Reden an die deutsche Nation. Johann Gottlieb Fichte

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Reden an die deutsche Nation - Johann Gottlieb Fichte

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nun eine solche klare Erkenntnis unmittelbar antreibend werde im Leben, und man hierauf sicher zählen könne, hängt, wie gesagt, davon ab, daß es die wirkliche und wahre Liebe des Menschen sei, die durch dieselbe gedeutet werde; auch daß ihm unmittelbar klar werde, daß es also sei, und mit der Deutung zugleich das Gefühl jener Liebe in ihm angeregt und von ihm empfunden werde; daß daher niemals die Erkenntnis in ihm entwickelt werde, ohne daß zugleich die Liebe es werde, indem im entgegengesetzten Falle er kalt bleiben würde, und niemals die Liebe, ohne daß die Erkenntnis zugleich es werde, indem im Gegenteile sein Antrieb ein dunkles Gefühl werden würde; daß daher mit jedem Schritte seiner Bildung der ganze vereinigte Mensch gebildet werde. Ein von der Erziehung also als ein unteilbares Ganzes immerfort behandelter Mensch wird es auch fernerhin bleiben, und jede Erkenntnis wird ihm notwendig Lebensantrieb werden.

      2. Indem auf diese Weise statt des dunkeln Gefühls die klare Erkenntnis zu dem allerersten, und zu der wahren Grundlage und Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird, wird die Selbstsucht ganz übergangen, und um ihre Entwicklung betrogen. Denn nur das dunkle Gefühl gibt dem Menschen sein Selbst als ein genußbedürftiges und schmerzscheuendes; keineswegs aber gibt es ihm also der klare Begriff, sondern dieser zeigt es als Glied einer sittlichen Ordnung, und es gibt eine Liebe zu dieser Ordnung, welche bei der Entwicklung des Begriffs zugleich mit angezündet und entwickelt wird. Mit der Selbstsucht bekommt diese Erziehung gar nichts zu tun, weil sie die Wurzel derselben, das dunkle Gefühl, durch Klarheit erstickt; sie bestreitet sie nicht, ebensowenig als sie dieselbe entwickelt, sie weiß gar nicht von ihr. Wäre es möglich, daß diese Sucht später dennoch sich regen sollte, so würde sie das Herz schon angefüllt finden von einer höhern Liebe, die ihr den Platz versagt.

      3. Dieser Grundtrieb des Menschen nun, wenn er in klare Erkenntnis übersetzt wird, geht nicht auf eine schon gegebene und vorhandene Welt, welche ja nur leidend genommen werden kann, wie sie eben ist, und in der eine zu ursprünglich schöpferischer Tätigkeit treibende Liebe keinen Wirkungskreis für sich fände; sondern er geht, zur Erkenntnis gesteigert auf eine Welt, die da werden soll, eine apriorische, eine solche, die da zukünftig ist, und ewig fort zukünftig bleibt. Das aller Erscheinung zugrunde liegende göttliche Leben tritt darum niemals ein als ein bestehendes und gegebenes Sein, sondern als etwas, das da werden soll, und nachdem ein solches, das da werden sollte, geworden ist, wird es abermals eintreten als ein werden sollendes in alle Ewigkeit, daß daher jenes göttliche Leben niemals eintritt in den Tod des stehenden Seins, sondern immerfort bleibt in der Form des fortfließenden Lebens. Die unmittelbare Erscheinung und Offenbarung Gottes ist die Liebe; erst die Deutung dieser Liebe durch die Erkenntnis setzt ein Sein, und zwar ein solches, das ewig fort nur werden soll, und dieses, als die einzige wahre Welt, inwiefern an einer Welt überhaupt Wahrheit ist. Dagegen ist die zweite gegebene und von uns als vorhanden vorgefundene Welt nur der Schatten und Schemen, aus welchem die Erkenntnis ihrer Deutung der Liebe eine feste Gestalt und einen sichtbaren Leib erbaut; diese zweite Welt das Mittel und die Bedingung der Anschaulichkeit der für sich selbst unsichtbaren höhern Welt. Nicht einmal in diese letztere höhere Welt tritt Gott unmittelbar ein, sondern auch hier nur vermittelt durch die eine, reine, unwandelbare und gestaltlose Liebe, in welcher Liebe allein er unmittelbar erscheint. Zu dieser Liebe tritt hinzu die anschauende Erkenntnis, welche aus sich selber ein Bild mitbringt, in das sie den an sich unsichtbaren Gegenstand der Liebe kleidet; widersprochen jedoch jedesmal von der Liebe, und darum fortgetrieben zu neuer Gestaltung, welcher abermals eben also widersprochen wird; wodurch allein nun die Liebe, welche rein für sich eins ist, des Fortfließens, der Unendlichkeit und der Ewigkeit durchaus unfähig, in dieser Verschmelzung mit der Anschauung auch ein Ewiges und Unendliches wird so wie diese. Das soeben erwähnte aus der Erkenntnis selbst hergegebene Bild – für sich allein und noch ohne Anwendung auf die deutlich erkannte Liebe dasselbe genommen – ist die stehende und gegebene Welt, oder die Natur. Der Wahn, daß in diese Natur Gottes Wesen auf irgendeine Weise unmittelbar, und anders, als durch die angegebenen Zwischenglieder vermittelt, eintrete, stammt aus Finsternis im Geiste und aus Unheiligkeit im Willen.

      4. Daß nun das dunkle Gefühl, als Auflösungsmittel der Liebe in der Regel ganz übersprungen und an die Stelle desselben die klare Erkenntnis als das gewöhnliche Auflösungsmittel gesetzt werde, kann, wie schon erinnert, nur durch eine besonnene Kunst der Erziehung des Menschen geschehen, und ist bisher nicht also geschehen. Da nun, wie wir gleichfalls ersehen haben, auf die letzte Weise eine von den bisherigen gewöhnlichen Menschen durchaus verschiedene Menschenart eingeführt und als die Regel gesetzt wird, so würde durch eine solche Erziehung allerdings eine ganz neue Ordnung der Dinge, und eine neue Schöpfung beginnen. Zu dieser neuen Gestalt würde nun die Menschheit sich selber durch sich selbst, eben indem sie als gegenwärtiges Geschlecht sich selbst als zukünftiges Geschlecht erzieht, erschaffen; auf die Weise, wie sie allein dies kann, durch die Erkenntnis, als das einzige gemeinschaftliche und frei mitzuteilende, und das wahre, die Geisterwelt zur Einheit verbindende Licht und Luft dieser Welt. Bisher wurde die Menschheit, was sie eben wurde und werden konnte; mit diesem Werden durch das Ohngefähr ist es vorbei; denn da, wo sie am allerweitesten sich entwickelt hat, ist sie zu Nichts geworden. Soll sie nicht bleiben in diesem Nichts, so muß sie von nun an zu allem, was sie noch weiter werden soll, sich selbst machen. Dies sei die eigentliche Bestimmung des Menschengeschlechts auf der Erde, sagte ich in den Vorlesungen, deren Fortsetzung diese sind, daß es mit Freiheit sich zu dem mache, was es eigentlich ursprünglich ist. Dieses Sichselbstmachen, im allgemeinen mit Besonnenheit und nach einer Regel, muß nun irgendwo und irgendwann im Raum und in der Zeit einmal anheben, wodurch ein zweiter Hauptabschnitt der freien und besonnenen Entwicklung des Menschengeschlechts an die Stelle des ersten Abschnitts einer nicht freien Entwicklung treten würde. Wir sind der Meinung, daß, in Absicht der Zeit, diese Zeit eben jetzt sei, und daß dermalen das Geschlecht in der wahren Mitte seines Lebens auf der Erde zwischen seinen beiden Hauptepochen stehe; in Absicht des Raums aber glauben wir, daß zu allernächst den Deutschen es anzumuten sei, die neue Zeit, vorangehend und vorbildend für die übrigen, zu beginnen.

      5. Dennoch wird auch sogar diese ganz neue Schöpfung nicht durch einen Sprung erfolgen aus dem Vorhergehenden, sondern sie ist die wahre natürliche Fortsetzung und Folge der bisherigen Zeit, ganz besonders unter den Deutschen. Sichtbar, und wie ich glaube, allgemein zugestanden, ging ja alles Regen und Streben der Zeit darauf, die dunklen Gefühle zu verbannen und allein der Klarheit und der Erkenntnis die Herrschaft zu verschaffen. Dieses Streben ist auch insofern vollkommen gelungen, daß das bisherige Nichts vollkommen enthüllt ist. Keineswegs soll nun dieser Trieb nach Klarheit ausgerottet, oder das dumpfe Beruhen beim dunkeln Gefühle wieder herrschend werden; jener Trieb soll nur noch weiter entwickelt und in höhere Kreise eingeführt werden, also, daß nach der Enthüllung des Nichts auch das Etwas, die bejahende und wirklich etwas setzende Wahrheit, ebenfalls offenbar werde. Die aus dem dunklen Gefühle stammende Welt des gegebenen und sich durch sich selbst machenden Seins ist versunken, und sie soll versunken bleiben; dagegen soll die aus der ursprünglichen Klarheit stammende Welt des ewig fort aus dem Geiste zu entbindenden Seins aufstrahlen und anbrechen in ihrem ganzen Glanze.

      Zwar dürfte die Weissagung eines neuen Lebens in solchen Formen der Zeit sonderbar dünken, und es dürfte diese kaum den Mut haben, diese Verheißung sich zuzueignen; wenn sie lediglich auf den ungeheuern Abstand ihrer herrschenden Meinungen über die soeben zur Sprache gebrachten Gegenstände von dem, was als Grundsätze der neuen Zeit ausgesprochen worden, sehen wollte. Ich will von der Bildung, welche jedoch, als ein nicht gemein zu machendes Vorrecht, bisher in der Regel nur die höhern Stände erhielten, die von einer übersinnlichen Welt ganz schwieg, und lediglich einige Geschicklichkeit für die Geschäfte der sinnlichen zu bewirken strebte, als von der offenbar schlechteren, nicht reden, sondern nur auf diejenige sehen, welche Volksbildung war und in einem gewissen sehr beschränkten Sinne auch Nationalerziehung genannt werden könnte, die über eine übersinnliche Welt nicht durchaus Stillschweigen beobachtete. Welches waren die Lehren dieser Erziehung? Wenn wir als allererste Voraussetzung der neuen Erziehung aufstellen, daß in der Wurzel des Menschen ein reines Wohlgefallen am Guten sei und daß dieses Wohlgefallen so sehr entwickelt werden könne, daß es dem Menschen unmöglich werde, das für gut Erkannte zu unterlassen, und statt dessen das für bös Erkannte zu tun; so hat dagegen die bisherige Erziehung nicht bloß angenommen, sondern auch ihre Zöglinge von früher Jugend an

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