Deutsche Freiheit. Eucken Rudolf
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Anfang 1914 habe ich eindringlich auf das Mißliche, ja Gefährliche dieser seelischen Lage hingewiesen und in einer Schrift: „Zur Sammlung der Geister“ (Quelle und Meyer) die Schäden dieser einseitigen Arbeitskultur mit ihrer Zurückstellung der Seele geschildert; es hat sich damals eine Anzahl Gleichgesinnter zur gemeinsamen Besprechung in Darmstadt zusammengefunden, und wir waren einig, die Sache möglichst zu fördern, bis der Ausbruch des Krieges die Ausführung derartiger Pläne verhinderte.
Es genügt in Kürze zu erwähnen, was wir alle bewußt oder unbewußt miterlebten: das weitere und weitere Auseinandergehen von Arbeit und Seele, deren enge Verbindung früher die Größe und der Stolz der Deutschen war, das ständige Anwachsen der ausschließlichen Arbeitskultur, die Gleichgültigkeit des Arbeiters für seine Werke, die gegenseitige Entfremdung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, – Entfremdung auf allen Punkten und in allen Schichten, auch in der Weltanschauung, bis das Ganze in völlig getrennte Lager zerfiel.
Da kam der Weltkrieg. Zuerst führte die gewaltige Aufregung und glühende Begeisterung zur Einigung aller Parteien und Klassen; das große deutsche Reich war für einige Zeit einig und erlebte größte Triumphe. Seele und Arbeit kamen jetzt zu einer vollen Einigung. Aber nach und nach erlöschte das anfängliche Feuer, die Einigkeit der Gemüter sank mehr und mehr, bis das Reich dahin kam, wo es jetzt steht, niedergeworfen von Feinden und mehr noch durch inneren Zwist zerrissen, zerfallen an Leib und Seele.
Wie aber wird es möglich sein, daß wir uns aus so schweren Nöten erretten? Die nächste Hoffnung bildet unsere geistige Kraft mit ihrer Freiheit, aber was haben wir unter einer solchen Freiheit zu verstehen, und wie können wir sie suchen? Aus der vielfachen Verwirrung retten kann uns am besten ein Blick auf unsere geistigen Helden, die in leuchtender Klarheit und mit siegesgewisser Macht vor uns stehen.
Kein anderes modernes Volk hat eine solche Fülle selbstwüchsiger und schöpferischer Männer wie die Deutschen hervorgebracht, religiöse Führer wie Eckhart und Luther, Denker wie Leibniz und Kant, Dichter wie Goethe und Schiller, Tonkünstler wie Bach und Beethoven; diese Männer haben aus der größten Fülle des Geistes gelebt, sie alle sind unwiderlegliche Zeugnisse des Geistes und der Kraft für unser gemeinsames Leben. Daß aber alle diese Männer bei aller Verschiedenheit die geistige Freiheit als ihr höchstes Gut erklärten, das darf uns als ein erhebendes Zeichen dafür gelten, daß unser Volk in besonderem Maße das Vermögen ursprünglicher geistiger Freiheit hat, und daß es sich dadurch auf weitere Höhen emporheben, sowie sich aus tiefster Not retten kann. Eine große Offenbarung des Lebens hat sich bei uns vollzogen; halten wir sie mit voller Kraft fest und schöpfen wir immer neuen Mut aus ihr!
Als den Hauptführer des deutschen Lebens zu einer religiösen Freiheit dürfen wir Luther betrachten, natürlich unter Fernhalten alles Zufälligen und bloß Konfessionellen. Was war der Ausgangspunkt seines Strebens? Es war ein heiliger Ernst um die ewigen Güter und zugleich um die Rettung der eigenen Seele, es war ein glühender Zorn gegen das, was ihm als eine Entstellung und Entartung der Wahrheit galt; das trieb ihn zwingend zum Kampf gegen die ganze von seiner Umgebung geheiligte kirchliche Ordnung, zugleich aber zur Rettung der geistigen Freiheit. War es zufällig, daß seine mächtigste Schrift von der Freiheit des Christenmenschen handelte? Allem Zagen und Bedenken traten hier die markigen Worte entgegen: „Ärgernis hin, Ärgernis her, Not bricht Eisen und hat kein Ärgernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, sofern es ohne Gefahr meiner Seele geschehen kann. Wo nicht, so soll ich meiner Seele raten, es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt“. Das fordert Mut und Freiheit gegenüber den Menschen, es fordert zugleich eine innere Belebung und Erhöhung des eigenen Wesens, es eröffnet eine neue Welt. Hier vollzog sich ein geistiges Wunder: das Erscheinen und Durchbrechen eines in Gott begründeten Lebens, als der Quelle des persönlichen Lebens; dies Durchbrechen war eine dem Einzelnen weit überlegene Macht, aber es war ihm zugleich eine eigene Tat und Entscheidung, es gab ihm zugleich das Bewußtsein einer vollen Freiheit und Weltüberlegenheit, es ließ ihn vor allem Kirchlichen das Moralische mit seiner schlichten Größe schätzen. Für Luther war der Gottesgedanke nicht bloß eine jenseitige, aus überlegener Höhe gebietende Macht, sondern die Seele seines eigenen Lebens, er gewann bei ihm die unmittelbarste seelische Nähe, so daß es heißen konnte: „Daß nichts Gegenwärtigeres und Innerlicheres sein kann in allen Kreaturen denn Gott selbst“.
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