Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski

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Die Inseln der Weisheit - Alexander  Moszkowski

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Liebe bei dem richtig verstandenen Plato? Ist sie etwa »platonisch« im europäischen Sinne des Wortes? Da haben Sie schon den Nonsens, in den ihr euch dauernd verstrickt, denn das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Liebe in der eigentlichen platonischen Bedeutung des Wortes ist ein Zeugungsgeschäft, muß als eine rein physische, tierische Sache behandelt werden und darf deshalb im Idealstaat keine Stätte finden. Da nun aber die Weiber für das Zeugungsgeschäft leider unentbehrlich sind, so kommt es darauf an, den Schaden, den die Weiblichkeit im Staat anrichtet, nach Möglichkeit auszurotten; so zu verstehen, daß der Mann, der einzig dem Staate verpflichtet wird, nicht obendrein in Lockungen fällt, die ihn dem Staatsinteresse abspenstig machen. In erster Linie dürfen die Krieger, dann weiterhin alle starken Repräsentanten des Staates, nicht durch den dauernden Umgang mit den Zauberinnen geschwächt, nicht durch Ausübung monotoner Ehepflichten verelendet werden. Das von dem Genius Platos gefundene Hauptmittel, den reizenden Schlangen ihr Gift zu benehmen, besteht eben – abgesehen vom Kommunismus in Gütern, der sich in weiterer Folge einstellt – in der Weibergemeinschaft, durch welche die Ehe überflüssig gemacht wird, wenn sie auch in vereinzelten Exemplaren ein bescheidenes Dasein weiterfristen mag; durch das Los, in einer von den Archonten geleiteten Ehelotterie, oder auf Zeit, wenn uns einmal die Laune kitzelt, mit dieser oder jener einige Tage und Nächte zu verbringen … Einen Augenblick Pause, mein Herr, ich will nur der hübschen Person, die dort drüben spaziert, etwas sagen.«

      Meine Blicke folgten. Ich bemerkte eine nicht mehr ganz junge Dame, die durchaus nicht den Eindruck einer Halbweltlerin machte, vielmehr den besseren Kreisen anzugehören schien, und die mit züchtig gesenktem Blick dahinschritt. Sie trug ein Gewand in schön gebrochenen Falten aus feuerfarbenem, byssusartigem Webstoff, das unter ihrem Busen von einem seltsam gestickten mit einer Agraffe aus bläulichen Steinen geschlossenen Gürtel zusammengehalten wurde; dazu Schnüre von feinen Perlen, die sich um Hals und Arme, wie zwischen den Locken in anmutigem Linienspiel bewegten.

      »Eine Freundin Ihres Hauses?« fragte ich, als er nach zwei Minuten zurückkehrte.

      »Nein, keineswegs. Es ist möglich, daß ich vor Jahren einmal flüchtig mit ihr verheiratet war, ich kann mich im Moment nicht genau darauf besinnen. Jedenfalls habe ich sie eingeladen, mit mir im nächsten Monat auf unserer schönen Nachbarinsel Wrohlih eine halbe Flitterwoche zu verleben.«

      »Und sie hat zugesagt?«

      »Bedingungsweise. Für den Fall nämlich, daß sie nicht zur selben Zeit Nummer in einer Lotterie-Serie werden muß und dadurch nach Verfügung Piatos als Ehegewinnst einem Dritten zufällt. Sollte die Dame inzwischen verlost werden, so müßte ich mich noch kurze Zeit gedulden.«

      »Was Ihnen nach Ihrer Auffassung von der Liebe wohl nicht allzu schmerzlich sein wird.«

      »Sie fangen an zu begreifen; und Sie werden allmählich auch einsehen, daß der bei Ihnen gültige Liebesbegriff nichts ist als Trug und Blenderei. Sie unterliegen hierbei einer Täuschung, welche die schöngeistige Literatur und das Theater über Sie verhängt. Sie übernehmen eine Empfindung, die allenfalls für eine Romanze und höchstens für einen Operettenschlager ausreicht, in das Leben, wofür es gar nicht paßt. Sie übernehmen es mit all seinen traurigen Begleiterscheinungen des Sehnens, Schmachtens, der Eifersucht und schleppen sich dauernd mit Kümmernissen, deren Summe Sie sich zur Erfreulichkeit umlügen. Die Eifersucht, das Alleinhabenwollen, bedeutet in logischem Betracht einen Horror für sich. Ich liebe zum Beispiel die Insel Wrohlih mit ihren landschaftlichen Schönheiten, allein ich müßte doch hirnverbrannt sein, wenn ich verlangte, daß diese Insel mich wiederliebt, mich ausschließlich, und wenn ich zu toben anfinge, sobald die Insel ihre Reize auch anderen spendet. Und genau so wie ich bei der entzückenden Landschaft die allgemeine Reizgemeinschaft anerkenne, so gilt mir auch die Weibergemeinschaft als das natürlich Gegebene. Wie wohl wäre den Menschen in Ihren Kontinenten, wenn sie sich zu dieser platonischen Natürlichkeit durchzuringen vermöchten! Aber Ihr denkt nie einen Gedanken bis zu Ende und limitiert unablässig das bißchen Vernunft, das Eure durch tausend Fehlschläge gekennzeichnete politische Denkweise noch übrig gelassen hat. So stellt Ihr den Grundsatz auf »dem Tüchtigen die freie Bahn«! Das Wort ist gut, denn es stammt aus Platos Ideenkreis. Aber sobald der Tüchtige die freie Bahn zu einer Dame fordert, mit der er sich nicht lebenslänglich, sakramental und behördlich verkuppelt, verfehmt Ihr die Tüchtigen. Euer monogames Prinzip nagelt ihn also auf einen Einzelfall fest und verhindert ihn mit aller Gewalt seine Tüchtigkeit in höherem Sinn zu beweisen.«

      »Das geschieht doch mit Rücksicht auf die Erhaltung und den reinen Bestand der Familie. Was wird denn bei Euch mit den Kindern? Haben Sie selbst welche?«

      »Ich glaube ja, ich nehme sogar an, eine ganze Anzahl. Ohne daß ich mich verpflichtet fühle, hierüber Buch zu führen, da ich meine Arbeitszeit für notwendigere Bilanzen brauche. Unter den Straßen-Kindern, die dort drüben Haschemann spielen und Kreisel treiben, befinden sich möglicherweise auch welche von mir.«

      »Das wäre zu beklagen, denn die Kinder machen in ihrer verwahrlosten Kleidung keinen guten Eindruck.«

      »Und außerdem« – damit meldete sich Doktor Melchior Wehner zum Wort, wobei Donath flüchtig dolmetschte – »außerdem bemerke ich schon auf Entfernung, daß die Kinder sich in gesundheitlicher Hinsicht nicht zum besten befinden.«

      Er lockte den erstbesten Buben durch eine vorgehaltene Leckerei heran und beschäftigte sich einige Sekunden mit ihm. Dann erklärte er mit dem Ausdruck starker Mißbilligung: »Der Befund ist übel, und um so übler, als ich mir das Kerlchen rein auf›s Geratewohl herausgeholt habe. Mir ist es unbegreiflich, daß man da nicht für Absonderung und sachgemäße Behandlung sorgt. Der Knabe leidet ja an Skorbut in höchst unangenehmer Komplikation mit Krätze.«

      Der Rektor, der mit den anderen hinter uns ging, leuchtete philologisch und schaltete ein: »Skorbut, wörtlich genommen: Knochenspalt, hängt wahrscheinlich auch mit scorpio zusammen, wie Carcinom mit Cancer, Krebs, während scabies, die Krätze, aus dem Griechischen skapto, nachweislich zuerst bei Juvenal vorkommt.«

      Unser Medikus hörte an diesem Exkurs vorbei und gab seinem Unwillen weiteren Nachdruck: »Sie müssen doch in Ihrem Musterstaat eine amtlich organisierte Hygiene besitzen!«

      »Sie ist tatsächlich vorhanden,« versetzte Yelluon, »und sie hat ermittelt, daß gewisse Krankheiten einen höchst wohltätigen Einfluß auf den Bestand des Staates ausüben. Sie beugen nämlich der Übervölkerung vor und fügen sich somit vorzüglich in das System des Plato, der zwar einerseits reichlichen Nachwuchs verlangt, andererseits aber die Verhinderung einer Überzahl. Die Hygiene, wie wir sie verstehen, erhält somit die Aufgabe, die Mortalität nicht unter eine gewisse Grenze sinken zu lassen, das heißt, den Seuchen einen merklichen Spielraum zu gewähren und beileibe nicht alle kurabeln Krankheitsfälle wirklich zu heilen.«

      »Ich hätte Lust, mich mit eurem Oberhygieniker einmal zu unterhalten!« rief der Arzt in sichtlicher Empörung.

      »Sie meinen den Minister der medizinischen Philosophie. Wir stehen gerade vor seiner Behausung, allein wir dürfen ihn nicht stören, da er seit Monaten unausgesetzt an einem großen Werk arbeitet, das den Titel führt: Welche sittlichen Pflichten besitzt der Mensch gegenüber den Kokken, die den Milzbrand hervorrufen, mit besonderer Berücksichtigung der Leitsätze aus de officiis von Cicero. Sie ersehen hieraus die Vielseitigkeit unserer Behörden, die nur dadurch ermöglicht wird, daß sie die Nebensächlichkeiten vernachlässigen. Wir haben übrigens noch ein weiteres Mittel in der Hand, um der Übervölkerung entgegenzuwirken, nämlich die künstliche Abtreibung, die von Plato direkt angeordnet, durch unsere Ärzte zu einem unglaublich hohen Grade technischer Vollendung gediehen ist. Interessant ist dabei, daß Plato persönlich sich noch höchst abfällig über die Hippokratischen Ärzte äußerte und ihnen in seinem Staatswerk ihre damalige lebenverlängernde Routine zum Vorwurf machte, ja geradezu zum Verbrechen stempelte. Wir haben Ursache zu der Annahme, daß Plato die Ärzte unserer Insel weit beifälliger beurteilen würde,

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