Über Psychoanalyse: Fünf Vorlesungen. Зигмунд Фрейд
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Über Psychoanalyse: Fünf Vorlesungen - Зигмунд Фрейд страница 2
Als ich eine Anzahl von Jahren später die Breuersche Untersuchungs- und Behandlungsmethode an meinen eigenen Kranken zu üben begann, machte ich Erfahrungen, die sich mit den seinigen vollkommen deckten. Bei einer etwa 40jährigen Dame bestand ein Tic, ein eigentümlich schnalzendes Geräusch, das sie bei jeder Aufregung und auch ohne ersichtlichen Anlaß hervorbrachte. Es hatte seinen Ursprung in zwei Erlebnissen, denen gemeinsam war, daß sie sich vornahm, jetzt ja keinen Lärm zu machen, und bei denen wie durch eine Art von Gegenwillen gerade dieses Geräusch die Stille durchbrach; das eine Mal, als sie ihr krankes Kind endlich mühselig eingeschläfert hatte und sich sagte, sie müsse jetzt ganz still sein, um es nicht zu wecken, und das andere Mal, als während einer Wagenfahrt mit ihren beiden Kindern im Gewitter die Pferde scheu wurden, und sie sorgfältig jeden Lärm vermeiden wollte, um die Tiere nicht noch mehr zu schrecken.7 Ich gebe dieses Beispiel anstatt vieler anderer, die in den »Studien über Hysterie« niedergelegt sind.8
Meine Damen und Herren, wenn Sie mir die Verallgemeinerung gestatten, die ja bei so abgekürzter Darstellung unvermeidlich ist, so können wir unsere bisherige Erkenntnis in die Formel fassen: Unsere hysterisch Kranken leiden an Reminiszenzen. Ihre Symptome sind Reste und Erinnerungssymbole für gewisse (traumatische) Erlebnisse. Ein Vergleich mit anderen Erinnerungssymbolen auf anderen Gebieten wird uns vielleicht tiefer in das Verständnis dieser Symbolik führen. Auch die Denkmäler und Monumente, mit denen wir unsere großen Städte zieren, sind solche Erinnerungssymbole. Wenn Sie einen Spaziergang durch London machen, so finden Sie vor einem der größten Bahnhöfe der Stadt eine reichverzierte gotische Säule, das Charing Cross. Einer der alten Plantagenetkönige im XIII. Jahrhundert, der den Leichnam seiner geliebten Königin Eleanor nach Westminster überführen ließ, errichtete gotische Kreuze an jeder der Stationen, wo der Sarg niedergestellt wurde, und Charing Cross ist das letzte der Denkmäler, welche die Erinnerung an diesen Trauerzug erhalten sollten.9 An einer anderen Stelle der Stadt, nicht weit von London Bridge, erblicken Sie eine modernere hochragende Säule, die kurzweg »The Monument« genannt wird. Sie soll zur Erinnerung an das große Feuer mahnen, welches im Jahre 1666 dort in der Nähe ausbrach und einen großen Teil der Stadt zerstörte. Diese Monumente sind also Erinnerungssymbole wie die hysterischen Symptome, soweit scheint die Vergleichung berechtigt. Aber was würden Sie zu einem Londoner sagen, der heute noch vor dem Denkmal des Leichenzuges der Königin Eleanor in Wehmut stehen bliebe, anstatt mit der von den modernen Arbeitsverhältnissen geforderten Eile seinen Geschäften nachzugehen oder sich der eigenen jugendfrischen Königin seines Herzens zu erfreuen? Oder zu einem anderen, der vor dem »Monument« die Einäscherung seiner geliebten Vaterstadt beweinte, die doch seither längst soviel glänzender wiedererstanden ist? So wie diese beiden unpraktischen Londoner benehmen sich aber die Hysterischen und Neurotiker alle; nicht nur, daß sie die längst vergangenen schmerzlichen Erlebnisse erinnern, sie hängen noch affektvoll an ihnen, sie kommen von der Vergangenheit nicht los und vernachlässigen für sie die Wirklichkeit und die Gegenwart. Diese Fixierung des Seelenlebens an die pathogenen Traumen ist einer der wichtigsten und praktisch bedeutsamsten Charaktere der Neurose.
Ich gebe Ihnen gern den Einwand zu, den Sie jetzt wahrscheinlich bilden, indem Sie an die Krankengeschichte der Breuerschen Patientin denken. Alle ihre Traumen entstammten ja der Zeit, da sie den kranken Vater pflegte, und ihre Symptome können nur als Erinnerungszeichen für seine Krankheit und seinen Tod aufgefaßt werden. Sie entsprechen also einer Trauer, und eine Fixierung an das Andenken des Verstorbenen ist so kurze Zeit nach dem Ableben desselben gewiß nichts Pathologisches, entspricht vielmehr einem normalen Gefühlsvorgang. Ich gestehe Ihnen dieses zu; die Fixierung an die Traumen ist bei der Patientin Breuers nichts Auffälliges. Aber in anderen Fällen, wie in dem von mir behandelten Tic, dessen Veranlassungen um mehr als fünfzehn und zehn Jahre zurücklagen, ist der Charakter des abnormen Haftens am Vergangenen sehr deutlich, und die Patientin Breuers hätte ihn wahrscheinlich
4
Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 26.
5
Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 31.
6
l. c. p. 30.
7
l. c. 2. Aufl., p. 43 u. 46.
8
Eine Auswahl aus diesem Buche, vermehrt durch einige spätere Abhandlungen über Hysterie, liegt gegenwärtig in einer englischen, von Dr. A. A. Brill in New York besorgten Übersetzung vor.
9
Vielmehr die spätere Nachbildung eines solchen Denkmals. Der Name Charing selbst soll, wie mir Dr. E. Jones mitteilte, aus den Worten Chère reine hervorgegangen sein.