Kunst und Künstler Almanach 1909. Various
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Ostern 1833 meldete ich mich dann (ohne Sehnsucht), um es doch zu thun, zur Akademie, frequentierte dieselbe nur sehr lückenhaft, und blieb gegen Ende des Jahres ganz fort. Ich will damit das damalige Lehrwesen nicht schelten; es konnte nicht anders sein. Ich hatte mir das alles schon auf anderem Wege angeeignet, hatte schon meinen ersten öffentlichen Erfolg – Weihnachten 33. „Künstlers Erdenwallen“, freie Illustration nach Goethe, schaffte mir, dem in der Künstlerwelt noch ganz verborgen Gebliebenen, sofort die einstimmige Aufnahme in den Künstlerverein, 22. Februar 34…“
ZWEI HOLZSCHNITTE VON MANET
VON
MAX LIEBERMANN
Einen erläuternden Text zu den wunderschönen Reproduktionen nach Manet? Qui bono? Wer Manet versteht – und ihn daher liebt – braucht keine Erläuterungen, und wer ihn nicht versteht, noch viel weniger.
Auch Holzstöcke scheinen ihr Schicksal zu haben. Während der Holzschnitt der Olympia erst wieder durch Duret ans Tageslicht gezogen wurde, ist das Porträt der Dame, die den Kopf auf die Hand stützt, verschwunden gewesen: ebenso wie die Olympia hatte Manet das Porträt für ein Journal gezeichnet, das vor der Veröffentlichung der Zeichnung einging. Der Holzstock ist verloren gegangen und nur ein Probedruck hatte sich erhalten, und nach ihm hat derselbe Xylograph, der seinerzeit Manets Zeichnung geschnitten, einen zweiten Holzstock hergestellt. Beide Holzschnitte sind im Original wiedergegeben: wir haben also Manets Handschrift vor uns. —
Wenn ich früher einmal Zeichnen als die Kunst wegzulassen, definiert habe, so könnte ich keine besseren Beispiele für diese Definition auswählen, als die vorliegenden beiden Holzschnitte.
Alle Kunst ist Form und alle Form: Vereinfachung.
Wie die tausend Formen und Flächen des Gegenstandes, den der Künstler darstellen will, sich in seinem Kopfe zu wenigen, charakterischen vereinfachen, während seine Hand sie niederschreibt: das bildet den Zeugungsprozess eines jeden Kunstwerkes. Weder der Kopf allein, noch die Hand ohne Kopf können ein Kunstwerk hervorbringen; beides ist, wie die Seele mit dem Körper, verbunden. Der Kopf ist der Vater, die Hand die Mutter, und nur die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder sind legitim, d. h. echte Kunstwerke.
Aber in den bildenden Künsten sind Inhalt und Form nicht nur, wie in den andern Künsten, untrennbar, sie sind auch in der philosophischen Bedeutung des Wortes identisch: ihr Inhalt ist die Form.
Natürlich können Malerei, Plastik oder Architektur – die man sogar gefrorene Musik genannt hat – poetische oder musikalische Gefühle in uns hervorrufen, aber sie dürfen sie nur durch die einer jeden der bildenden Künste eignen Ausdrucksmittel hervorrufen wollen. Sonst macht der Maler oder Bildhauer bei der Poesie oder Musik Anleihen, die er mit den rechtmässigen Mitteln seiner Kunst nicht bezahlen kann.
Manet ist „Nur-Maler“. Er malt ebensowenig Poesie wie Musik; worüber die sogenannten Gebildeten aller Nationen quittierten, indem sie ihn gleichermassen verabscheuten, und wohl immer noch verabscheuen, wenn sie sich jetzt auch schämen, es einzugestehn.
Manet so recht verstehn kann wohl nur der Maler, und auch nur der, welcher in der Wiedergabe der Natur das A und O der Malerei sieht; was freilich der moderne Maljüngling, und noch viel mehr der moderne Kunstskribifax für einen überwundenen Standpunkt hält. Wie jener Maler, den Einer fragte, warum er aus einem Naturalisten ein Symbolist geworden, antwortete: „nach der Natur malen ist zu leicht“. Ja! nach der Natur malen kann heutzutage fast jeder Malklassenschüler, beinahe so gut wie Manet, jedenfalls viel zu viel à la Manet.
Und sind doch keine Manets worden!
Bei der Wahl seiner Themata – er malt einen Schinken oder ein Blumenbouquet, Pfirsiche oder eine Melone, Fische oder eine Brioche, Porträts, männliche und weibliche, oder einen Akt wie die Olympia – ist es klar, dass das Aussergewöhnliche nicht in seinen Sujets liegt. Manets Kunst beruht also, wie die eines jeden echten Malers, in seiner neuen Auffassung. Der eigentliche Maler sucht nichts Neues zu malen, sondern das Alte neu zu malen. Ueberhaupt ist es ganz gleichgültig, ob der Künstler ein schon tausendmal dargestelltes Thema behandelt oder ein funkelnagelneues – was übrigens schwer zu finden sein dürfte – da es in der Kunst nur darauf ankommt, dass das Thema in persönlicher und daher neuer Weise dargestellt wird. Wenn Einer einen Rosenstrauss oder einen Schinken so persönlich wie Manet zur Darstellung bringen kann, so ist er, wie es in der Kunstgeschichte heisst, ein bahnbrechendes Genie: denn indem er neue Reize an dem Schinken entdeckt und dargestellt hat, hat er das Bereich der Malerei erweitert.
Der Maler sucht überhaupt nicht, sondern er findet. Er empfängt, wie Schiller von Goethe sagt, sein Gesetz vom Objekt. Tausend Maler haben einen liegenden Akt oder ein Damenporträt gemalt: dass Manet den Akt oder das Porträt in dieser Einfachheit sah und für diese Vereinfachung die adäquate Form fand, darin liegt sein Genie.
Nicht in seiner Maulfaust, sondern in seiner malerischen Phantasie liegt seine Grösse. Er sieht malerisch: er weiss aus dem Frauenkörper das Typische herauszuholen, ohne die momentanen und zufälligen Reize, die die Natur bietet, einzubüssen. Er malt nicht nur, wie der „akademische Maler“, was er gelernt hat, was er kann, sondern wie der wahre geborene Maler, was er sieht. Aber er ist auch ein Poet dazu, denn die Idee „verdichtet“ sich unter seinem Pinsel zur plastischen Form. Daher das Verblüffende des Eindrucks eines jeden Striches Manetscher Kunst: die Form, die er uns zeigt, hat nur er gesehen.
Es ist daher der grösste Unsinn, Manets Bedeutung in seiner Technik zu sehen, wie wir's täglich zu lesen bekommen – und welcher Unsinn würde nicht gedruckt! – als wäre er ein virtuoser Maler gewesen, nur ein äusserlicher Kopist der Natur. Man vergleiche nur einen nach der Natur photographierten Akt mit der Olympia, um – was aus dem Bilde natürlich noch viel deutlicher als aus dem Holzschnitte hervorgeht – zu erkennen, dass nie ein Maler einen Frauenkörper weniger von der Natur „abgeschrieben“ hat: weder Tizian noch Rembrandt noch Velasquez haben einen Akt persönlicher aufgefasst.
Aber ebensowenig wie die Natur hat Manet die Alten kopiert. Die liegende Venus des Velasquez in der Sammlung Morrit hat viel mehr Verwandtschaft mit Tizian, als die Olympia mit Velasquez.
Manet hat mehr als je ein Maler vor ihm oder nach ihm die konventionelle „schöne Form“ vermieden: die ganze Pose, die Linie, der Rhythmus in der Bewegung – um von der Malerei ganz zu schweigen – sind in der Olympia ebenso wie in dem Damenporträt so momentan, so ungezwungen, als hätte er das Modell in einem unbelauschten Augenblicke gesehn und gemalt. Daher das Ueberraschende, das Frappierende, dass wir beim ersten Anblick jeder Arbeit von Manets Hand, sei es Oelbild, Pastell, Aquarell, sei's Radierung, Lithographie oder Zeichnung, die Empfindung haben, als hätten wir Aehnliches nie zuvor gesehn.
Und dieses Wunder sollte die Hand vollbringen können? Nein, nur der Geist vermag Geist zu erzeugen, nicht aber die Hand oder der Körperteil, der uns von der Natur zum Sitzen gegeben ist.
Manets Technik, weit davon entfernt, Virtuosität zu sein, ist – wie es bei jedem echten Künstler sein muss – der Ausfluss und der Ausdruck des innerlich Geschauten. Nach der Vorschrift, die der alte Hippokrates dem Arzte giebt, lässt uns Manet aus dem Sichtbaren das Unsichtbare erkennen. Wie der wahre Maler geht er stets von der Erscheinung aus, nicht aber – wie das leider nicht nur bei deutschen Künstlern geschieht – umgekehrt, sucht er für den Gedanken die plastische Form. Er will nicht grosse, philosophische Gedanken in Malerei umsetzen, sondern er sucht das Einfachste, was freilich das Schwerste