Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке. Клаус Манн
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„Was war das eigentlich vorhin für eine fantastische kleine Äußerung von diesem Miklas? Stimmt es also doch, dass der Bursche Antisemit ist und mit den Nationalsozialisten zu tun hat?“ Bei dem Wort „Nationalsozialisten“ verzerrte sich ihr Gesicht vor Ekel, als hätte sie eine tote Ratte berührt. Schmilz lachte verächtlich, während Kroge sagte: „So einen können wir gerade gebrauchen!“ Ulrichs versicherte sich durch einen Seitenblick, dass Miklas ihnen nicht zuhörte, ehe er mit gedämpfter Stimme erklärte:
„Hans ist im Grunde ein guter Kerl – ich weiß das, denn ich habe mich oft mit ihm unterhalten. Mit so einem Jungen muss man sich viel und nachsichtig beschäftigen – dann gewinnt man ihn vielleicht noch für die gute Sache. Ich glaube nicht, dass er für uns schon ganz verloren ist. Seine Aufsässigkeit, seine allgemeine Unzufriedenheit sind falsch gelandet – verstehen Sie, was ich meine?“ Frau Hedda nickte; Ulrichs flüsterte eifrig: „In so einem jungen Kopf ist alles wirr, alles ungeklärt – es laufen ja heute Millionen herum wie dieser Miklas. Bei denen gibt es vor allem einen Hass, und der ist gut, denn er gilt dem Bestehenden. Aber dann hat so ein Bursche Pech und fällt den Verführern in die Hände, und die verderben seinen guten Hass. Sie erzählen ihm, an allem Übel seien die Juden schuld, und der Vertrag von Versailles[27], und er glaubt den Dreck und vergisst, wer eigentlich die Schuldigen sind, hier und überall. Das ist das berühmte Ablenkungsmanöver, und bei all diesen jungen Wirrköpfen, die nichts wissen und nicht richtig nachdenken können, hat es Erfolg. Da sitzt dann so ein Häufchen Unglück und lässt sich Nationalsozialist schimpfen!“
Sie schauten alle vier zu Hans Miklas hin, der an einem kleinen Tisch in der entferntesten Ecke des Raumes, bei der dicken alten Souffleuse, Frau Efeu, bei Willi Bock, dem kleinen Garderobier, und bei dem Bühnenportier, Herrn Knurr, Platz genommen hatte. Von Herrn Knurr wurde behauptet, dass er ein Hakenkreuz unter dem Rockaufschlag versteckt trage und dass seine Privatwohnung voll sei von den Bildern des nationalsozialistischen „Führers“, die er in der Portiersloge denn doch nicht aufzuhängen wagte. Herr Knurr hatte heftige Diskussionen und Streitigkeiten mit den kommunistischen Bühnenarbeitern, die ihrerseits nicht im H. K. verkehrten, sondern ihren eigenen Stammtisch in einer Kneipe gegenüber hatten – wo sie zuweilen von Ulrichs besucht wurden. Höfgen wagte sich beinah nie an den Stammtisch der Arbeiter; er fürchtete, die Männer würden über sein Monokel lachen. Andererseits pflegte er zu klagen, das H. K. sei ihm durch die Anwesenheit des nationalistischen Herrn Knurr ganz verleidet. „Dieser verfluchte Kleinbürger“, sagte Höfgen von ihm, „der auf seinen Führer und Erlöser wartet wie die Jungfer auf den Kerl, der sie schwängern soll! Mir wird immer heiß und kalt, wenn ich an der Portiersloge vorbeigehen muss und an das Hakenkreuz unter seinem Rockaufschlag denke…“
„Natürlich hat er eine ekelhafte Kindheit gehabt“, sagte Otto Ulrichs, der noch bei Hans Miklas war. „Er hat mir einmal davon erzählt. Aufgewachsen ist er in irgend so einem finsteren niederbayrischen Nest. Der Vater ist im Weltkrieg gefallen, die Mutter scheint eine aufgeregte, unvernünftige Person zu sein; machte den verrücktesten Krach, als der Junge zum Theater gehen wollte – man kann sich das ja alles vorstellen. Er ist ehrgeizig, fleißig, auch begabt; er hat enorm viel gelernt, mehr als die meisten von uns. Ursprünglich wollte er Musiker werden, er hat den Kontrapunkt gelernt, und er kann Klavier spielen, und er kann Akrobatik und Steptanzen und Ziehharmonika und überhaupt alles. Er arbeitet den ganzen Tag, dabei ist er wahrscheinlich krank, sein Husten klingt scheußlich. Natürlich findet er, dass er zurückgesetzt wird und nicht genügend Erfolg hat, und schlechte Rollen. Er glaubt, wir sind verschworen gegen ihn, von wegen seiner so-genannten politischen Gesinnung.“ Ulrichs schaute noch immer, aufmerksam und ernst, zum jungen Miklas hinüber. „95 Mark Monatsgehalt“, sagte er plötzlich und blickte drohend auf Direktor Schmilz, der sofort unruhig auf seinem Stuhl zu rücken begann, „es ist schwer, dabei ein anständiger Mensch zu bleiben.“ Nun schaute auch die Herzfeld aufmerksam zu Miklas hinüber.
Zum Garderobier Bock, zur Souffleuse Efeu und Herrn Knurr pflegte Hans Miklas sich stets dann zu setzen, wenn er sich recht niederträchtig benachteiligt fand von der Direktion des Künstlertheaters, die er vor seinen politischen Freunden als „verjudet“ und „marxistisch“ bezeichnete. Vor allem hasste er Höfgen, diesen „ekelhaften Salonkommunisten“. Höfgen war, wenn man Miklas glauben durfte, eifersüchtig und eitel; Höfgen war größenwahnsinnig und wollte alles spielen, besonders aber spielte er ihm, Miklas, die Rollen weg. „Es ist eine Gemeinheit, dass er mir den Moritz Stiefel nicht gelassen hat“, äußerte der Verbitterte. Miklas schaute zornig auf seine eigenen Beine, die mager und sehnig waren.
Garderobier Bock, ein dummer Bursche mit wässrigen Augen und sehr blonden, sehr harten Haaren, die er kurz geschoren wie eine Bürste trug, kicherte über seinem Bierglas: niemand wusste, ob über Hendrik Höfgen, der als Gymnasiast komisch aussehen würde, oder über den machtlosen Zorn des jungen Hans Miklas. Die Souffleuse Efeu hingegen zeigte Entrüstung; sie bestätigte Miklas, dass es eine Gemeinheit sei. Das mütterliche Interesse, das die dicke alte Person an dem jungen Menschen nahm, brachte für diesen praktische Vorteile mit sich. Übrigens sympathisierte sie auch politisch mit ihm. Sie stopfte ihm seine Socken, lud ihn zum Abendessen ein; schenkte ihm Wurst, Schinken und Eingemachtes. „Damit du dicker wirst, Junge“, sagte sie und schaute ihn zärtlich an. Dabei gefiel ihr gerade die Magerkeit seines trainierten, nicht sehr großen, elastischen, schmalen Körpers. Wenn sein dichtes dunkelblondes Haar am Hinterkopf gar zu widerspenstig in die Höhe stand, sagte die Efeu: „Du siehst aus wie ein Gassenjunge!“ und holte einen Kamm aus dem Beutel.
Wie ein Gassenjunge sah Hans Miklas wirklich aus, freilich wie einer, dem es nicht besonders gut geht und der seine Angegriffenheit trotzig bezwingt. Sein Leben war anstrengend; er trainierte den ganzen Tag, mutete seinem schmalen Körper vieles zu, wahrscheinlich kamen daher seine Reizbarkeit und der finster abweisende Ausdruck seines jungen Gesichtes. Dieses Gesicht hatte üble Farben; unter den starken Backenknochen gab es schwarze Löcher, so eingefallen waren die Wangen. Um die hellen Augen waren die Ränder auch beinah schwarz. Hingegen war die reine, kindliche Stirne wie beschienen von einer bleichen und empfindlichen Helligkeit; auch der Mund leuchtete, aber auf ungesunde Art, viel zu rot; in den abweisend vorgeschobenen Lippen schien sich alles Blut zu sammeln, von dem das Gesicht sonst leer war. Unter den starken und verführerischen Lippen, von denen die Souffleuse Efeu oft den Blick nicht lassen konnte, enttäuschte das zu kurze, schwächlich abfallende Kinn.
„Heute früh, auf der Probe, hast du wieder ganz zum Fürchten ausgesehen“, sprach die Efeu besorgt. „So schwarze, tiefe Löcher in den Backen! Und der Husten! Dumpf hat der geklungen – zum Erbarmen!“
Miklas konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn bemitleidete; nur die Gaben, in die solches Mitleid sich umsetzte, nahm er gerne, wenngleich wortkarg entgegen. Das klagende Gerede der Efeu überhörte er einfach. Hingegen wollte er von Bock wissen: „Stimmt es, dass der Höfgen sich heute den ganzen Abend in seiner Garderobe hinter dem Paravent versteckt hat?“
Bock konnte es nicht in Abrede stellen. Miklas fand Höfgens Betragen derartig albern, dass es ihn geradezu in Heiterkeit versetzte, „Ich sage doch, ein kompletter Narr!“ Dabei lachte er triumphierend. „Und das alles wegen einer Jüdin, der der Kopf bis dahin zwischen den Schultern steckt!“ Er machte sich bucklig, um anzudeuten, wie die Martin aussehe: die Efeu amüsierte sich herzlich. „Und so etwas will ein Star sein!“ Mit seinem höhnischen Ausruf konnte er ebensowohl die Martin meinen wie Höfgen. Beide gehörten, nach seinem Urteil, in dieselbe bevorzugte, undeutsche, tief verwerfliche Clique. „Die Martin!“ redete er weiter, das böse, leidende, reizvolle junge Gesicht in die mageren, nicht ganz sauberen Hände gestützt. „Sie soll ja auch immer diese salonkommunistischen Phrasen dreschen, mit ihren tausend Mark jeden Abend. Eine Bande ist das! Aber es wird aufgeräumt werden mit denen – der Höfgen wird auch noch dran glauben müssen!“
Das enge Lokal war voll Rauch. „Die Luft ist ja dick
27
der Vertrag von Versailles: der am 28.6.1919 in Versailles von den Ententemächten und dem Deutschen Reich zur Beendigung des ersten Weltkrieges unterzeichnete Friedensvertrag.