrehen, sondern nur mit Hilfe der Zeit zu beseitigen sind, und hier schien es mir, als ob grad diese Zeit es sei, die solche bittere Gedanken in ihm befestigt hatte. Er fuhr nach dieser Pause fort:
»Hast du, Effendi, einen Mann gekannt, Hadschi Halef Omar, den Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar, der bereit war, mit seinem deutschen Sihdi alle Qualen der Erde und der Hölle zu erdulden und tausend-, tausendmal für ihn zu sterben?«
Ich nickte nur.
»Du Glücklicher! Ich hatte keinen, keinen Halef! Ich besaß nicht einen einzigen Freund, der deinem Hadschi auch nur einigermaßen ähnlich gewesen wäre! Und doch gab es so viele, viele, die sich meine Freunde nannten, als ich in der Mitte meines Sonnentages stand! Sie wollten nichts von mir; sie verlangten nichts von mir; sie forderten nichts von mir; aber sie liebten mich alle, alle, alle so wahr, so treu, so innig! Nur eins sollte ich ihnen bringen, weiter nichts, weiter gar nichts: Nämlich Opfer, wieder Opfer und immer wieder Opfer! Und ich brachte sie! Wie gern! Ich liebte ja die Menschen alle, alle! Ich glaubte, daß sie meiner Liebe wert seien. Ich wußte nicht, daß es klug sei, nicht den Einzelnen an sich, sondern die Menschheit in ihm zu lieben. Meine Freunde aber überschüttete ich mit doppelter Liebe! Da kam der Augenblick, an welchem ich bemerkte, daß meine Sonne sich schief zu mir gestellt hatte. Welche unerwartete Wirkung fand sich da ein! Auch an meinen Freunden und sonstigen Bekannten begann jetzt so vieles schief zu werden! Sie dachten schief über mich; sie sprachen schief von mir; sie sahen mich schief an! Die Sonne wich mehr und mehr von mir zurück; mein Schatten wuchs; meine Freunde wurden immer schiefer! Gegen Abend ging es schneller mit der Sonne; mein Schatten füllte hinter mir schon die ganze Strecke bis zum Horizonte aus; meine Freunde waren jetzt so sehr schief geworden, daß gar nicht ausbleiben konnte, was nun geschehen mußte: Sie verloren das Gleichgewicht; sie begannen, auch zu fallen, einer nach dem andern, ganz genau so, wie mein großer Schemen fiel! Wohin fielen sie? Natürlich hinter mich, als meine Schatten, Schatten, Schatten! Ich warf sie fort nach rückwärts, hinweg zu ihm, der sich als »Erdengott« gebärdete. Er verschluckte sie mit wahrer Orkusgier. Sein Nichts blähte sich nach dem Fraße dieser vielen tausend Nichtse zu einem so undenkbaren Nichtse auf, daß er dünner und immer dünner und endlich ganz unmöglich werden mußte! Es kostete mich schon Mühe, ihn, den Ultradimensionalen, nur noch zu erkennen. Da wendete ich meine Augen von der ebenso still wie unvermeidlich vor sich gehenden, schattenhaften Katastrophe ab. Ich schaute empor. Soeben verschwand die Sonne. Und da geschah das, was an jedem Tag geschieht und was wir doch bis heut noch nicht mit unserm Geist ergriffen haben: Es flammte der Westen in goldener Glut. Sie sprühte gen Himmel in zuckenden Blitzen. Ich tauchte den Blick in die feurige Flut und sah sie die Berge mit Funken umspritzen. Da, als sie mir so das Geheime erschloß, da mußten die Erdenphantome verschwinden: Sie wurden zu nichts; auch das meine zerfloß, und ich ging um »das Licht ohne Schatten« zu finden!«
Er war da, wo die Sätze sich zu reimen begannen, aufgestanden und hatte stehend gesprochen. Jetzt ging er hinaus auf den Balkon, wohl um die Gestalten, welche in ihm erwacht waren, wieder zur Ruhe zu bringen. Als er dann wieder hereinkam, fragte er mich, indem er vor mir stehen blieb:
»Hast du verstanden, wen und was ich mit diesen meinen Schatten meinte?«
»Ja,« antwortete ich.
»So wirst du durch mich vielleicht die deinen sehen lernen!«
Ich saß ruhig da. Ich antwortete nicht. Aber ich lächelte ihn an.
»Warum bleibst du still?« fragte er.
»Sind Schatten es wert, daß man von ihnen spricht?« antwortete ich.
Er sah mich erstaunt, ja fast betroffen an. Da fuhr ich fort:
»Wenn sie Nichtse sind, wie du behauptest, warum so viele Worte über sie? Für Nichtse giebt es eben nichts. Sie scheinen dir also doch mehr als nichts gewesen zu sein !«
»Das