Die Sklavenkarawane. Karl May
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Wie die Negervölker des Sudan, so sind auch viele Araber der Ansicht, daß im Löwen die Seele irgend eines verstorbenen Scheichs stecke. Darum dulden sie seine Räubereien lange Zeit, bis er zu große Opfer von ihnen fordert. Dann ziehen sie in Masse aus, um ihn zu vernichten, wobei sie den Kampf durch hochtrabende Rede, welche sie ihm halten, einleiten.
Während der kühne europäische Jäger sich nicht scheut, dem Löwen ganz allein gegenüber zu treten, während er das fürchterliche Raubtier sogar am liebsten des Nachts an der Tränke aufsucht, um es mit der sicheren Kugel zu erlegen, hält der Araber das nicht nur für eine außerordentliche Kühnheit, sondern geradezu für Wahnsinn. Hat der Löwe die Herden eines arabischen Duar so gelichtet, daß den Leuten endlich doch die Geduld vergeht, so machen sich alle wehrfähigen Individuen auf, ihn zu erlegen. Das geschieht natürlich am hellen Tage. Man rüstet sich mit allen möglichen Waffen, sogar mit Steinen, betet die heilige Fathha und rückt dem Löwen vor sein Lager, welches gewöhnlich sich zwischen Felsen befindet, die von dornigem Gestrüpp umgeben sind.
Nun beginnt einer, welcher sich durch besondere Sprachgewandtheit auszeichnet, dem Tiere in höflichen Ausdrücken mitzuteilen, daß man wünscht, er möge die Gegend verlassen und die Rinder, Kamele und Schafe eines andern Dorfes verspeisen. Das ist natürlich ohne Erfolg. Es wird ihm der Beschluß der Dorfältesten nun in dringenderer, ernsterer Weise zu Gehör gebracht – ebenso umsonst. Darauf erklärt der Sprecher, daß man jetzt gezwungen sei, gewaltsame Maßregeln zu ergreifen, und man beginnt, so lange mit Steinen nach dem Dickicht zu werfen, bis der aus seinem Tagesschlummer aufgescheuchte Löwe erscheint, indem er stolz und majestätisch hinter den Felsen und aus dem Gestrüppe hervortritt. In diesem Augenblicke schwirren alle Pfeile, sausen alle Wurfspeere und krachen alle Flinten. Dabei ertönt ein Schreien und Heulen, daß der Löwe, wenn er nur ein wenig musikalisches Gehör hätte, augenblicklich davonrennen würde.
Keiner hat sich Zeit genommen, richtig zu zielen. Die meisten Geschosse gehen an dem Tiere vorüber; nur einige treffen, indem sie ihn leicht verwunden. Da sprühen seine Augen Feuer – ein Sprung, und er hat einen der Jäger unter sich liegen. Wieder krachen die Schüsse. Der Löwe, jetzt schwerer verwundet, holt sich noch ein zweites, ein drittes Opfer, bis er von den Geschossen, von denen keins wirklich tödlich traf, ganz durchlöchert tot zusammenbricht.
Nun aber ist es aus mit dem Respekte, mit welchem er vorher angeredet wurde, denn er ist tot und kann keine Beleidigung mehr rächen. Man wirft sich auf ihn; man tritt ihn mit Füßen und schlägt ihn mit Fäusten; man speit ihn an und besudelt sein Andenken, seine Vorfahren und Verwandten mit Schimpfworten, von denen die arabische Sprache einen fast unerschöpflichen Schatz besitzt.
Der Fremde lächelte ein wenig über den Bericht des Schechs. Es war ein Lächeln, welches bekundete, daß er sich gewiß nicht von dem »Herrn mit dem dicken Kopfe« und seiner Familie hätte »auffressen« lassen.
Diese kurze Unterhaltung hatte stattgefunden während man aufbrach. Dies geschieht nicht so leicht, wie der Europäer denken mag. Hat man Pferde als Reittiere, nun, so steigt man einfach in den Sattel und reitet davon. Bei den Kamelen aber ist es anders, besonders bei den Lastkamelen. Diese sind keineswegs die geduldigen Tiere, als welche sie in zahlreichen Büchern beschrieben werden. Sie sind vielmehr faul, bösartig und heimtückisch, ganz abgesehen von ihrer natürlichen Häßlichkeit und dem unangenehmen Geruch, den sie verbreiten. Dieser letztere ist so widerlich, daß es Pferde verschmähen, eine Nacht neben Kamelen zuzubringen. Das »Schiff der Wüste« ist ein bissiges Vieh; es schlägt vorn und hinten aus, hat keine Anhänglichkeit und besitzt eine Indolenz, welche nur von seiner Rachsucht noch übertroffen wird. Es gibt Tiere, denen sich kein Europäer nahen darf, ohne in Gefahr zu geraten, gebissen oder unter die Füße getreten zu werden.
Wahr ist‘s freilich, daß das Kamel sehr genügsam und ausdauernd ist, aber die außerordentlichen Leistungen, von denen man in dieser Beziehung gefabelt hat, beruhen auf Übertreibung. Kein Kamel vermag länger als drei Tage zu dürsten. So lange hält der Wasservorrat seines Magens aus, nicht länger. Wird es nach dieser Zeit nicht getränkt, so legt es sich nieder und ist selbst durch die grausamste Behandlung nicht wieder auf die Beine zu bringen. Es bleibt liegen, um zu verschmachten.
Ebenso ist es eine Lüge, daß der Beduine, wenn ihm das Wasser ausgeht, sein Leben rettet, indem er sein Kamel ersticht, um das in dem Magen desselben befindliche Wasser zu trinken. Der Magen eines geschlachteten Kamels enthält kein Wasser sondern eine blutwarme, dicke, mit Futterresten vermischte und schlimmer als ein Düngerhaufen nach allen möglichen Ammoniumsalzen riechende, dem Inhalte unserer Senkgruben ähnliche Jauche. Selbst ein Mensch, welcher vor Durst im Verschmachten liegt, wird keinen Schluck dieses entsetzlichen Zeuges trinken können.
Die schlechten Eigenschaften des Kamels zeigen sich während der Reise besonders nach der Ruhezeit, wenn es wieder beladen werden soll. Da wehrt es sich nach Leibeskräften mit dem Maule und den Beinen; da stöhnt und röchelt, da ächzt und brüllt es aus Leibeskräften. Dazu kommt dann das Zanken, Schreien und Fluchen der Männer, welche an ihm und der Ladung herumzerren. Es gibt das stets eine Scene, daß man davonlaufen möchte.
Von etwas edlerem Charakter sind die Reitkamele, Hedschin genannt. Es gibt da Tiere, welche sehr teuer bezahlt werden. Man hat für ein graues Bischarihnhedschin zehntausend Mark bezahlen sehen. Der Sattel des Lastkamels ist ein dachförmiges Gestell mit erhöhten Giebeln, welche den vordern und hintern Sattelknopf bilden. Er wird Hauiah genannt. Dagegen heißt der Sattel des schlanken, hohen Hedschin Machlufah. Er ist so eingerichtet, daß der Reiter in eine bequeme Vertiefung zu sitzen kommt, so daß er die beiden Beine vor dem vordern Sattelknopfe auf dem Halse des Kamels kreuzt. Wenn der Reiter aufsteigt, muß das Kamel am Boden liegen. Kaum hat er mit der Hand den Sattel berührt, so schnellt das Kamel erst hinten und dann vorn empor, so daß der Mann erst nach vorn und dann wieder nach hinten geworfen wird. Er muß gut Balance halten, um nicht abgeschleudert zu werden.
Ist das Kamel dann einmal im Gange, so hat selbst das Lasttier einen so steten und ausgiebigen Schritt, daß man mit demselben verhältnismäßig große Strecken zurücklegt.
Die Beni Homr hatten genug zu thun, den Kamelen die Lasten wieder aufzuschnallen. Während das geschah, war der Fremde auf sein Hedschin gestiegen und langsam vorausgeritten. Er kannte zwar die Gegend nicht, wußte aber die Richtung, nach welcher er sich zu wenden hatte.
»Dieser Hund hat sich nicht bewegt, während wir beteten,« sagte der Schech. »Er hat weder die Hände gefaltet noch die Lippen bewegt. Möge er im tiefsten Loche der Dschehenna braten!«
»Warum hast du ihn nicht längst dahin geschickt!« brummte einer seiner Leute.
»Wenn du das nicht begreifst, so hat Allah dir kein Gehirn gegeben; hast du denn nicht die Waffen dieses Christen gesehen? Hast du nicht bemerkt, daß er mit jeder kleinen Pistole, deren er zwei hat, sechsmal schießen kann ohne zu laden? Und in seinen Flinten hat er vier Schüsse. Das macht zusammen sechzehn; wir aber sind nur fünf Personen.«
»So müssen wir ihn töten, während er schläft.«
»Nein, ich bin ein Krieger, aber kein Feigling. Ich töte keinen Schlafenden. Aber gegen sechzehn Kugeln können wir nichts machen, und darum habe ich Abu el Mot gesagt, daß wir heute den Bir Aslan erreichen werden. Dort mag er thun, was ihm gefällt, und wir werden mit ihm teilen.«
»Wenn es etwas gibt, was des Teilens wert ist! Was hat dieser Christ denn bei sich? Häute von Tieren und Vögeln, welche er ausstopfen will, Flaschen voller Schlangen, Molche und Skorpionen, mit denen Allah ihn braten möge! Ferner Blumen, Blätter und Gräser, welche er zwischen Papier zerquetscht. Ich glaube, er bekommt zuweilen den