Casanovas Heimfahrt. Arthur Schnitzler
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Während die beiden Männer die staubige, im sengenden Mittagsglanz daliegende Straße ins Land hinausfuhren, erzählte Olivo weitschweifig und wenig geordnet von seinen Lebensumständen: wie er bald nach seiner Verheiratung ein winziges Grundstück nahe der Stadt gekauft, einen kleinen Gemüsehandel angefangen; dann seinen Besitz allmählich erweitert und Landwirtschaft zu treiben begonnen; – wie er es endlich durch die eigne und seiner Gattin Tüchtigkeit mit Gottes Segen so weit gebracht, daß er vor drei Jahren von dem verschuldeten Grafen Marazzani dessen altes, etwas verfallenes Schloß samt dazugehörigem Weingut käuflich zu erwerben imstande gewesen, und wie er sich nun auf adligem Grund mit Frau und Kindern behaglich, wenn auch keineswegs gräflich, eingerichtet habe. All dies aber verdanke er zuletzt doch nur den hundertfünfzig Goldstücken, die seine Braut oder vielmehr deren Mutter von Casanova zum Geschenk erhalten habe; – ohne diese zauberkräftige Hilfe wäre sein Los wohl heute noch kein andres, als es damals gewesen: ungezogne Rangen im Lesen und Schreiben zu unterweisen; wahrscheinlich wäre er auch ein alter Junggeselle und Amalie eine alte Jungfer geworden… Casanova ließ ihn reden und hörte ihm kaum zu. Ihm zog das Abenteuer durch den Sinn, in das er damals zugleich mit manchen andern bedeutungsvollern verstrickt gewesen war, und das, als das geringste von allen, seine Seele so wenig als seither seine Erinnerung beschäftigt hatte. Auf einer Reise von Rom nach Turin oder Paris – er wußte es selbst nicht mehr – während eines kurzen Aufenthalts in Mantua hatte er Amalia eines Morgens in der Kirche erblickt und, da ihm ihr hübsches blasses, etwas verweintes Antlitz wohlgefallen, eine freundlich galante Frage an sie gerichtet. Zutunlich wie sie damals alle gegen ihn waren, hatte sie ihm gern ihr Herz aufgeschlossen, und so erfuhr er, daß sie, die selbst in dürftigen Verhältnissen lebte, in einen armen Schullehrer verliebt war, dessen Vater ebenso wie ihre Mutter zu einer so aussichtslosen Verbindung die Einwilligung entschieden verweigerte. Casanova erklärte sich sofort bereit, die Angelegenheit ins reine zu bringen. Er ließ sich vor allem mit Amaliens Mutter bekanntmachen, und da diese als eine hübsche Witwe von sechsunddreißig Jahren auf Huldigungen noch Anspruch machen durfte, war Casanova bald so innig mit ihr befreundet, daß seine Fürsprache alles bei ihr zu erreichen vermochte. Sobald sie erst ihre ablehnende Haltung aufgegeben, versagte auch Olivos Vater, ein heruntergekommener Kaufmann, seine Zustimmung nicht länger, insbesondere als Casanova, der ihm als entfernter Verwandter der Brautmutter vorgestellt wurde, sich großmütig verpflichtete, die Kosten der Hochzeit und einen Teil der Aussteuer zu bezahlen. Amalia selbst aber konnte nicht anders, als dem edlen Gönner, der ihr erschienen war wie ein Bote aus einer andern höhern Welt, sich in einer Weise dankbar erzeigen, die das eigne Herz ihr gebot; und als sie sich am Abend vor ihrer Hochzeit der letzten Umarmung Casanovas mit glühenden Wangen entrang, war ihr der Gedanke völlig fern, an ihrem Bräutigam, der sein Glück am Ende doch nur der Liebenswürdigkeit und dem Edelsinn des wunderbaren Fremden verdankte, ein Unrecht begangen zu haben. Ob Olivo von der außerordentlichen Erkenntlichkeit Amaliens gegenüber dem Wohltäter je durch ein Geständnis Kunde erhalten, ob er ihr Opfer vielleicht als ein selbstverständliches vorausgesetzt und ohne nachträgliche Eifersucht hingenommen hatte, oder ob ihm gar, was geschehen war, bis heute ein Geheimnis geblieben war, – darum hatte Casanova sich niemals gekümmert und kümmerte sich auch heute nicht darum.
Die Hitze stieg immer höher an. Der Wagen, schlecht gefedert und mit harten Kissen versehn, rumpelte und stieß zum Erbarmen, das dünnstimmig gutmütige Geschwätz Olivos, der nicht abließ, seinen Begleiter von der Ersprießlichkeit seines Bodens, der Vortrefflichkeit seiner Hausfrau, der Wohlgeratenheit seiner Kinder und von dem vergnügt harmlosen Verkehr mit bäuerlicher und adliger Nachbarschaft zu unterhalten, begann Casanova zu langweilen, und ärgerlich fragte er sich, aus welchem Grunde er denn eigentlich eine Einladung angenommen, die für ihn nichts als Unbequemlichkeiten und am Ende gar Enttäuschungen im Gefolge haben konnte. Er sehnte sich nach seinem kühlen Gasthofszimmer in Mantua, wo er zu dieser selben Stunde ungestört an seiner Schrift gegen Voltaire hätte weiterarbeiten können, – und schon war er entschlossen, beim nächsten Wirtshaus, das eben sichtbar wurde, auszusteigen, ein beliebiges Gefährt zu mieten und zurückzufahren, als Olivo ein lautes Holla he! hören ließ, nach seiner Art mit beiden Händen zu winken begann und, Casanova beim Arm packend, auf einen Wagen deutete, der neben dem ihren, zugleich mit diesem, wie auf Verabredung, stehengeblieben war. Von jenem andern aber sprangen, eines hinter dem andern, drei