Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг

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Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг Originallektüre Deutsch

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stach verräterischweißer Punkt: um vier Uhr morgens hatte sie noch Licht in ihrem Zimmer! Und neues Zeugnis: eben knackte innen der elektrische Kontakt, der weiße Faden Licht fiel spurlos ins Schwarzenein, nein, hier half kein Sichselbstbelügen – Erna, seine Tochter, sie war es, die da nächtlich aus fremdern Bett in das ihre schlich.

      Der alte Mann zitterte vor Grauen und Kälte; gleichzeitig brach ihm Schweiß aus dem Leibe und überschwemmte die Poren. Die Tür einschlagen, mit den Fäusten sie zerprügeln, die Schamlose, war sein erstes Gefühl. Aber die Füße schwankten unter dem breiten Leib. Kaum noch fand er Kraft, sich in sein Zimmer und zum Bett zu schleppen; dort fiel er mit dumpfen Sinnen in die Kissen wie ein gefälltes Tier.

      Der alte Mann lag reglos in seinem Bett; seine Augen starrten offen in das Dunkel. Neben ihm ging unbesorgt und satt der Atem seiner Frau. Erster Gedanke war, sie wachzurütteln, die schreckhafte Entdeckung zu berichten, sich das Herz auszuschreien, auszutoben. Aber wie das aussprechen, laut in Worten, das Entsetzliche? Nein, nie, nie käme ihm dies Wort über die Lippe. Aber was tun? Was tun?

      Er versuchte nachzudenken. Aber die Gedanken taumelten wie Fledermäuse blind durcheinander. Es war ja so ungeheuerlich: Erna, das zarte, wohlerzogene Kind mit den schmeichelnden Augen… wann, wann hatte er sie noch über dem Schulbuch lesend gefunden, mit dem kleinen rosigen Finger die schweren Schriftzeichen mühsam nachziehend… wann sie nur in ihrem blassblauen Kleidchen von der Schule zum Zuckerbäcker geführt, den Kinderkuss gefühlt von dem noch bezuckerten Mund … War das nicht gestern gewesen?… Nein, das lag Jahre zurück.., aber wie kindlich hatte sie ihn gestern, ja wirklich gestern noch gebettelt, er möchte ihr den blaugoldenen Sweater kaufen, der in der Auslage sich so bunt vordrängte. „Papachen, bitte! bitte!“ – mit gefalteten Händen und dem Lachen, dem selbstgewissfrohen, dem er nie widerstehen konnte… Und jetzt, jetzt schlich sie, zehn Zoll von seiner Tür, nachts hinaus in das Bett eines fremden Mannes und wälzte sich dort gierig und nackt…

      „Mein Gott!… mein Gott!“… er stöhnte unwillkürlich auf, der alte Mann. „Diese Schande! diese Schande! … mein Kind, mein zartes, behütetes Kind mit irgendeinem Mann… Mit wem?… Wer kann es nur sein?… Wir sind doch erst drei Tage hier in Gardone, und sie hat keinen von den geschniegelten Laffen vorher gekannt, nicht diesen schmalköpfigen Conte Ubaldi, nicht den italienischen Offizier und diesen Mecklenburger Herrenreiter… erst beim Tanzen am zweiten Tage sind sie bekannt geworden, und schon soll sie einer… Nein, das kann nicht der Erste gewesen sein, nein… das muss schon früher begonnen haben… zu Hause… und ich weiß nichts, ich ahne nichts, ich Narr, ich geschlagener Narr … Aber was weiß ich denn überhaupt von ihnen?… Den ganzen Tag schufte ich für sie, sitze vierzehn Stunden im Kontor, genau so wie früher mit dem Musterkoffer auf der Bahn… nur Geld für sie zu schaffen, Geld, Geld, damit sie schöne Kleider haben und reich werden … und abends, wenn ich heimkomme, müde, zerschlagen, da sind sie fort: im Theater, auf Bällen, in Gesellschaft… was weiß ich denn von ihnen, was sie treiben den ganzen Tag?… Nur das weiß ich jetzt, dass mein Kind nachts mit ihrem jungen reinen Leib zu den Männern geht wie eine von der Straße… Oh, diese Schande!“

      Der alte Mann stöhnte immer wieder auf. Jeder neue Gedanke riss die Wunde tiefer: ihm war, als läge sein Gehirn blutig offen und wühlten rote Maden darin.

      „Aber warum habe ich das alles geduldet?… Warum liege ich jetzt noch da und quäl mich ab, indes sie sich satt schläft mit ihrem unzüchtigen Leib?… Warum bin ich nicht gleich hineingefahren in das Zimmer, damit sie weiß, ich kenne ihre Schande?… Warum habe ich ihr nicht die Knochen zerprügelt?… Weil ich schwach bin … weil ich feig bin… Immer war ich schwach gegen sie beide… alles habe ich ihnen nachgegeben… ich war ja stolz, ihnen das Leben leicht sein zu lassen, wenn schon meines verdorben war… mit den Fingernägeln habe ich das Geld zusammengekratzt, Pfennig für Pfennig… das Fleisch hätte ich mir von den Händen reißen lassen, sie nur zufrieden zu sehen… Aber kaum ich sie reich gemacht, schon haben sie sich meiner geschämt… nicht elegant genug bin ich ihnen mehr gewesen… zu ungebildet… wo hätte ich Bildung lernen sollen? Mit zwölf Jahren haben sie mich schon aus der Schule genommen, und ich hab verdienen müssen, verdienen, verdienen… Musterkoffer tragen, von Dorf zu Dorf fahren, und dann von Stadt zu Stadt agentieren, ehe ich mein eigenes Geschäft auftun konnte…, und kaum waren sie oben und im eigenen Haus, da mochten sie meinen alten ehrlichen guten Namen nicht mehr… den Kommissionsrat, Geheimrat habe ich mir kaufen müssen, damit man sie nicht mehr Frau Salomonsohn anspricht, damit sie vornehm tun können… Vornehm! Vornehm!… Ausgelacht haben sie mich, wenn ich mich wehrte gegen die Vornehmtuerei, gegen ihre feine Gesellschaft, wenn ich ihnen erzählte, wie meine Mutter, Gott hab sie selig, das Haus führte, still, bescheiden, nur für den Vater und uns… altmodisch haben sie mich genannt… Du bist altmodisch, Papachen, hat sie immer gespottet… ja, altmodisch, ja… und jetzt liegt sie mit fremden Männern in fremdem Bett, mein Kind, mein einziges Kind… Oh, diese Schande, diese Schande…“

      So furchtbar stieß dem alten Mann die seufzende Qual aus der Brust, dass die Frau an seiner Seite erwachte. „Was ist es?“ fragte sie schlaftrunken. Der alte Mann rührte sich nicht und hielt den Atem an. Und so lag er reglos im finstern Sarg seiner Qual bis in den Morgen hinein, von den Gedanken zerfressen wie von Würmern.

      Morgens am Frühstückstisch war er als Erster zur Stelle. Aufseufzend setzte er sich hin, jeder Bissen widerte ihn an.

      „Wieder allein“, dachte er, „immer allein!… Wenn ich morgens ins Büro gehe, schlafen sie noch behäbig und faul von ihren Tanzereien und Theatern… wenn ich abends heimkomme, sind sie schon fort auf Vergnügung, in Gesellschaft: da können sie mich nicht brauchen… oh, das Geld, das verfluchte Geld hat sie verdorben… das hat sie mir fremd gemacht… Ich Narr hab es zusammengescharrt und mich dabei selber bestohlen, mich hab ich arm gemacht damit und sie selber schlecht… fünfzig sinnlose Jahre habe ich geschuftet, keinen freien Tag mir gegönnt, und jetzt bin ich allein…“

      Er wurde allmählich ungeduldig. „Warum kommt sie nicht… ich will mit ihr reden, ich muss es ihr sagen… wir müssen weg von hier, sofort… warum kommt sie nicht… wahrscheinlich ist sie noch müde, schläft prächtig mit gutem Gewissen, indes ich mir das Herz zerreiße, ich Narr… Und die Mutter putzt sich stundenlang, muss baden, sich appretieren, maniküren, frisieren lassen, die kommt nicht vor elf herab… ist es da ein Wunder?… was soll da werden aus einem Kind?… Oh, das Geld, das verfluchte Geld.“

      Von rückwärts knisterte leichter Schritt. „Morgen, Papachen, gut geruht?“ Etwas beugte sich zart von der Seite heran, dünner Kuss streifte die hämmernde Stirn. Unwillkürlich scheute er mit dem Kopf zurück: der süßlichschwüle Geruch des Coty-Parfüms ekelte ihn. Und dann…

      „Was hast du, Papachen… wieder schlechter Laune … Einen Kaffee, Kellner, und ham and eggs… Schlecht geschlafen oder schlechte Nachrichten?“

      Der alte Mann bezwang sich. Er duckte den Kopf, ohne Mut, aufzuschauen, und schwieg. Nur ihre Hände sah er auf dem Tisch, die geliebten Hände: lässig und manikürt spielten sie wie verwöhnte schmale Windhunde auf dem weißen Rasen des Tuches. Er zitterte. Scheu tastete sein Blick die zarten jungfräulichen Arme empor, die kindlichen, die ihn früher… wie lange war das her? … so oft umschlungen vor dem Schlafengehen… Er sah die feine Wölbung der Brüste, die locker unter dem neuen Sweater im Atmen bebten. „Nackt… nackt… mit einem fremden Mann sich gewälzt“, dachte er ingrimmig. „All das hat er gefasst, betastet, beschmeichelt, geschmeckt, genossen… mein Fleisch und Blut… mein Kind… oh, dieser fremde Schuft… oh… oh.“

      Unbewusst hatte er wieder gestöhnt. „Was hast du denn, Papachen?“ drängte sie schmeichlerisch heran.

      „Was ich habe?“ dröhnte es in ihm. „Eine Hure zur Tochter, und nicht den Mut, es ihr zu sagen.“

      Aber er murrte nur undeutlich: „Nichts! Nichts!“ und griff hastig nach der Zeitung, sich aus aufgeschlagenen

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