Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer. Andree Richard
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Die Lilien, welche weite Gebirgswiesen mit einem lieblichen Blütenschmuck überziehen, gelten als vorzügliche Charakterpflanzen Abessiniens. Aber nur die eßbaren Arten werden kultivirt, da Ziergärten den Eingeborenen ein unbekanntes Ding sind. Während die Spargelarten und die Aloë trockene, wüste Stellen aufsuchen, erfreuen auf sumpfigen Wiesen Commelina africana und Tradescentia das Auge, deren „Vogeleier“ genannte Knollen von den Abessiniern gegessen werden. An sie schließen sich Ixia-, Haemanthus-, Amaryllis- und Gloriosa-Arten an. Mit saftigen, hellgrünen Blättern und schöngestalteten Blütenähren leuchtet aus den grünen Wiesen Obitus abessinica hervor, während unter den Spargeln der kletternde Asparagus retrofractus Erwähnung verdient, dessen in das Haar des Vorderhauptes gesteckte Zweige anzeigen, daß der Träger ein wildes Thier erfolgreich bekämpft hat.
Orchideen giebt es nur wenige in Abessinien; ihr hauptsächlichster Vertreter ist das auf der Rinde des wilden Oelbaums schmarotzende Epidendrum capense. Aus der Gruppe der Pisange sind die gemeine Banane (Musa paradisica) und die kultivirte Ensete, sowie zwei Urania-Arten zu erwähnen, aus deren Fasern Seile und Matten bereitet werden. Die Palmen haben in Abessinien keinen Boden; sie kommen nur in den Küstenlandschaften des Danakil und Adal vor und auch dort in keineswegs besonderer Ausdehnung. Vertreter dieser Familie sind namentlich die Dattel-, Dum- und Fächerpalme.
Die Teich- oder Seerosen sind spärlich vertreten; ebenso die Aristolochien, von denen A. bracteata gegen die Wunden vergifteter Pfeile angewandt wird. Reichlich auftretend bilden die Nadelhölzer den Stolz der abessinischen Wälder; in den nördlichen Hochlanden gedeiht die Cederfichte, während weiter landeinwärts schöne Ded- oder Wachholderbäume (Juniperus excelsa) die Kirchen und Friedhöfe mit ihren düstern, aber hochaufstrebenden Kronen beschatten. Kaum einem Gotteshaus im ganzen Lande fehlt der Schmuck dieser bis zu 100 Fuß hohen Bäume, deren Stamm am Fußende vier bis fünf Schuh im Durchmesser erreicht. Fast in der Form einer Pyramide wachsend, wirft dieser Baum stets die unteren Aeste ab, die im rechten Winkel vom Stamme ausgehen, sodaß etwa zwei Drittel desselben des grünen Schmuckes beraubt sind; die Krone ist immer pyramidenförmig, wenn auch nie dicht. Das Holz, wenn auch keineswegs gut und dauerhaft, wird doch zu Balken bei Kirchenbauten und in Ermangelung anderer Holzarten als Brennholz gebraucht. Das Harz wird nicht benutzt; mit den Zweigen schmückt man jedoch die Leichen, bevor sie in die Gruft gesenkt werden.
Die niedrige, in den Hochgebirgslandschaften herrschende Temperatur verhindert keineswegs die kräftige Entwicklung der Feigenarten, die in ihrem ganzen Habitus den strengsten Gegensatz zu den Nadelhölzern bilden. Der Schoala, eine Art von Banyane mit breiten, eiförmigen, zugespitzten und gesägten Blättern, mit Fruchttrauben, die nur am Stamme und den Hauptästen sitzen, erreicht oft einen Durchmesser von sieben Fuß, bei einer Höhe von 40 Fuß. Seine Wurzeln ragen über den Boden empor; doch fehlen ihm alle Zweigwurzeln. Da er bei seiner Ausdehnung keinen geringen Raum einnimmt, steht er gewöhnlich allein oder am Rande der Wälder, in seinem tiefen Schatten alle andern Gewächse erdrückend. Die braunen, taubeneigroßen Früchte werden vom Volke in Zeiten der Noth gegessen.
Unter den polypetalen Gymnoblasten, in welchen das Pflanzenreich in Gestalt und Farbe den höchsten Grad seiner Vollkommenheit erreicht hat, fehlen gerade einige der wichtigsten Familien in der abessinischen Flora. Aepfel, Birnen, Mandeln – überhaupt die Pomaceen und Amygdaleen sind so schwach vertreten, daß man in der That einen höchst auffallenden Mangel an Fruchtbäumen, wilden und kultivirten, dort empfindet. Die Berberitze liefert gelben Farbstoff zu Trauerkleidern; das Hirtentäschchen (Thlaspi bursa pastoris), dieses kosmopolitische Unkraut, folgt der Agrikultur in Abessinien so gut wie in Europa; der schwarze Senf wächst wild und dient als Zusatz zu den ohnehin scharfen Pfeffersaucen; Kürbisse, welche Flaschen liefern, afrikanische Gurken und Koloquinten wachsen an dürren Stellen, letztere namentlich in der Samhara und der heißen Küstenzone. Die Samen der Phytolacca abessinica (Septe oder Endott) dienen statt der Seife, und die getrockneten Blätter der Callanchoë verna werden von Schwindsüchtigen statt des Tabaks geraucht.
Wir fügen hier die Citronen an, die in den königlichen Fruchtgärten gebaut werden oder in den tieferen Lagen wild wachsen; die Brombeeren (Rubus pinnatus), welche die besten aller wildwachsenden Früchte liefern, und die gleichfalls als Nahrung dienende Hagebutte (Rosa abessinica).
Während der schwarze Pfeffer, die unentbehrliche Zuthat zu allen abessinischen Speisen, eingeführt und theuer bezahlt wird, kultivirt man den allerdings botanisch ihm fernstehenden rothen Pfeffer (Capsicum frutescens) in den Tieflanden sehr sorgfältig. Von den übrigen Solaneen wird der Tabak eingeführt; vom Umboistrauch (Solanum marginatum) benutzt man die Samen, um damit die Fische zu betäuben, welche nichtsdestoweniger eßbar bleiben; der rothe Saft einer Tollkirsche (Atropa arborea) dient zum Färben der Nägel bei den abessinischen Damen, und die narkotischen Eigenschaften des Stechapfels (Datura Strammonium) sind den Zauberern und Diebsentdeckern wohlbekannt, da sie durch Verbrennen des Laubes die Leute betäuben. Gefährlich für kleine Thiere ist eine giftige Asclepiadee (Kannahia laniflora), die an den Ufern der meisten abessinischen Gewässer vorkommt, nur mit dem Unterschiede, daß sie, je nach den verschiedenen Distrikten, in ganz entgegengesetzter Jahreszeit blüht. In den Küstenthälern unfern Massaua findet die Entwicklungsperiode ihrer vortrefflich duftenden Blume im Mai statt; bei Gondar dagegen blüht die Pflanze im Oktober. Merkwürdig ist die tödtlich-betäubende Eigenschaft, welche ihr verführerischer Geruch oder süßer Nektarsaft auf verschiedene Insekten ausübt; denn nur ihm kann man es zuschreiben, daß in dem Kelche der meisten Blüten sich todte Wespen, Käfer u. s. w. finden.
Durch zahlreiche Repräsentanten sind die Familien der Kontorten, Rubiaceen und Ligustrineen vertreten. Am hervorragendsten sind eine Aasblume (Stapelia pulvinata) und Calotropis gigantea. Die erstere hat einen fleischigen, viereckigen und zwei Fuß hohen Stengel, dem man, wenn er seine Blüten entfaltet, wegen des üblen Geruches jedoch nicht zu nahen vermag; die letztere liefert gute Kohle zu Schießpulver.
Die Deka nimmt ihrer Ausdehnung nach den größten Theil Abessiniens ein. Sie reicht von 7500 Fuß bis zur Vegetationsgrenze bei 13,000 Fuß. Bis zu 12,000 Fuß Höhe gedeihen noch mehrere Getreidearten und bis 11,000 Fuß findet man den Kussobaum (Brayera anthelmintica), der als Wahrzeichen des Landes gelten kann. Wegen der Schönheit seines Wuchses und seiner Brauchbarkeit wird er allgemein geschätzt; denn infolge des rohen Fleischgenusses sind die Abessinier sehr stark von Eingeweidewürmern (Taenia und Strongilus) geplagt, gegen welche sie sich regelmäßig und zwar meist allmonatlich einer Abkochung der Kussoblüten bedienen. Drei Loth der getrockneten Blüten mit Wasser gekocht und getrunken, reinigen den Körper auf eine merkwürdig schnelle und sichere