Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil. Theodor Fontane

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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - Theodor Fontane

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das alte Quartier.

      In all den Luchen und Lanken

      Waren die Wasser erwacht,

      Die Kiefern lauschten und tauschten

      Ihre Grüße sacht.

G. Hesekiel

      Eine der ältesten Waldpartien des Havellandes ist der Brieselang, anderthalb Meilen westlich von Spandau. Die Hamburger Eisenbahn schneidet an seinem Südrande hart vorbei und bildet, wenn man auf die Karte blickt, den Fuß, auf dem er steht. Wer ihn besuchen will und die Jahre des Turner-Enthusiasmus hinter sich hat, pflegt deshalb auch die genannte Bahn zu benutzen, die ihn wochentags bis an die östlichen Vorlande des Waldes (Station Segefeld) oder Sonntags in Extrazügen direkt bis an seine Eingänge führt.

      Der Brieselang ist nicht mehr, was er war. In alten Tagen ging er über Quadratmeilen hin und füllte das ganze Territorium, das man damals als Alt-Bredow-Land bezeichnen konnte. Das Nauensche Luch, die Falkenhagenschen Wiesen, der Bredowsche Forst, das Pausinsche Bruch, alles war Brieselang, ein Elsbruch im großen Stil: im Frühjahr ein Sumpf oder See, im Sommer ein Prairie, zu allen Jahreszeiten aber von mächtigen Eichen, den „Brieselang-Eichen“, überragt, die um einen Schuh höher waren als alle anderen im Lande. Das ist nun anders geworden. In allen Teilen des alten Gebiets, zumal auch auf jener Strecke, die noch den alten Namen führt, haben sich die Elemente geschieden, aus weiten Sumpfstrecken, denen man die Elsen und Eichen nahm, sind weite Wiesenstrecken geworden, und aus anderen, denen man Elsen und Eichen hinzutat, sind regelrechte Waldreviere geworden. Nur da, wo Wald und Wiese mit einander grenzen und der Wald aus seinem Heerlager einzelne Posten in die weite Wiese hinausstellt, nur an diesen Stellen zeigt der Brieselang noch seinen alten Charakter, zumal im Frühjahr, wenn das Sumpfwasser steigt und sich wieder in Lachen und Lanken um die Elsenbüsche sammelt.

      Der Brieselang ist eine schwindende Macht, an Terrain verlierend wie an Charakter, aber auch noch im Schwinden ehrwürdig, voll Zeichen alter Berühmtheit und alten Glanzes. Er besteht zur Zeit noch aus zwei Hälften, aus dem eigentlichen Brieselang und aus der Buten-Heide, von denen jener, mit dem Hauptpunkt „Finkenkrug“, die südliche, diese, die Buten-Heide, mit dem Hauptpunkt „Königs-Eiche“, die nördliche Hälfte bildet. Da aber, wo beide Hälften zusammentreffen, inmitten einer Lichtung, erhebt sich die „Försterei Brieselang“, die als Zentralpunkt mit Recht den Namen des ganzen Waldes trägt.

      In den Brieselang also!

      1.

      Finkenkrug

      Es sauset und brauset

      Das Tamburin,

      Es rasseln und prasseln

      Die Schellen darin.

Clemens Brentano
In Tagen sommerlicher Lust:Mai, Juni, Juli und August

      vergeht kein Sonntag, wo nicht Scharen von Besuchern den Brieselang umschwärmten. Aber die Tausende, die kommen und gehen, begnügen sich damit, den Zipfel seines Gewandes zu fassen, die Parole lautet nicht „Brieselang“, sondern „Finkenkrug“. Und doch ist der Finkenkrug, an der südlichsten Stelle der Südhälfte gelegen, ein bloßes Portal, durch das man hindurch muß, um in die eigentliche Schönheit des Waldes einzutreten; nicht diesseits liegt die Herrlichkeit, sondern jenseits, und alles, was den Brieselang ausmacht, seinen Charakter, seine Erinnerungen, seine Schätze, alles liegt drüber hinaus. Der Finkenkrug ist nur erste Etappe. Wer den Brieselang kennen lernen will, der muß auch, rüstigen Fußes, die beiden andern Staffeln zu erreichen wissen: die Försterei und die Eiche. Nur erst wer bei der „Königs-Eiche“ steht, der hat den Brieselang hinter sich und kann mitsprechen.

      Wir tun es. Der geneigte Leser wolle uns folgen.

      Es ist Sonntag vor Pfingsten. Wir haben den elf Uhr-Zug benutzt und die Sonne steht bereits in Mittag, als wir landen. Wir sind zu drei: mein Reisebegleiter, ein pommersch Blut, ich selbst, und als dritter unser Führer, ein Autochthone dieser Gegenden. Das Dreieck Spandau-Nauen-Kremmen umschließt seine Welt. Er ist hager und ausdauernd wie ein Trapper, erfahren und lederfarben wie „Pfadfinder“. Er versteht auch zu sprechen.

      Können Sie es glauben, so hebt er an, daß ich diese Straße seit zwanzig Jahren nicht gekommen bin. Ich fasse den Brieselang immer von Norden her, hier unten bin ich ein Fremder … Ja, vor zwanzig Jahren! Das war ein Tag, gerade so kalt, wie der heutige warm ist, und wir hatten Wahl in Finkenkrug.

      Im Finkenkrug?

      Ja, in Finkenkrug. Er mag dadurch poetisch verlieren, mehr verlieren, als er politisch gewinnt, aber ich kann es nicht ändern. Es war in Finkenkrug und ich kam mit dem Falkenhagener Oberförster hier des Weges. Die Pferde waren ganz weiß, der Wald glitzerte; ich habe kein Rotkehlchen gesehen, so tot war der Wald.

      Und Sie kamen an und stießen auf das leere Nest. Jeder war zu Hause geblieben.

      Fehlgeschossen. Viele Hunderte waren da, immer neue Schlitten fuhren an, und ehe eine halbe Stunde um war, war es nicht mehr möglich, die Ankommenden und Hereindrängenden in den Stuben unterzubringen. Da rief Oberförster Brandt: „Wir machen ein Feuer und tagen draußen.“ Allgemeiner Jubel. Er war Oberförster, und die Paar Klafter Holz, die nun bald lichterloh und mit Geprassel an zu brennen fingen, wird er wohl nach oben hin verdefendieret haben. Es war ein entzückendes Bild. Der glitzernde Wald, das verschneite Haus, auf dessen weißes Dach die roten Lichter fielen, und um das Feuer herum, in Pelze gewickelt, all die havelländischen Bredows, die Ribbecks, die Hünekens, Erxleben von Selbelang, Risselmann von Schönwalde, dazwischen die Pastoren in ihren Filial-Reisemänteln, endlich die Kutscher und Knechte mit ihren Pferdedecken. Jede Stimme galt. Der alte Landrat von Hobe präsidierte und versicherte uns einmal über das andere, daß von Patow-Potsdam gewählt werden müsse.

      Und was wurde?

      Nun, er wurde gewählt. Aber nicht ohne Zwischenfälle. Es muß wahr sein, nie habe ich solche Vertilgung von Grog und Glühwein gesehen. In solchem Moment höchster Hitze sprang der Oberprediger aus Kremmen, ein scharfer Liberaler, auf die Tribüne und schrie: „Was wollt Ihr jungen Most in alte Schläuche fassen; weg mit Patow, ich stelle mich zur Wahl.“ Und sein Anhang rief ihm Bravo zu. Aber ein Pächter aus Pressentin, der schon völlig unter Grog stand, schrie in die Versammlung hinein: „’runter mit ihm und hinein ins Feuer.“ Allgemeines Gelächter. Aber der Oberprediger, der klugerweise nicht abwarten wollte, wieviel hier Ernst oder Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete sich durch einen Sprung und verschwand im Unterholze des Brieselang. Er hatte den Tag nicht vergessen können.

      So ging das Gespräch.

      Es war inzwischen heiß geworden, so heiß, daß unsere Phantasie mit einem gewissen Neid an dem Winterbilde hing, das unser Führer eben vor uns entrollt hatte, und schon dämmerte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges „Ausspannen“, eine Lagerung an schattiger Stelle gestattet sei, als wir deutlich eine Art Janitscharenmusik vernahmen, belebende Klänge, die, immer lauter werdend, unsern Füßen ihre Elastizität wieder gaben. Wir waren am Ziel, wenigstens an einem vorläufigen. Der Finkenkrug blitzte durch das Gezweig, und in guter Haltung rückten wir auf einen kastanienumschatteten Platz, zu dem sich der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir uns plötzlich und gegen Erwarten gestellt sahen, gebot uns, mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt nämlich eine Doppelwirtschaft: links ist Kaffee und Kegelbahn, rechts ist Bier und Büchsenstand. Dies hielt sich die Wage. Aber was zuletzt unserem Schwanken ein Ende machte, war, daß nach rechts hin, wo freilich das verlockende Seidel blühte, doch zugleich auch die minder verlockende Janitscharenmusik ihren Platz genommen hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt segensreich wirkend, in nächster Nähe ihr entschieden Bedenkliches hatte.

      Also links.

      Da

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