Der Doppelgänger. Dostoyevsky Fyodor
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Читать онлайн книгу Der Doppelgänger - Dostoyevsky Fyodor страница 10
Es traf sich, daß gerade in diesem Augenblicke nicht getanzt wurde. Die Damen promenierten in malerischen Gruppen im Saale. Die Herren drängten sich zu einzelnen Kreisen zusammen oder schwärmten durch den Saal, um Damen zu engagieren. Herr Goljadkin bemerkte nichts davon. Er sah nur Klara Olsufjewna, neben ihr Andrei Filippowitsch, ferner Wladimir Semjonowitsch und noch zwei oder drei Offiziere sowie noch zwei oder drei gleichfalls sehr interessante junge Leute, die, wie man auf den ersten Blick sehen konnte, zu schönen Hoffnungen berechtigten oder solche bereits erfüllten … Er sah auch sonst noch diesen oder jenen. Oder nein; er sah niemand mehr und blickte nach niemand hin … Durch jene selbe Feder getrieben, mittels deren er uneingeladen sich in einen fremden Ball eingedrängt hatte, schritt er vorwärts, dann noch weiter vorwärts und noch weiter vorwärts, stieß im Vorbeigehen an irgendeinen Rat und trat ihm auf den Fuß, benutzte die Gelegenheit, einer hochachtbaren alten Dame auf das Kleid zu treten und etwas daran zu zerreißen, stieß einen Diener, der ein Präsentierbrett trug, an, stieß noch jemand an, schritt, dies alles nicht bemerkend oder, richtiger gesagt, es nur so obenhin bemerkend, ohne jemand anzusehen, immer weiter und weiter vorwärts und stand plötzlich vor Klara Olsufjewna selbst. Ohne allen Zweifel wäre er, ohne mit den Wimpern zu zucken, in diesem Augenblicke mit dem größten Vergnügen in die Erde versunken; aber was geschehen ist, kann man nicht rückgängig machen; das ist schlechterdings unmöglich. Was war zu tun? „Mißlingt’s, dann nicht verzagen; gelingt’s, dann weiter wagen,“ dachte er bei sich. Herr Goljadkin war eben kein Intrigant und verstand sich nicht darauf, „das Parkett mit den Stiefeln zu polieren“. Es war nun einmal geschehen. Zudem hatten sich auch die Jesuiten da irgendwie hineingemischt … Aber was gingen Herrn Goljadkin die Jesuiten an! Alles, was da umherging und lärmte und redete und lachte, das verstummte plötzlich wie auf ein gegebenes Zeichen und drängte sich allmählich um Herrn Goljadkin zusammen. Aber Herr Goljadkin schien nichts zu hören und zu sehen; er vermochte nicht um sich zu schauen, nichts anzublicken; er schlug die Augen zu Boden und stand so da; nebenbei gab er sich übrigens das Ehrenwort darauf, sich noch in dieser Nacht zu erschießen. Nachdem er sich darauf das Ehrenwort gegeben hatte, sagte Herr Goljadkin in Gedanken zu sich selbst: „Nun komme, was kommen will!“ und fing zu seinem eigenen größten Erstaunen auf einmal ganz unerwartet zu reden an.
Herr Goljadkin begann mit einer Gratulation und mit dem Ausdruck seiner guten Wünsche. Die Gratulation ging gut vonstatten; aber bei dem Ausdruck seiner guten Wünsche stieß unser Held an. Er hatte schon vorher gefühlt, daß, wenn er anstieße, alles mit einem Mal zum Teufel gehen werde. Und so kam es auch: er stieß an und blieb stecken; er blieb stecken und errötete; er errötete und geriet aus der Fassung; er geriet aus der Fassung und blickte auf; er blickte auf und schaute rings um sich; er schaute rings um sich und wurde starr … Alle standen da, alle schwiegen, alle warteten; etwas weiter weg wurde geflüstert, in etwas größerer Nähe gelacht. Herr Goljadkin warf einen demütigen, verlegenen Blick nach Andrei Filippowitsch hin. Andrei Filippowitsch antwortete Herrn Goljadkin mit einem solchen Blicke, daß, wäre unser Held nicht schon gänzlich und vollständig niedergeschmettert gewesen, dieser Blick ihn unfehlbar niedergeschmettert hätte. Das Schweigen dauerte an.
„Das gehört mehr zu meinen persönlichen Verhältnissen und zu meinem Privatleben, Andrei Filippowitsch,“ sagte Herr Goljadkin, der mehr tot wie lebendig war, mit kaum vernehmbarer Stimme; „das ist keine amtliche Handlung, Andrei Filippowitsch …“
„Schämen Sie sich, mein Herr, schämen Sie sich!“ sagte Andrei Filippowitsch fast flüsternd mit einer Miene unbeschreiblicher Entrüstung, bot Klara Olsufjewna seinen Arm und wandte sich von Herrn Goljadkin ab.
„Ich habe keinen Anlaß mich zu schämen, Andrei Filippowitsch,“ antwortete Herr Goljadkin ebenfalls fast flüsternd, ließ seine kläglichen Blicke verlegen umherschweifen und versuchte dabei, sich in der erstaunten Menge zu orientieren und sich über seine eigene gesellschaftliche Stellung in ihr klar zu werden.
„Nun, das tut nichts, das tut nichts, meine Herren! Was ist denn dabei? Das kann ja jedem passieren,“ flüsterte Herr Goljadkin, indem er sich ein wenig von seinem Flecke fortbewegte und aus der ihn umgebenden Menge herauszukommen suchte. Man machte ihm Platz. Unser Held schritt, so gut es ging, zwischen zwei Reihen von neugierigen, verwunderten Zuschauern hindurch. Sein Verhängnis riß ihn fort. Herr Goljadkin fühlte das selbst, daß ihn sein Verhängnis fortriß. Er hätte natürlich viel für die Möglichkeit gegeben, sich jetzt ohne Verletzung des Anstandes auf seinem früheren Standplatze auf dem Flur bei der Hintertreppe zu befinden; aber da dies entschieden unmöglich war, so versuchte er, sich in irgendein Winkelchen zu verkriechen, wo er für sich, bescheiden, anständig, abgesondert, ohne mit jemand in Berührung zu kommen und ohne die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, stehen könnte; so hoffte er, sich zugleich das Wohlwollen der Gäste und des Hausherrn zu erwerben. Übrigens hatte Herr Goljadkin die Empfindung, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggespült werde und er schwanke und falle. Endlich erreichte er mit Mühe ein Winkelchen und stellte sich dort wie ein unbeteiligter, ziemlich gleichmütiger Zuschauer hin; die Arme stützte er auf die Lehnen zweier Stühle, die er auf diese Art völlig in seinen Besitz nahm, und versuchte, mit möglichst mutigem Blicke die sich in seiner Nähe gruppierenden Gäste Olsufi Iwanowitschs anzusehen. Am nächsten von allen stand ihm ein Offizier, ein hochgewachsener, schöner junger Mann, dem gegenüber sich Herr Goljadkin wie ein richtiges kleines Käferchen vorkam.
„Diese beiden Stühle sind reserviert, Leutnant, der eine für Klara Olsufjewna und der andere für die hier ebenfalls tanzende junge Fürstin Tschewtschechanowa; ich behüte sie jetzt für die beiden Damen, Leutnant,“ sagte Herr Goljadkin mühsam atmend, indem er einen flehenden Blick auf den Herrn Leutnant richtete. Der Leutnant
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Im Russischen heißt goljadka „der arme Schlucker“.