Ein Kampf um Rom. Felix Dahn
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»Erst diese Barbaren zertreten —: Rom! — Dann den Norden wieder unterwerfen —: Paris! — Dann zum alten Gehorsam unter die alte Cäsarenstadt das abtrünnige Ostreich zurückheischen —: Byzanz! Und weiter, immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros — und zurück nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber — die Bahn, welche dir, Cäsar, der Dolch des Brutus durchgeschnitten. — Und so größer als du, größer als Alexander — o halt, Gedanke, halt ein!«
Und der eisige Cethegus loderte und glühte; mächtig pochten seine Adern an den Schläfen: er drückte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust Julius Cäsars, der majestätisch auf ihn niederschaute.
DRITTES KAPITEL
Aber nicht nur für Cethegus wurde dieser Tag von entscheidender Bedeutung, auch für die Verschwörung in den Katakomben, für Italien und das Reich der Goten.
Hatten die Umtriebe der Patrioten, geleitet von mehreren Häuptern, die über die Mittel, ja sogar über die Zwecke ihrer Pläne nicht immer einig waren, bisher nur langsame und unsichre Fortschritte gemacht, so ward dies anders von dem Augenblick an, da der weitaus begabteste Mann dieser Partei, da Cethegus die Führung in die kräftige Hand nahm.
Unbedingt hatten sich die bisherigen Häupter des Bundes — sogar, wie es schien, Silverius dem Präfekten untergeordnet, der seine Überlegenheit so mächtig bewährt und das Leben ihrer Sache gerettet hatte.
Erst von .jetzt an wurde der Geheimbund den Goten wahrhaftig gefährlich.
Unermüdlich war Cethegus beschäftigt, die Macht und Sicherheit ihres Reiches auf allen Seiten zu untergraben: mit seiner großen Kunst, die Menschen zu durchschauen, zu gewinnen und zu beherrschen, wußte er die Zahl bedeutender Mitglieder und die Mittel der Partei von Tag zu Tag zu vermehren.
Aber er wußte auch mit kluger Vorsicht einerseits jeden Verdacht der gotischen Regierung zu vermeiden, anderseits jede unzeitige Erhebung der Verschworenen zu verhindern. Denn ein leichtes wär’ es freilich gewesen, plötzlich an einem Tage in allen Städten der Halbinsel die Barbaren zu überfallen, die Erhebung zu beginnen und die Byzantiner. die längst hierauf lauerten, zur Vollendung des Sieges ins Land zu rufen. Aber damit hätte der Präfekt seine geheimen Pläne nicht hinausgeführt. Er hätte nur an die Stelle der gotischen Herrschaft die byzantinische Tyrannei gesetzt.
Und wir wissen, er verfolgte ein ganz andres Ziel.
Um dies zu erreichen, mußte er sich zuvor in Italien eine Machtstellung schaffen, wie sie kein andrer besaß.
Er mußte, wenn auch nur im stillen, der mächtigste Mann im Lande sein, ehe der Fuß eines Byzantiners es betrat, ehe der erste Gote fiel. Die Dinge mußten so weit vorbereitet sein, daß die Barbaren von Italien, das hieß von Cethegus allein, mit möglichst geringer Nachhilfe von Byzanz, vertrieben würden, so daß nach dem Siege der Kaiser gar nicht umhin konnte, die Herrschaft über das befreite Land seinem Befreier, wenn auch zunächst nur als Statthalter, zu überlassen. Alsdann hatte er Zeit und Anlaß gewonnen, den Nationalstolz der Römer gegen die Herrschaft der »Griechlein«, wie man die Byzantiner verächtlich nannte, aufzureizen.
Denn obwohl seit zweihundert Jahren, seit den Tagen des großen Konstantin, der Glanz der Weltherrschaft von der verwitweten Roma hinweg nach der goldnen Stadt am Hellespont verlegt und das Zepter von den Söhnen des Romulus auf die Griechen übergegangen schien, obwohl das Ost— und das Westreich zusammen der Barbarenwelt gegenüber einen Staat der antiken Bildung bilden sollten, so waren doch auch jetzt noch die Griechen den Römern verhaßt und verächtlich, wie in den Tagen, da Flaminius das gedemütigte Hellas für eine Freigelassene Roms erklärt hatte: der alte Haß war jetzt durch Neid vermehrt. Deshalb war der Mann der Begeisterung und der Hilfe ganz Italiens gewiß, der nach Vertreibung der Barbaren auch die Byzantiner aus dem Lande weisen würde: die Krone von Rom, die Krone des Abendlandes war sein sichrer Lohn. Und wenn es gelang, das neugeweckte Nationalgefühl wieder zum Angriffskrieg über die Alpen zu treiben, wenn Cethegus auf den Trümmern des Frankenreichs zu Aurelianum und Paris die Herrschaft des römischen Imperators über das Abendland wieder aufgerichtet hatte, dann war der Versuch nicht mehr zu kühn, auch das losgerissene Ostreich zurückzuzwingen zum Gehorsam unter das ewige Rom und die Weltherrschaft am Strand des Tibers da fortzuführen, wo sie Trajan und Hadrian gelassen.
Doch um diese fernher leuchtenden Ziele zu erreichen, mußte jeder nächste Schritt auf dem schwindelsteilen Pfad mit größter Vorsicht geschehen: jedes Straucheln mußte für immer verderben. Um Italien zu beherrschen, als Kaiser zu beherrschen, mußte Cethegus vor allem Rom haben, denn nur an Rom ließen sich jene Gedanken knüpfen. Deshalb wandte der neue Präfekt höchste Sorgfalt auf die ihm anvertraute Stadt: Rom sollte ihm moralisch und physisch eine Burg der Herrschaft werden, ihm allein gehörig und unentreißbar. Sein Amt bot ihm dazu die beste Gelegenheit: es war ja die Pflicht des Präfectus Urbi, für das Wohl der Bevölkerung, für Erhaltung und Sicherheit der Stadt zu sorgen. Cethegus verstand es meisterhaft, die Rechte, die in dieser Pflicht lagen, für seine Zwecke auszubeuten. Leicht hatte er alle Stände für sich gewonnen: der Adel ehrte in ihm das Haupt der Katakombenverschwörung, über die Geistlichkeit herrschte er durch Silverius, der die rechte Hand und der von der öffentlichen Stimme bezeichnete Nachfolger des greisen Papstes war und dem Präfekten eine diesem selbst befremdliche Ergebenheit an den Tag legte. Das niedere Volk aber fesselte er an seine Person nicht nur durch vorübergehende Brotspenden und Zirkusspiele aus seiner Tasche, sondern durch großartige Unternehmungen, die vielen Tausenden auf Jahre hinaus Arbeit und Unterhalt — auf Kosten der gotischen Regierung verschafften.
Er setzte bei Amalaswintha den Befehl durch, die Befestigungen Roms, die seit den Tagen des Honorius durch die Zeit und durch den Eigennutz römischer Bauherren viel mehr als durch westgotische und vandalische Eroberer gelitten hatten, vollständig und rasch wiederherzustellen, »zur Ehre der ewigen Stadt und«, wie sie wähnte, »zum Schutze gegen die Byzantiner«.
Cethegus selbst hatte — und zwar, wie die alsbald folgenden vergeblichen Belagerungen durch Goten und Byzantiner bewiesen, mit genialem Feldherrnblick — den Plan der großartigen Werke entworfen. Und er betrieb nun mit größter Eile das Riesenwerk, die ungeheure Stadt in ihrem weiten Umfang von vielen Meilen zu einer Festung ersten Ranges umzuschaffen. Die Tausende von Arbeitern, die wohl wußten, wem sie diese reich bezahlte Beschäftigung verdankten, jubelten dem Präfekten zu, wenn er auf den Schanzen sich zeigte, prüfte, antrieb, besserte und wohl selbst mit Hand anlegte. Und die getäuschte Fürstin wies eine Million Solidi nach der andern an für einen Bau, an dem alsbald die ganze Streitmacht ihres Volkes zerschellen und verbluten sollte.
Der wichtigste Punkt dieser Befestigungen war das heute unter dem Namen der Engelsburg bekannte Grabmal Hadrians. Dies Prachtgebäude, von Hadrian aus parischen Marmorquadern, die ohne anderes Bindungsmittel zusammengefügt waren, aufgeführt, lag damals einen Steinwurf vor dem aurelischen Tor, dessen Mauerseiten es weit überragte. Mit scharfem Auge hatte Cethegus erkannt, daß das unvergleichlich feste Gebäude, in seiner bisherigen Lage ein Festungswerk gegen die Stadt, sich durch ein einfaches Mittel in ein Hauptbollwerk für die Stadt verwandeln ließ: er führte vom aurelischen Tor zwei Mauern gegen und um das Grabmal. Und nun bildete die turmhohe Marmorburg eine sturmfreie Schanze für das aurelische Tor, um so mehr, als der Tiber knapp davor einen natürlichen Festungsgraben zog. Oben auf der Mauer des Mausoleums aber standen, zum Teil noch von Hadrian und seinem Nachfolger hier aufgestellt, gegen dreihundert der schönsten Statuen aus Marmor, Bronze und Erz: darunter der Divus Hadrianus selbst, sein schöner Liebling Antonius, ein Zeus Soter, die Pallas »Städtebeschirmerin«, ein schlafender Faun und viele andere.
Cethegus freute sich seines Gedankens