Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May

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mehr, als ich für morgen brauchte, und schon wollte ich wieder gehen, da wurde die Tür geöffnet, und Pekala trat herein. Ihr Gesicht glänzte in der gewöhnlichen, ganz wie begeisterten Freundlichkeit, und es war ein höchst vertraulicher Ton, in dem sie sagte:

      »Ich sah den Schlüssel stecken, Effendi, und dachte mir gleich, daß du hier im Zimmer seist. Ich habe zwar keine Zeit, doch für dich immer, und so wollte ich dich fragen, ob ich dir das von meinem Aschyk sagen darf.«

      »Laß es hören!«

      »Und du wirst aber nichts verraten?«

      »Ist es denn ein Geheimnis?« umging ich diese ihre Frage.

      »Ja, natürlich!« antwortete sie wichtig. »Ich habe eine ganze Menge von Geheimnissen, von denen Niemand Etwas wissen darf. Dir aber sage ich vielleicht einige davon. Das notwendigste von ihnen allen sollst du jetzt gleich hören. Nämlich mein Aschyk kommt immer nach vier Wochen; das habe ich dir schon mitgeteilt. Kürzlich aber war er einmal außer dieser Zeit hier; das weißt du noch nicht. Kannst du vielleicht erraten, weshalb er kam?«

      »Nein. Sag es, und mach es so kurz wie möglich!«

      »Warum das? Ich spreche ja immer kurz, Effendi! Mein Aschyk hat nämlich beschlossen, mit unserem Ustad zu reden und ihm Vieles mitzuteilen, was ihn vom Tode erretten kann.«

      »Wen erretten? Den Aschyk oder den Ustad?«

      »Den Aschyk; vielleicht aber auch beide; ich weiß es nicht genau. Ich soll dem Ustad sagen, daß er nächsten Sonntag kommen werde, grad um Mitternacht. Ich aber komme schon eine Stunde vorher mit ihm zusammen.«

      »Und hast du das dem Ustad mitgeteilt?«

      »Nein.«

      »Warum nicht?«

      »Weil – — – weil – — – weil ich mich vor ihm fürchtete.«

      »Vor mir aber nicht?«

      »Doch auch! Aber die Zeit verging; der Sonntag ist schon nahe, und wenn ich mich so weiter fürchte und nichts sage, so verliere ich meinen Aschyk. Er hat mir nämlich gesagt, daß er niemals wiederkommen werde, wenn ich nicht ganz gewiß dafür sorge, daß er mit dem Ustad sprechen dürfe. Darum habe ich mir endlich ein Herz gefaßt und diese Bitte zu dir gebracht, weil der Ustad nächsten Sonntag noch nicht wieder hier sein kann. Was sagst du nun dazu?«

      Sie wischte sich die feucht gewordene Stirn und atmete erleichtert auf. Es war ihr doch schwer geworden, sich an mich zu wenden.

      »Ist es denn dem Aschyk gleich, ob er mich oder den Ustad trifft?« fragte ich.

      »Ich denke es. Du stehst ja an des Ustad Stelle, und da die Sache nicht aufgeschoben werden darf, so muß er einverstanden sein.«

      »Weiß noch Jemand davon, daß er Sonntag kommt?«

      »Nein.«

      »Auch Tifl nicht?«

      »Tifl? Diesem Schwätzer darf man solche Dinge nicht mitteilen. Er weiß kein Wort!«

      Das war eine Lüge, wurde aber mit der ehrlichsten und aufrichtigsten Miene der Welt gesagt. Die kleinen Aeuglein blickten mich dabei so offen, so treuherzig an, daß ich fast glaubte, mich besinnen zu müssen, ob ich mich nicht täusche.

      »Hat der Aschyk gesagt, an welchem Orte er mit dem Ustad zu sprechen wünscht?« fuhr ich fort.

      »Nein. Das hast nun du zu bestimmen. Willst du mir sagen, wo?«

      »Heut noch nicht. Ich werde es dir noch rechtzeitig mitteilen. Und nun höre mich an! Du schweigst gegen Jedermann, auch gegen Tifl! Wenn du einem einzigen Menschen sagst, daß dein Aschyk kommt, um mir etwas zu sagen, so rede ich nicht mit ihm und jage dich aus dem Hause!«

      »Effendi,« rief sie aus, indem sie erschrocken zurückfuhr. »Was machst du mir da für fürchterliche Augen. Du hast ja plötzlich ein ganz anderes Gesicht!«

      »Das ist mein Gesicht, wenn ich mir etwas vornehme, was ich unbedingt auch ausführe. Du hast es noch nicht gesehen. Hüte dich vor der Wiederkehr! Wenn du nicht schweigst, lasse ich dich noch mitten in der Sonntagsnacht über die Grenze schaffen, ohne zu fragen, was dann aus dir wird! Verstanden?«

      »Ja, ja, ganz genau!« versicherte sie, vor Schreck in sich zusammenkriechend. »Effendi, der Ustad ist doch freundlicher als du. Wer hätte das gedacht!«

      »Jedes an seinem Orte, die Strenge sowohl als auch die Freundlichkeit! Hast du noch etwas zu sagen?«

      »Nein.«

      »So geh!«

      Sie machte in ihrer inneren Zermalmung einen ganz verkehrten Knicks und entfernte sich bedeutend weniger vertraulich, als sie hereingekommen war. Ich aber schloß die Wohnung sorglich ab und ging, mit Schakara zu sprechen.

      Wie kam es doch, daß ich gar nicht nach ihr fragte, sondern daß es mir war, als wisse ich ganz genau, wo sie sei? Ich ging durch den Garten. Bei der Quelle angekommen, sah ich die »Schwester« bei den Pferden.

      Die Sahm knusperte mit Ghalib im Grase herum. Assil aber hatte sich niedergelegt. Schakara saß neben ihm und flocht, über seinen Hals gelehnt, aus den Mähnenhaaren Zöpfe, in die sie Veilchen wand. Der Rappe langte von Zeit zu Zeit mit dem Maule herüber, um sie freundschaftlich in den Arm zu kneifen. Ich beobachtete das eine ganze Weile; dann ging ich hin und setzte mich zu ihnen.

      Es war nichts Unaufschiebbares, was ich mit Schakara zu besprechen hatte. Ich wollte ihr nur mitteilen, wer morgen kommen werde. Aber indem ich dies tat, war es, als ob sich in mir alles Verschlossene öffne, um von ihr gesehen, geprüft und bestätigt oder verworfen zu werden. Sie sprach ganz wenig, und fast nur, wenn ich fragte. Und was sie dann sagte, war so selbstlos, so bescheiden und klang doch fest, bestimmt und zaglos sicher. Ich erkannte mehr und mehr, daß sie etwas unendlich Großes, Schönes, Klares in sich trug, und sann darüber nach, wie es zu nennen sei. Es war gewiß das, was wir »Gebildeten« eine Welt-, eine Lebensanschauung nennen, und doch noch mehr, viel mehr! Diese Anschauung erstreckte sich über noch ganz andere Schätze als diejenigen, welche die sogenannte »Welt« und das angebliche »Leben« uns bieten. Indem ich jetzt mit ihr sprach, tauchte der Augenblick wieder vor mir auf, an dem ich sie von meinem Krankenlager aus zum zweiten Male sah[27]: Unweit der Tür saß sie mitten im Pflanzengrün. Weiß war ihr Gewand. Sie hatte den Schleier nach hinten geschlagen. Ihr dunkles Haar hing in langen, schweren Flechten herab. Die schlanken Finger glitten über die Saiten der Sandurah. Darf man ein menschliches Wesen mit einem Gedicht vergleichen? Man sagt ja, daß der Mensch das herrlichste Gedicht der ganzen Schöpfung sei. Wenn nicht das herrlichste, aber gewiß eines der frömmsten sah ich hier!

      Damals waren es Harfentöne, die ich von ihr hörte. Sie spielte, damit meine und Halefs Seele festgehalten werden sollten. Jetzt waren es Worte, die ich von ihr vernahm; aber Alles, was und wie sie es sagte, hatte eine tiefe, innige Verwandtschaft mit jenen Harfenklängen. Es war Alles so melodiös, so harmonisch, so voll, so rein, so ganz ohne jede Spur von Dissonanz. Ich sprach weiter und weiter, nur um diese Lippen antworten zu hören, aus denen nichts Trübes, nichts Entweihtes klingen konnte. Es war, als ob ich ihr alle meine Gedanken hinübergeben müsse, um sie geläutert und geklärt dann wieder in Empfang zu nehmen. Hatte Marah Durimeh das gewußt, als sie schrieb, daß ich der Geist sein solle, sie aber die Seele, meine Schwester? Psychologie, nicht theoretisch, sondern praktisch gelehrt! Nicht aus wissenschaftlichen Leitfäden getüftelt, sondern aus dem Geistes- und Seelenleben

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Band III pag. 267.