Der Ochsenkrieg. Ludwig Ganghofer
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»Gotts Teufel und Bohnenstroh!« Ein breites Lachen. »Da tu ich Glück ansagen, Edel Herr Doktor Someiner!« Wieder dieses Lachen. »Sucht sich ein Kind die richtig Mutter aus, so wird das Leben ein lustigs Aufwärtsschupfen.«
Der Huftritt des Pongauers klirrte. Und von irgendwo aus der Luft klang eine besorgte Frauenstimme: »Bub, bist du’s? Bist du’s?«
»Wohl, Mutter!«
»Endlich! Gott sei Dank! — Vater, so schau doch! Hast wieder umsonst gebrummt. Der Bub ist doch lang schon da.« Die Stimme erlosch, und man hörte das Geklapper eines Schubfensters, das herunterfiel.
Der Pongauer blieb vor einem dunklen Tore stehen, und der Reiter stieg aus dem Sattel.
Lampert Someiner, Magister artium und Doktor des kanonischen und gemeinen Rechts, hatte das Haus seines Vaters erreicht, des Amtmanns zu Berchtesgaden.
Der eichene Torflügel rasselte auf. Ein Knecht mit einem Windlicht erschien und nahm den dampfenden Moorle in Empfang. Und Lampert sprang über die Schwelle mit dem flinken Schritt des Sechsundzwanzigjährigen, der sich der Heimat freut und weiß: Jetzt hab ich mein Tischleindeckdich!
Ein Flur mit gewölbter Decke, erleuchtet von einer kleinen Hirschtalglampe. Eine Tür — die Türe der Amtsstube — war schwer vergittert. Über ein steiles, enggemauertes Trepplein gings hinauf. Und durch den gleichen Flur, in dem diese Herrentreppe war, wurde der Pongauer zu seinem Stall geführt.
Oben auf der Treppe stand Mutter Someiner mit hoch erhobenem Leuchter, dessen Teller einen schwarzen Schatten über die Frau herunterwarf. »Ach, Bub, wie kannst du denn nur so lang ...« Da sah sie den Zustand seiner Kleidung und erschrak. »Um Himmels willen! Bub? Was ist geschehen? Dir?«
»Nichts, Mutter, nichts!« Er lachte. »Der Moorle und ich, wir haben nur ein lützel durch schiechen Honig müssen. Süß ist er nicht gewesen, aber gepickt hat er. Tu mich nicht anrühren, sonst werden deine weißen Tüchlein grau.« Lachend schob er sich an der Mutter vorüber, sprang die andere Treppe hinauf und trat in eine kleine, weiße, von zwei dicken Kerzen erleuchtete Stube. Die schwere, weiß umhangene Bett stelle nahm fast ein Drittel des Raumes ein; in der Ecke ein kleiner Tisch mit kupfernem Becken und kupferner Wasserkanne, die von der Handzwehle bedeckt war. An der Wand eine große eisenbeschlagene Truhe. Darüber ein Zapfenbrett mit Gewand und Waffen. Und dann ein Erker, der halb ein kleines, vergittertes Fenster und halb eine niedere Tür war, die zu einer Altane führte. Das Stübchen duftete herb. In das Wachs der Kerzen war Räucherwerk eingeschmolzen, dessen strenger Wohlgeruch in dünnen Rauchfäden aus den zuckenden Feuerherzen der beiden Dochte stieg. Solche Kerzen goß man, seit durch das deutsche Land der schwarze Tod gegangen war, der jeden Dritten unter den Boden warf.
Drunten, auf der ersten Treppendiele, war die Amtmännin stehengeblieben, bis sie vernahm, daß droben die Türe geschlossen wurde.
Nun betrat sie die Wohnstube.
Frau Someiner war in dunkles Braun gekleidet. Und dennoch war sie weiß. Die leinene Glockenschürze bildete eine Art von Übergewand, und weiße Ellbogenschoner waren um die Ärmel gebunden. Ein rundes, aufgeregtes Muttergesicht mit lebhaften Braunaugen. Und über dem leichtergrauten Haar die weiße Fältelhaube mit der Kinnbinde.
Der Tisch in der Wohnstube war schon gedeckt. Aber Frau Someiner hatte da noch immer was zu richten, während sie von ihrem Buben schwatzte.
Der Amtmann nickte zu allem. Doch er sah dabei sehr aufmerksam auf das Schachbrett, das in dem kleinen Erker auf einem spreizfüßigen Tischchen vor ihm stand. Die untere Hälfte des Herrn Ruppert Someiner trug noch die Amtstracht, schwarze Strumpfhosen und rote Schuhe, während die Herzgegend des Gestrengen in eine braune, pelzverbrämte Hausschaube gewickelt war. Graue Haarsträhnen hingen schütter über die Wangen herunter. Herr Someiner, den der Bader mit dem besten seiner Messer zu rasieren pflegte, hatte kein böses, nur ein müdes Gesicht, das ein bißchen gelb war von stetem Ärger. Das Schuldenwesen des Stiftes, dessen Wirtschaft er zu führen hatte, machte ihm schwere Sorgen. Und bei dem vielen Handel und Wandel mit gefährlichen und unbotmäßigen Menschen hatte Herr Someiner zwei kalte, ungläubige Augen bekommen.
Neben der flinken, frohen Stimme der Amtmännin war in der Stube noch der langsame, schwere Schlag eines Uhrpendels. Bei jedem Schlag sagte das Pendel in dem hohen Kasten: »Bau!« Dann tat es für eine Sekunde lang einen seufzenden Atemzug. Und sagte von neuem: »Bau!«
Ein Ungeheuer von grünem Kachelofen wuchs mit abgesessenen Bänken aus der Wand heraus. Decke und Wände der Stube waren braun getäfelt, nur oben herum lief ein weißer Streifen der Mauer. Fast so groß wie der Ofen war der Anrichtkasten. Überall funkelte Zinn und Kupfer, überall leuchteten weiße Tüchelchen mit mühsamen Stickereien. Und über dem weißgedeckten Tische brannten auf schwebendem Eisenreif vier Wachskerzen mit dem gleichen herben Wacholderduft, wie er in Lamperts Schlafkammer war.
Der junge Doktor des kanonischen und gemeinen Rechtes betrat die Stube in der schwarzen Tracht seiner akademischen Würde. Das lange Braunhaar war sorgfältig gescheitelt, und in dem kräftigen, etwas erhitzten Jünglingsgesicht mit dem dunklen Bärtchen auf der Oberlippe und dem sprossenden Kinnflaum glänzten die gleichen Augen, wie Frau Someiner sie hatte. Ein zärtlicher Blick des jungen Mannes überflog die Stube. Vor drei Tagen war Lampert von der Prager Schule heimgekommen. Und noch immer hatte das elterliche Haus etwas Neues für ihn, jeder Blick entdeckte eine liebe Kostbarkeit.
Stolz betrachtete die Mutter den Sohn, während der Vater sagte: »Komm her ein lützel! Der hochwürdigste Herr Dekan hat mir eine Schachaufgab gestellt. Weiß zieht an und soll matt setzen nach drei Zügen. Aber ich komm nicht drauf.«
Lampert musterte die Stellung der Figuren. Dann griff er zu. »So, Vater! Und so! Und so!«
»Richtig! Er hat’s!« Herr Someiner lachte. »Bub! Wenn du im Amt so flink und sicher zugreifen lernst, dann tut der Hof mit dir als neuem Aktuario einen guten Fang. Und du kannst ihm die Schulden schupfen helfen.«
Glückliche Freude glänzte in den Augen der Amtmännin.
Eine alte Magd brachte das Nachtmahl, und es kam eine gemütliche Tafelstunde. Lampert erzählte von seinem Ritt zum Hallturm und zu der bayrischen Feste Plaien. Das Abenteuer auf dem Hängmoos überspringend, erzählte er von seinem Waldritt über den Bergsattel zum Taubensee. Dabei legte ihm die Mutter reichlich vor. Und einmal fragte sie: »Schmeckt es, Bub?«
»Ja, Mutter! Allweil ist Mutters Tisch die beste Herberg. Und ich hab einen gesegneten Hunger heimgebracht. Seit dem mageren Frühmahl, zu dem mich der Hallturner eingeladen, hab ich nur am Abend auf dem Hängmoos ein Schöppel Milch getrunken.«
»Milch?« Vater Someiner zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe. »Ist der Ochsenwirt auf dem Hängmoos solch ein Schlemmer, daß er sich Milch auftragen laßt, bis von der Ramsau her.«
Lampert lachte. »Aber Vater! In der Käserhütt auf dem Hängmoos brauchen sie doch nur zu melken.«
»Auf dem Hängmoos steht kein Käser.«
»Ich bin doch an der Hütt vorbeigeritten.«
»Da mußt du dich verschaut haben. Oder wo du gewesen bist, das war nicht das Hängmoos.«
»Wo der Sumpf ist, den die Jäger meiden? Hinter dem Taubensee droben? Ist dort das Hängmoos?«
»Ja.«
»Dort bin ich gewesen. Und die Hütt ist dagestanden.