Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг страница 14
Mit der Liebe zu den schönen Künsten aber und der Kenntnis all der zarten und linden Dinge, die dem Geist wie dem Körper jene Feurigkeit verleihen, die allzeit aus der Enge ins Unendliche des Gefühls hinüberzuschwingen sich sehnt, erwuchs den beiden Mädchen bald eine brennende Unzufriedenheit mit dem niederen Stand ihrer Mutter. Kamen sie heim von den Disputationen der Akademie, wo sie mit den Doktoren wetteiferten im künstlichen Ballschlag der Argumente, oder kehrten sie, noch umströmt von Musik, aus dem Kreise der Tänzer in die räucherige Gasse zurück, wo ihre Mutter unsauberen Haares hinter ihren Gewürzen saß und bis in die Nachtstunden um eine Handvoll Pfeffernüsse oder verschimmelte Kupferstücke feilschte, so schämten sie sich zornig ihres hartnäckigen Elends, und die borstige alte Strohmatte ihres Lagers scheuerte scharf ihren innerlich glühenden und noch immer jungfräulichen Leib. Lange lagen sie wach des Nachts und vermaledeiten ihr Schicksal, dass sie, berufen, Edelfrauen zu übertreffen an Anmut und geistiger Art, auserwählt, in weichen, wogenden Kleidern zu wandeln, überklirrt von Edelsteinen[34] , hier in dumpfer Moderhöhle eingesargt seien, bestenfalls dem Faßdreher zur Linken oder dem Schwertfeger zur Rechten als Hausfrau zubestimmt, sie, Töchter des großen Feldherrn und königlich selber durch Geblüt und herrischen Sinn. Sie sehnten sich nach funkelnden Gemächern und dienendem Tross, nach Reichtum und Macht, und wenn zufällig in verbrämtem Pelzwerk eine Edelfrau vorüberkam, Falkner[35] und Trabanten[36] geschart um die leise schaukelnde Sänfte, so wurden ihre Wangen vor Zorn weiß wie die Zähne in ihrem Munde. Machtvoll rollten dann in ihrem Blute Ungestüm und Ehrgeiz des rebellischen Vaters, der gleichfalls sich nicht bescheiden wollte mit der Mitte des Lebens und kleinem Geschick, und Tag wie Nacht dachten sie nichts anderes, als welcher Art sie vermöchten, dieser Unwürdigkeit des Daseins zu entrinnen.
So geschah es unvermuteter-, doch nicht unerklärlicherweise, dass Sophia eines Morgens beim Erwachen die Lagerstatt an ihrer Seite leer fand: Helena, das Spiegelbild ihres Leibes, der Widerpart ihrer Wünsche, war heimlich verschwunden über Nacht, und die erschrockene Mutter sorgte sich sehr, sie sei mit Gewalt von einem der Edelleute[37] weggeschleppt worden – denn schon waren viele unter den Jünglingen von dem zwiefachen Strahl der Mädchen getroffen und bis zum Wahnwitz verblendet. Unordentlichen Kleides, in der ersten Hast noch stürzte sie hin zum Präfekten, der die Stadt verwaltete in des Königs Namen, und beschwor ihn, den Frevler aufzugreifen. Er versprach’s. Doch schon am nächsten Tage verbreitete sich zur argen Beschämung der Mutter das immer deutlicher werdende Gerücht, durchaus freien Willens sei Helena, die kaum Mannbare, mit einem adeligen Jüngling geflüchtet, der um ihretwillen Truhen und Schränke seines Vaters gewaltsam aufgestemmt. Eine Woche später hastete dieser ersten Botschaft noch schlimmere nach, denn Reisende erzählten, in welcher Üppigkeit die junge Buhlerin in jener Stadt mit ihrem Liebsten lebe, umringt von Dienern, Falken und südländischen Tieren, gehüllt in Pelzwerk und glänzenden Brokat[38] , ein Ärgernis allen ehrbaren Frauen des Ortes. Und noch war diese böse Kunde nicht durchgekaut im geschwätzigen Munde der Leute, so übersprang sie abermals schlimmere: überdrüssig jenes flaumbärtigen Fants, habe Helena, kaum dass sie ihm Säcke und Taschen geleert, sich in den Palast des steinalten Schatzverwalters begeben, ihren jungen Körper gegen neuen Prunk verkauft und plündere nun mitleidlos den bislang Geizigen. Nach wenigen Wochen tauschte sie, nachdem sie seine goldenen Federn gerupft und ihn kahl wie einen ausgebälgten Hahn zurückgelassen, diesen abgetanen gegen einen neuen Buhlen, ließ ihn neuerdings um eines Reicheren willen fahren, und bald gab es kein Verhehlen mehr, dass Helena in der Nachbarschaft ihren jungen Leib nicht minder emsig verhandle als ihre Mutter daheim Gewürz und süßes Honigbrot. Vergebens sandte die unglückliche Witwe Boten um Boten zu der verlorenen Tochter, sie möge doch nicht derart lästerlich das Andenken ihres Vaters erniedern: um das Maß der Unbill bis zum Rande vollzuschenken, geschah es zur Schande der Mutter, dass eines Tages ein prächtiger Zug die Straße vom Stadttor heraufkam. Läufer vorerst, in Scharlachfarben gewandet, Reiter hernach wie vor eines Fürsten Einzug, und zwischen ihnen, umspielt von persischen Hunden und seltsamem Affengetier, Helena, die frühreife Hetäre, an Anmut der Urmutter ihres Namens gleich, jener Helena, die Reiche verwirrte, und geschmückt wie die heidnische Königin von Saba, als sie einzog in Jerusalem. Da sperrten sich die Mäuler auf und liefen die Zungen: Handwerker ließen ihre Hütten, Schreiber ihre Schrift, neugierig schwärmende Menge umdrängte den Zug, bis schließlich auf dem Markte die flatternde Schar der Reiter und Diener sich ordnete zu ehrfürchtigem Empfang. Endlich flog der Vorhang auf und die kindliche Buhlerin schritt hochmütig gerade hinein zur Tür ebendesselben Palastes, der einst ihrem Vater gehörte und den nun ein verschwenderischer Liebhaber um dreier heißer Nächte willen aus dem Königsschatze für sie zurückgekauft. Wie ein leibeigen Herzogtum betrat sie das Gelass mit dem prunkvollen Bett, darin ihre Mutter sie in Ehren geboren, und bald füllten sich die lang verlassenen Räume mit kostbaren Statuen heidnischen Ursprungs. Marmor kühlte die hölzernen Treppen empor und breitete sich aus zu künstlichen Fliesen und Mosaiken, gewebte Teppiche voll Bildnis und Geschehen wuchsen, ein farbiger Efeu, warm über die Wände, golden klirrte Geschirr in die immer bereite Musik festlicher Mähler, denn in allen Künsten gewandt, lockend durch Jugend und verführerisch durch Geist, wurde Helena in kürzester Frist Meisterin aller Liebesspiele und die reichste aller Hetären. Von den Städten der Nachbarschaft, aus fremden Ländern sogar drängten die Reichen heran, Christen, Heiden und Ketzer[39] , zumindest einmal ihre Gunst zu genießen, und da ihre Gier nach Macht nicht minder maßlos war als ihres Vaters Ehrgeiz, so hielt sie die Verliebten hart in der Schraube und drosselte der Männer Leidenschaft derart grimmig den Hals, bis das Letzte ihrer Vorstellungen besonders der katholischen Kirche übereinstimmte (und der deswegen verfolgt wurde) Habe erpreßt war. Selbst des Königs eigener Sohn musste bitteres Lösegeld zahlen an Pfandleiher und Borger, als er nach einer Woche der Lust, noch trunken und grausam ernüchtert zugleich Helenas Arme und Haus verließ.
Kein Wunder, dass solch ein vermessenes Treiben die ehrbaren Frauen der Stadt, insbesondere die älteren, erbitterte. In den Kirchen eiferten die Priester gegen die frühe Verderbnis, auf dem Marktplatze ballten die Weiber zornig die Fäuste, und mehr als einmal klirrten nachts Steine gegen Fenster und Tor. Aber so sehr auch die Sittigen sich ergrimmten, alle die verlassenen Ehefrauen, die einsamen Witwen, so belfernd sie aufmuckten, die alten, im Handwerk erfahrenen Dirnen, denen plötzlich dies übermütig freche Fohlen in ihre Lustwiese sprang – keiner von allen Frauen brannte der Unmut dermaßen übermächtig in der Seele wie Sophia, ihrer Schwester. Nicht, dass jene so lästerlichem Lebenswandel sich ergab, riss ihr die Seele wund, sondern die Reue, dass sie selber damals versäumt, demselben Antrag des Edelknaben zu folgen, und jener derart alles zugefallen, was sie selber heimlich ersehnte, Macht über Menschen und Üppigkeit des Daseins: ihr aber fuhr noch immer nachts der Sturm in die windoffene kalte Kammer und heulte mit der zänkischen Mutter um die Wette. Zwar hatte wiederholt die Schwester im eitlen Gefühl ihres Reichtums ihr kostbare Kleider zugesandt; doch Sophias Stolz weigerte sich, Almosen zu empfangen. Nein, das konnte ihren Ehrgeiz nicht kühlen, der kühneren Schwester jetzt ruhmlos nachzuschreiten und nun mit ihr sich um Liebhaber zu balgen wie einstens um süßes Pfefferbrot. Ihr Sieg, so fühlte sie, müsse vollkommener sein. Und als Sophia nun Tag und Nacht sann, welcher Art sie jene an Ruhm und Bewunderung zu übertreffen vermöchte, wurde sie an dem immer unbändigeren Andrang der Männer gewahr, dass jenes bescheidene Gut, das ihr verblieben war, ihre Jungfräulichkeit und unberührte Ehre, ein köstlich Lockmittel sei und gleichzeitig ein Pfand, mit dem eine kluge Frau prächtig wuchern könnte. So beschloss sie, gerade das in eine Kostbarkeit zu verwandeln, was ihre Schwester vorzeitig verschwendete, und ihre Tugend ebenso sichtlich zur Schau zu stellen wie jene Buhlerin den jungen Leib. War jene gefeiert um ihrer prunkvollen Hoffart willen, sie wollte es nun werden durch ihre ärmliche Demut. Und noch standen die lästernden Mäuler nicht stille, als eines Morgens
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Edelstein
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Falkner
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Trabant
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Edelleute
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Brokat
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Ketzer