Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May
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Читать онлайн книгу Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May страница 23
»Aber welchen Grund hast du wohl, es grad mir mitzuteilen?«
»Einen sehr großen, wichtigen Grund. Du bist doch, wenn unser Ustad abgereist ist, der Herr des hohen Hauses?«
»Ja.«
»Ich wußte es. Der Ustad hat uns gesagt, daß wir dir in allen Dingen sofort und willig zu gehorchen haben. Und weil du über alles zu befehlen hast, muß ich dich um etwas bitten, womit ich das Leben meines Aschyk retten kann. Ich bin also gezwungen gewesen, dir mein Geheimnis zu verraten. Wäre das nicht, so hätte ich mich nicht an dich getraut, obgleich ich fühle, daß du ebenso edel bist wie ich! Aber dort kommt der Pedehr. Verrate mich nicht, Effendi! Kein Mensch darf es wissen, kein einziger! Nur du und ich allein! Ich sage dir vielleicht schon heut noch mehr. Jetzt aber muß ich in die Küche!«
Sie machte mir einen so tiefen Knicks, wie bei ihrer Taille möglich war, und verschwand dann in ihrem Reiche. Der Pedehr hatte allerdings im Begriff gestanden, nach der Küche zu kommen, sich aber schon wieder umgedreht, um nicht zu stören. Das war mir lieb. Es war nur diese Pekala, diese Köchin gewesen, mit der ich gesprochen hatte, aber ich muß gestehen, daß ich mich trotzdem nicht in der Stimmung befand, sofort mit einer andern Person über andere Dinge zu reden.
Was für Gedanken hatten mich bisher bewegt! Bis fast zu diesem Augenblick! Und nun hier plötzlich diese geistige Nichtigkeit, zehnfach, hundertfach nichtig grad durch ihre strahlend freundliche Gestalt! Diese Null war hohl; hierüber gab es keinen Zweifel. Aber hinter ihr stand eine ganze Finsternis bereit, sie mit dem Verderben für uns vollständig anzufüllen! Und es war so viel, so ganz unerwartet viel, was ich erfahren hatte! Ich zog mich unter die Bäume des Gartens zurück, um nachzudenken.
Zunächst hielt ich es für begründet, dem Ustad diese Neuigkeit einstweilen zu verschweigen. Ich durfte ihm seine Reise nicht durch Sorgen erschweren, die ihm sehr leicht den klaren Blick beeinträchtigen konnten. Sodann war diese Pekala für mich jetzt in ein ganz neues, in ein drittes Stadium getreten. Von der Krankheit geschwächt, hatte ich sie für ein herzliebes, wenn auch recht unbedeutendes Wesen gehalten. Dann war ein gewisses Mißtrauen gegen sie erwacht, von welchem ich auch dem Ustad gegenüber kein Geheimnis gemacht hatte. Jetzt aber wurde es ernst, sehr ernst! Ein Mensch, welcher Charakter und Inhalt besitzt, kann berechnet werden, eine Pekala aber nicht. Sie ist trotz aller ihrer Liebenswürdigkeit gefährlicher als mancher Bösewicht. Solche Menschen gleichen freundlichen Schmetterlingen, die um ihrer Raupen willen unschädlich gemacht werden müssen. Es tut einem leid, doch hat man sich zu wehren.
Wer war dieser Aschyk, dessen Spionin sie in so unglaublich lächerlicher Weise geworden war? Jedenfalls ein Sill, ein Untergebener von Ahriman Mirza. Er kam monatlich einmal zu ihr, und stets Sonntags. Am Montag aber war der »Tag des Soldes«, also der Versammlungstag. Jedenfalls fragte er sie da nach allem aus, was hier bei den Dschamikun inzwischen geschehen war, und berichtete es dann weiter. So waren die Sillan stets vorzüglich unterrichtet. Das ganze Lebenswerk des Ustad hing also von der Schwatzhaftigkeit einer Person ab, die weiter nichts, als eine Törin, eine Närrin war! Wer weiß, wieviel sie bisher schon geschadet hatte! Stand sie allein mit ihrem Verrate, oder besaß sie noch andere Vertraute? Ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß wenigstens Tifl, ihr »Kind«, auch mit beeinflußt worden sei. Konnte man es überhaupt für möglich halten, daß die geheimen Zusammenkünfte der »Schatten« hier in den Ruinen so ganz ohne Verrat und Unterstützung von seiten der Dschamikun abgehalten wurden? Mir erschien dies beinahe undenkbar. Mochte das aber sein, wie es wollte, ich hatte mir schon gestern vorgenommen gehabt, nach den hiesigen Geheimnissen der Sillan zu forschen, und nach dem jetzigen Gespräch mit der Köchin verstand es sich ganz von selbst, daß bei ihr der Anfang zu machen sei, und zwar so bald wie möglich.
Nun ging ich nach dem Hofe. Dort stand Agha Sibil mit seinem Enkel jetzt bei den fertiggeschirrten Kamelen. Ich erkannte den Ersteren sogleich an dem fast beispiellos starken Schnurrbarte, der so riesig war, wie ich noch keinen gesehen hatte. Man mochte auch mich ihm schon beschrieben haben, denn sobald er mich sah, kam er auf mich zu, nannte seinen und meinen Namen, stellte mir seinen Enkel vor und bat mich, bei ihnen im Baumesschatten Platz zu nehmen, damit sie von mir ausführlicher erfahren könnten, was ihnen von Andern nur andeutungsweise mitgeteilt worden sei. Es verstand sich ganz von selbst, daß ich diese Bitte mehr als gern erfüllte.
Noch während ich erzählte, kam der Ustad mit dem Pedehr aus der Halle. Sie gesellten sich zu uns. Der Erstere hatte gar nicht geschlafen und mich soeben wecken wollen, aber von dem Letzteren erfahren, daß ich schon aufgestanden sei. Der Pedehr verhielt sich so zu mir, als ob gar nichts vorgefallen sei, was man ihm vorzuwerfen habe, und darum zeigte auch ich mich unbefangen. Der Ustad aber schien sehr ernst mit ihm gesprochen zu haben und vermied es sogar jetzt noch, seinem Blicke zu begegnen. Der Kaufmann war ein hochehrwürdiger, braver Herr, der unendlich glücklich und dankbar war für das, was ich ihm erzählte. Er hätte mir noch gern stundenlang zugehört, mußte sich aber bescheiden, weil nun aufgebrochen werden mußte, weil es in der Absicht des Ustad lag, die verwandten Kalhuran noch heut zu erreichen, um ihnen Nachricht über das zufriedenstellende Befinden ihres Scheikes zu bringen. Doch blieb uns Zeit, das Nötigste zu besprechen.
Der Ustad übergab mir seine Wohnung mit dem sämtlichen Verschluß, und ich machte ihn noch einmal besonders auf den Brief aus Basra aufmerksam, den er in Isphahan an den »Henker« zu besorgen hatte. Als ich eine Bemerkung über die Gefahr aussprach, welche ihm seitens der entflohenen Soldaten drohen könne, teilte er mir mit, daß unten im Dorfe eine Schar bewaffneter Dschamikun auf ihn warte, welche ihn begleiten würde, bis alle Gefahr vorüber sei. Hierauf wurden alle Bewohner des »hohen Hauses« herbeigerufen, damit er sich von ihnen verabschieden könne, grad als Kara Ben Halef von einer Tour heimkehrte, die er unternommen hatte, um sein Pferd wegen des Wettrennens geschmeidig zu erhalten. Er wendete sofort wieder um, weil er es für eine Ehrenpflicht hielt, den Ustad bis an die Grenze seines Gebietes zu begleiten.
Mir war es leider nicht möglich, mich ebenso höflich zu erweisen. Ich mußte bleiben, wo ich war, und konnte nur hinauf auf meine Plattform steigen, um erst mit dem Auge und dann mit dem Herzen dem zu folgen, von dem ich mich trotz aller äußerlichen Entfernung innerlich unzertrennlich fühlte. Ich war nun Herr seines Hauses und nahm mir vor, es im allerbesten Sinne zu sein, der menschenmöglich ist!
Eigentlich hatte ich mich jetzt wieder niederlegen wollen und auch sollen, aber ich fühlte sonderbarerweise nicht die geringste Spur von Müdigkeit. Darum ging ich jetzt wieder hinab, um zunächst nach meinem Halef zu sehen, von dem ich heut noch nichts vernommen hatte. Hanneh war bei ihm. Er hatte soeben die Augen aufgeschlagen und richtete sie auf mich, als ich mich bei ihm niederließ. Ein liebes, liebes Lächeln ging über sein eingefallenes Gesicht.
»Sihdi, gib mir deine Hand!« flüsterte er. »Ich muß sie küssen!«
Ich kannte ihn und wußte, daß ich ihm diese Liebe nicht verweigern durfte. Er führte meine Hand an seine Lippen und hielt sie dort so fest, wie es ihm möglich war. Dabei hielt er die Augen wieder geschlossen.
»Sihdi, wo – — – wo bist du gewesen?« fragte er leise. »Aus deiner Hand strömt – — – Leben – — – Kraft – — – und Genesung! Warst du vielleicht – — – im Schlafe dort, wo – — wo – — wo – — —«
Er sprach nicht weiter, sondern er schlief ein.
Dann ging ich wieder durch den Garten und nach der Pferdeweide dahinter. Es war etwas in mir, was mich drängte, die dort so nahen Ruinen einmal in größerer Deutlichkeit als bisher vor mir liegen zu haben. Ich ahnte, daß in