Neue Gedichte. Rainer Maria Rilke

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Neue Gedichte - Rainer Maria Rilke

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niegeliebten Glieder

      zum erstenmal in dieser Liebesnacht.

      Wir legten uns noch nie zusammen nieder,

      und nun wird nur bewundert und gewacht.

      Doch, siehe, deine Hände sind zerrissen —:

      Geliebter, nicht von mir, von meinen Bissen.

      Dein Herz steht offen und man kann hinein:

      das hätte dürfen nur mein Eingang sein.

      Nun bist du müde, und dein müder Mund

      hat keine Lust zu meinem wehen Munde —.

      O Jesus, Jesus, wann war unsre Stunde?

      Wie gehn wir beide wunderlich zugrund.

      Gesang der Frauen an den Dichter

      Sieh, wie sich alles auftut: so sind wir;

      denn wir sind nichts als solche Seligkeit.

      Was Blut und Dunkel war in einem Tier,

      das wuchs in uns zur Seele an und schreit

      als Seele weiter. Und es schreit nach dir.

      Du freilich nimmst es nur in dein Gesicht

      als sei es Landschaft: sanft und ohne Gier.

      Und darum meinen wir, du bist es nicht,

      nach dem es schreit. Und doch, bist du nicht der,

      an den wir uns ganz ohne Rest verlören?

      Und werden wir in irgend einem mehr?

      Mit uns geht das Unendliche vorbei.

      Du aber sei, du Mund, daß wir es hören,

      du aber, du Uns-Sagender: du sei.

      Der Tod des Dichters

      Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war

      bleich und verweigernd in den steilen Kissen,

      seitdem die Welt und dieses von-ihr-Wissen,

      von seinen Sinnen abgerissen,

      zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.

      Die, so ihn leben sahen, wußten nicht,

      wie sehr er Eines war mit allem diesen;

      denn Dieses: diese Tiefen, diese Wiesen

      und diese Wasser waren sein Gesicht.

      O sein Gesicht war diese ganze Weite,

      die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;

      und seine Maske, die nun bang verstirbt,

      ist zart und offen wie die Innenseite

      von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.

      Buddha

      Als ob er horchte. Stille: eine Ferne...

      Wir halten ein und hören sie nicht mehr.

      Und er ist Stern. Und andre große Sterne,

      die wir nicht sehen, stehen um ihn her.

      O er ist Alles. Wirklich, warten wir,

      daß er uns sähe? Sollte er bedürfen?

      Und wenn wir hier uns vor ihm niederwürfen,

      er bliebe tief und träge wie ein Tier.

      Denn das, was uns zu seinen Füßen reißt,

      das kreist in ihm seit Millionen Jahren.

      Er, der vergißt was wir erfahren

      und der erfährt was uns verweist.

      L‘Ange du Méridien

      Chartres

      Im Sturm, der um die starke Kathedrale

      wie ein Verneiner stürzt der denkt und denkt,

      fühlt man sich zärtlicher mit einem Male

      von deinem Lächeln zu dir hingelenkt:

      lächelnder Engel, fühlende Figur,

      mit einem Mund, gemacht aus hundert Munden:

      gewahrst du gar nicht, wie dir unsre Stunden

      abgleiten von der vollen Sonnenuhr,

      auf der des Tages ganze Zahl zugleich,

      gleich wirklich, steht in tiefem Gleichgewichte,

      als wären alle Stunden reif und reich.

      Was weißt du, Steinerner, von unserm Sein?

      und hältst du mit noch seligerm Gesichte

      vielleicht die Tafel in die Nacht hinein?

      Die Kathedrale

      In jenen kleinen Städten, wo herum

      die alten Häuser wie ein Jahrmarkt hocken,

      der sie bemerkt hat plötzlich und, erschrocken,

      die Buden zumacht und, ganz zu und stumm,

      die Schreier still, die Trommeln angehalten,

      zu ihr hinaufhorcht aufgeregten Ohrs —:

      dieweil sie ruhig immer in dem alten

      Faltenmantel ihrer Contreforts

      dasteht und von den Häusern gar nicht weiß:

      in jenen kleinen Städten kannst du sehn,

      wie sehr entwachsen ihrem Umgangskreis

      die Kathedralen waren. Ihr Erstehn

      ging über alles fort, so wie den Blick

      des eignen Lebens viel zu große Nähe

      fortwährend übersteigt, und als geschähe

      nichts anderes; als wäre Das Geschick,

      was sich in ihnen aufhäuft ohne Maßen,

      versteinert und zum Dauernden bestimmt,

      nicht Das, was unten in den dunkeln Straßen

      vom Zufall irgendwelche Namen nimmt

      und darin geht, wie Kinder Grün und Rot

      und was der Krämer hat als Schürze tragen.

      Da war Geburt in diesen Unterlagen,

      und Kraft und Andrang war in diesem Ragen

      und Liebe überall wie Wein und Brot,

      und die Portale voller Liebesklagen.

      Das Leben zögerte im Stundenschlagen,

      und in den Türmen, welche voll Entsagen

      auf einmal nicht mehr stiegen, war der Tod.

      Das Portal

I

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