Dalmatinische Reise. Bahr Hermann
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Zwei Offiziere, von Prag nach Cattaro versetzt, ein deutschnationaler Gemeinderat aus Innsbruck mit seiner Tochter, ein altes Ehepaar, das nach Gravosa geht. Wir sind kein Dutzend auf dem großen Schiff. Die Fremden, heißt's, fürchten den Krieg. Sie fürchten wohl mehr die Wanzen der dalmatinischen Hotels.
Es ist kalt. Die Sonne taucht mit blassen Strahlen aus dem Dunst. Der Wind flattert in kleinen kurzen knatternden Stößen. Wir sind an Muggia, Capo d'Istria und Pirano vorbei, es erscheinen Parenzo und Rovigno. Wenn man so vorüberkommt, ist's wie ein ausgestorbenes Land. Die Städte sehen verlassen und verfallen aus, als hätte der Feind hier gehaust und alles zertreten. Schön sind die spitzen Türme, die den Heiligen der Stadt tragen, in Parenzo den heiligen Georg, in Rovigno die heilige Euphemia. Alles hat venezianisches Wesen. Hinten ragt der Monte Maggiore.
Und die großen gelben Segel der frechen Chioggioten! Überall schwärmen sie. Es macht ihnen Spaß, hart vor dem großen Dampfer zu kreuzen. Weiß klatscht das Wasser ins tanzende Boot. Lachend steht ein wilder brauner Kerl darin und singt. Grau schießt ein Torpedo durch die spritzende Flut, wie ein Aal. Hinter ihm fliegt in langen Tönen das Lied des lachenden Chioggioten her.
Nun sind wir im Kanal von Fasana. Brioni wird sichtbar, Kupelwiesers Reich. Da lacht mir das Herz.
Bis vor ein paar Jahren sagte man in Pola: Unser Fluch ist Brioni, da liegt dieser Herd der Malaria vor uns und verpestet alles! Beamte waren in Pola und Admiräle waren in Pola und Generäle waren in Pola, und alle sagten: Dieses verfluchte Brioni, mit der Malaria! Sagten es und taten nichts. Bis der Kupelwieser kam. Das ist nämlich noch unser einziges Glück in Österreich, daß doch von Zeit zu Zeit immer wieder ein Kupelwieser kommt. Schüler war auch so einer, der Direktor der Südbahn, der daneben mit der linken Hand den Semmering und das Ampezzo und Abbazia erschaffen hat. Und Christomanos ist auch einer, von ihm sind die Berghotels in Tirol. Das sind Menschen mit sehenden Augen. Sie sehen dem Boden an, was er will und kann. Sie sehen die Möglichkeiten. Und dann reden sie nicht viel, sondern es geschieht.
Ein Kupelwieser, der Leopold, war ein bekannter Wiener Maler in der Schubert-Zeit. Er hat die Mode der Nazarener mitgemacht und Kirchen ausgemalt; der Hof hat ihm in den dreißiger Jahren Bilder zu Klopstocks Messias aufgetragen. Das alles ist recht langweilig. Aber auf der Schubert-Ausstellung der Stadt Wien, 1897, waren Porträts von ihm zu sehen, da steht er auf einmal ganz anders da, mit treuen Augen und der ehrlichsten Hand. Die sind nun offenbar in der Familie geblieben, die treuen Augen und die ehrliche Hand. Der in Brioni hat sie auch. Er ist einer, der die Augen offen hat und Hand anlegt. Sein ganzes Leben ist Arbeit gewesen, als alter Mann hat er rasten wollen, das kann er aber nicht. Brioni war ein Sumpf, er kam, jetzt ist es ein Eiland in Blüten und Früchten. Anfangs hat's geheißen: Er ist ein Narr! Jetzt gedeiht Wein und Gemüse dort, Fremde drängen sich, die Insel wird reich. Da heißt's: Der versteht sein Geschäft! Nun sollte man meinen, daß, wer einmal so bewiesen hat, was er kann, fortan doch das Vertrauen der Menschen hätte. Nein. Er plant jetzt den Hafen von Medolino. Das ist im Südosten Istriens eine breite Bucht, die hat er aufgekauft. Und wieder heißt's: Er ist ein Narr! Er sagt: Pola kann nicht länger Kriegshafen und Handelshafen zugleich sein, beide wollen wachsen, und so würgt einer den anderen, also trennt sie doch, gleich um die Ecke habt ihr einen anderen Hafen, eben den von Medolino, macht ihn zum Handelshafen, den Kriegshafen laßt in Pola, dann können beide bis in den Himmel wachsen! Und er sagt noch: Wir brauchen einen Hafen für den dalmatinischen Verkehr, Triest ist zu weit, jetzt geht der nächste Weg über Fiume, also durch Ungarn, es ist unsinnig, daß Österreich keinen eigenen Weg nach seiner Provinz Dalmatien hat, drum nehmt Medolino! Mit denselben Gründen fordern die Abbazianer aber den Hafen von Preluka, knapp an der ungarischen Grenze. Statt nun zu sagen: Ihr habt beide recht, und ebenso den Hafen von Medolino wie den von Preluka zu bauen, weil der Mensch, wenn es Gott schon so gut mit ihm meint, sich dankbar zeigen soll, spielt man nach altem Brauch im Ministerium jetzt den einen gegen den anderen und redet sich bei diesem auf jenen aus, bis beide so verhetzt sein werden, daß am Ende jeder zufrieden sein wird, wenn nur der andere auch nichts hat. Dies ist das System der österreichischen Verwaltung. Man regiert dadurch, daß jeder seinen Gewinn im Schaden des Nachbarn sucht.
Wir sind in Pola. Indem wir langsam, an Riffen, Türmen, Schanzen, Stangen und den hohen Kriegsschiffen vorüber, einfahren, reißt der Wind die Wolken auf, die Sonne bricht aus, durch die Bogen der Arena blaut es. Mir ist es immer wieder ein Wunder, sie zu sehen. Der Römer hat stehen können; neben ihm ist jedes andere Volk zapplig. Und was er hinstellt, steht. Steht und läßt um sich die Zeiten laufen. Diese Arena und, weiter drüben, der Tempel des Augustus und, draußen, der Bogen, den Salvia Posthuma dem Tribunen Sergius, ihrem Gatten, für seinen illyrischen Sieg errichtet hat, dies alles steht da wie versteinerte Ewigkeit. Man kann sich gar nicht denken, daß es einmal nicht war. Und diese ganze schmutzige gelbe Stadt scheint daneben nur hingemalt, auf einer rissigen schwappenden Leinwand.
Nun wieder hinaus, am Kap Promontor vorüber auf den Scoglio Porer zu. Ein Leuchtturm ist da; und rund herum gerade noch so viel Platz, daß ein Mensch gemächlich schreiten kann. Da wohnt ein Wächter. Ob der einmal von Richard Strauß gehört hat? Wen der wählen mag? Ob der betet? Man hat mir erzählt, daß Julius Singer, der Vizepräsident des Lloyd, diesen einsamen Türmern zu Weihnachten Bücher schenkt. Ich fürchte nur, es werden nicht die richtigen sein. Ich möchte ihnen den Homer, Walt Whitman und Tolstoi schenken. Um jeden anderen wäre mir bang, auf solchem nackten Fels im Meer. Nur diese Dichter, die den Menschen ganz ins All auflösen, in Licht und Luft, in Sturm und Flut, könnten sich hier erwehren. Hier zu sitzen, mit sich allein, wie Thoreau in seiner Hütte saß! Ein Jahr lang, ganz entmenscht. Oder drei? Oder fünf? Wer weiß? Und still abzuwarten, was dann von einem noch übrig sein wird. Was dann in einem übrig bliebe, das wäre fester Grund. Darauf könnte man bauen. Doch solcher Mut setzt sich einem nur zwitschernd auf die Schulter, gleich aber ist er wieder fortgeflogen. Man ist mehr Bürger als Mensch.
Jetzt sind wir im argen Quarnero. Vor uns ist Cherso, kahl, steinig, grau. Dahinter läßt sich der Velebit ahnen. Die Sonne schlägt sich mit dem Regen. Jeden Augenblick verändert sich der Tag. Bald scheint's in den Bergen zu wettern, da wird es hell, aber schon schwärzt sich der Himmel wieder. Indem wir nun zwischen den Inseln passieren, zwischen Unie und Canidole mit dem sandigen Sansego durch, bricht sich vor uns das Licht am Horizont so, daß dort unten der Scoglio Asinello und die kleinen Riffe neben ihm über dem Wasser in der Luft zu schweben scheinen, wie von einer unsichtbaren Hand aus dem Wasser gehoben und in der Luft gehalten. Das Wasser ist von einem Grau, das in der Ferne fast lila wird; darauf liegt ein glitzerndes silbernes Band, darauf die Luft und darauf erst, über dem grauen Grund und über dem weißen Band, hängen in der aschigen Luft die kleinen Inseln, schwarzblaue Risse, ungeheuren, plötzlich im Fliegen erstarrten, aufgespießten Fischen gleich.
In Lussin regnet's. Und auf der Riva der schauerliche Lärm! Lärm ist in jedem Hafen; in Patras und im Piräus schreit man noch mehr. Es gibt aber einen kaiserlich-königlich österreichischen Lärm, einen unnützen Lärm, einen verdrossenen, faulen, mechanischen Lärm, der so zuwider ist, weil er nur das Maul aufmacht und kein Temperament hat. Es ist derselbe Lärm wie in Ischl im Hotel Kreuz, wenn zu Mittag hundert hungrige Wiener ächzende Kellner an den Frackschösseln packen. Wie mir Lussin überhaupt immer den Eindruck macht: Ischl oder Aussee, plötzlich an das Meer versetzt; und das stimmt nicht. Aber man braucht dann freilich nur ein paar Schritte weg ins Land zu gehen, auf windstillem Weg unter leuchtenden Zitronen gegen Lussingrande hin, oder nach Cigale, und die lächerliche Vision von Wiener Café zerstiebt. Pinien, Opuncien, Agaven, blauer Rosmarin, der dunkle Lorbeer, die roten Eriken, Palmen, Orangen, Oleander, Ceratonien mit den rostigen Trauben und die weidengrauen Ölbäume. Und überall das ewige Meer, mit den scheckigen Segeln auf den blauen Wellen in der weißen Sonne.
Jetzt wird's lustig. Ein paar junge Herren von der Kriegsmarine sind eingestiegen. Sie lachen, necken die Offiziere mit ihrer Angst vor der Seekrankheit und erzählen Abenteuer. Es gibt ein Seelatein, wie's ein Jägerlatein gibt. Diese jungen Burschen sind