Old Surehand I. Karl May
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Was Old Wabble betrifft, so hatte ich viel, sehr viel von ihm gehört, ihn aber noch nicht gesehen. Man wußte, daß er wirklich existiere, und doch lebte er in den Erzählungen wie eine mythische Gestalt, mit der die Gegenwart nichts mehr zu schaffen hat. Man berichtete hundert und aberhundert Schrullen und Thaten von ihm, welche bewiesen, daß er ein Original war, wie es kaum ein zweites geben konnte; man wußte nicht, wo er sich jetzt befand und was er trieb, und wenn er plötzlich einmal hier oder dort auftauchte, so war es nur für eine kurze Zeit, und man hatte wieder eine schnelle, kühne That oder eine ganz abnorme Sonderlichkeit von ihm zu erzählen.
In seiner Jugend war er der »König der Cowboys« genannt worden; jetzt hatte er ein Alter erreicht, welches man auf über neunzig Jahre schätzte, doch sollte er noch ebenso rüstig wie ein junger sein, und nur sein langes, schneeweißes Haar, welches beim Schnellreiten wie eine Mähne hinter ihm wehte, verriet die Länge seines außerordentlich bewegten Lebens. Ich hatte längst den Wunsch gehabt, ihn einmal zu sehen. Nun war er vor mir hier gewesen und wahrscheinlich für lange Zeit wieder verschwunden.
Es war während Parkers Erzählung Abend geworden; wegen der Comantschen durfte kein Feuer angebrannt werden; darum gab es keine Unterhaltung, und wir legten uns schlafen. Als wir am nächsten Morgen aufbrechen wollten, zeigte es sich, daß Parkers Mißtrauen nicht unberechtigt gewesen war: der Kommandant wollte absolut einen von den Jägern als Scout zurückbehalten, stieß aber bei ihnen auf so hartnäckige Weigerungen, daß er endlich einsah, es sei besser, zu verzichten; ein mit Zwang gepreßter Späher hätte ihm voraussichtlich mehr Schaden als Nutzen gebracht. Da machte ich mir den Spaß, mich ihm anzubieten. Er wies mich mit einer verächtlichen Handbewegung zurück und sagte:
»Reitet nur immer fort, Mr. Charley! Ein Mann, dessen Beruf es ist, nach verfaulten Knochen und Ueberresten zu suchen, kann unmöglich das thun, was ich von einem Scout verlange. Stochert also getrost in alten Gräbern weiter; ich will mir mit Euch keine Last auf den Hals laden.«
Er hatte also erfahren, was mich vermeintlich nach dem Westen getrieben hatte. Well, mir war dieser Abschied recht. Um nicht etwa noch im Fortreiten durchschaut zu werden, hing ich so unbeholfen wie möglich auf dem Pferde und behielt dies dann auch während des ganzen heutigen Rittes bei, damit meine Begleiter ihre Ansicht über mich nicht ändern möchten.
Diese zehn Männer hatten sich auf der Route vom Rio Gila herüber zusammengefunden und wollten jetzt nach Texas hinab, der eine von dieser und der andre von jener Absicht getrieben; eine durch einen bestimmten Zweck zusammengehaltene Gesellschaft bildeten sie nicht.
Vom Lagerplatze der Truppen bis zum Mistake-Cañon hatten wir vier Stunden zu reiten, welche vergingen, ohne daß sich irgend etwas ereignete. Josua Hawley wurde unterwegs an sein gestriges Versprechen erinnert, und er versprach, es zu halten. Die wenigen Worte, die ich gestern aus seinem Munde gehört hatte, waren mir genug; ich Wußte, daß er der Weiße war, der den roten Freund infolge eines Mißverständnisses erschossen hatte. Das lag ihm noch heut auf der Seele, und daher die Schwermut, die mir gleich beim ersten Blicke aufgefallen war.
Wir hatten uns bis jetzt auf einer felsigen Hochebene befunden, die sich nun allmählich abwärts senkte. Dann hielten wir vor einem tiefen Schlunde, zu dem ein steiler Weg hinabführte. Wie ein von Gigantenfäusten in den Felsen gehauener Graben zog er sich von uns aus scheinbar endlos nach Osten, mit steilen Wänden, die mehrere hundert Fuß hoch waren. Unten rauschte ein Wasser, welches von oben aus wie schwarze Tinte erschien. Da, wo wir hielten, standen vereinzelte Riesenkaktus am Felsenrande. Das war der Mistake-Cañon, dessen Anfang sich vor uns öffnete und in den wir hinabmußten. Wer das Auge hinab in den drohend emporgähnenden Schlund richtete, dem konnte allerdings ein Grausen, ein Gefühl überkommen, als ob da unten die Stätte eines unabwendbaren Unheiles sei. Ich hatte viele Cañons gesehen und auch viele durchritten, war aber von keinem, um mich des Ausdruckes zu bedienen, so zurückgeworfen worden wie von diesem hier.
Wir ritten den steilen Weg hinab, bis wir den Grund erreichten; dort ging es am Wasser hin, welches nun allerdings ein andres Aussehen hatte. Wir gelangten an einen großen Uferstein, an dem es sich brach; da hielt Jos sein Pferd an, stieg ab, setzte sich auf den Stein und sagte:
»Hier ist der Ort, an welchem ich mein Versprechen halten will. Steigt ab, Mesch‘schurs! Ihr sollt erfahren, wie die Sage von dem Geiste des Mistake-Cañon entstanden ist.«
»Geist? Pshaw!« lachte Sam Parker. »Ein Dummkopf ist, wer an solche Geister und Gespenster glaubt. Ein weißer Jäger hat irrtümlicherweise einen befreundeten Apatschen an Stelle eines feindlichen Comantschen erschossen. Niemand aber kann sagen, wer es gewesen ist und wie so etwas hat möglich sein können.«
»Ich, ich kann es sagen, ich allein,« meinte Jos, indem er sich mit der Hand über die Augen strich.
»Ah, du? Du weißt es, wie diese unglückselige Geschichte sich zugetragen hat?«
»Ob ich es weiß! Hier von dem Stein aus, auf welchem ich sitze, habe ich selbst damals den verhängnisvollen Schuß abgefeuert. Meine Augen waren um dreißig Jahre jünger als jetzt, aber doch nicht scharf genug, den Richtigen vom Falschen zu unterscheiden. Ich hatte einen Freund, wißt Ihr, einen echten, wahren; er war ein Apatsche und hieß Tkhlisch-lipa, »Klapperschlange«. Er verdankte mir das Leben und hatte dafür versprochen, mir einen Ort zu zeigen, an welchem Nuggets in Menge zu finden seien, wie ich bereits gesagt habe. Ich suchte mir also vier wackere Boys zusammen, welche zu dem Unternehmen paßten. Wir mußten sehr vorsichtig sein, weil der Ort im Gebiete der Komantschen lag; darum nahmen wir Weißen keine Pferde mit, und nur der Apatsche hatte auf seinen Mustang nicht verzichten wollen. Um keine lange Einleitung zu machen, wir kamen hier oben am Cañon an. ihr seht am Rande desselben einzelne Riesenkakteen stehen. Weiter zurück gab es damals einen ganzen Wald davon, an dessen Saum wir uns eine Hütte bauten, in welcher wir wirtschaften wollten, während der Arbeitsplatz hier unten am Wasser lag.
»Tkhlisch-lipa hatte nicht gelogen; unsere Ausbeute war über Erwarten reich, obgleich nur vier Personen schaffen konnten, da einer die Hütte zu bewachen hatte, während ein andrer jagen mußte, um für Fleisch zu sorgen. Das letztere hatte mit der größten Umsicht zu geschehen, da Avat-kuts, der »große Büffel«, der Häuptling der hier hausenden Comantschen, nicht nur ein blutgieriger Mensch, sondern auch ein Virtuos im Spüren war. Es verstand sich ganz von selbst, daß jeder neben Hacke und Spaten auch seine Waffen stets bei der Hand hatte.
»Wir mochten wohl an die drei Wochen hier gewesen sein, als eines Tages der Apatsche den Dienst bei der Hütte zu versehen hatte, während ein Kamerad, der lange Winters, nach Fleisch umherstreifte. Während wir andern unten herzhaft arbeiteten, saß der Rote oben, sich langweilend, in der heißen Sonnenglut. Er hatte sein Oberkleid, eine neue, wertvolle Santillodecke, abgelegt und rieb sich den Körper zum Schutze gegen Insekten, nach Indianerart mit Bärenfett ein. Da hört er hinter sich ein Geräusch. Er blickt sich um und sieht den gefürchteten Comantschenhäuptling, den er sofort erkennt, vor sich stehen, mit dem Gewehrkolben zum Schlage ausholend. Ehe er auszuweichen vermag, saust der Hieb nieder und trifft ihn so auf den Kopf, daß er die Besinnung verliert. Daß ihm nicht der Schädel zerschmettert worden ist, hat er nur seiner eigenartigen Kopfbedeckung zu verdanken, einer Art Mütze, welche mit Fuchsschwänzen und Klapperschlangenhäuten verziert war.
»Avat-kuts läßt ihn einstweilen liegen und tritt in die Hütte, um dieselbe zu untersuchen. Er findet unsre mit Nuggets gefüllten Lederbeutel und hängt sie sich an den Gürtel. Wieder zurückgekehrt, wirft er seine alte Kallikojacke ab und vertauscht sie mit der Santillodecke. Auch die Mütze des Betäubten gefällt ihm, und er stülpt sie sich auf