Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder. Михаил Лермонтов
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Читать онлайн книгу Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder - Михаил Лермонтов страница 10
„Ja,“ antwortete er; „wir müssen vorsichtiger sein . . . Bela! von heute an darfst Du nicht mehr auf dem Festungswalle spazieren gehen.“
Desselbigen Abends hatte ich eine lange Auseinandersetzung mit ihm; es that mir weh, daß er sich gegen das arme Mädchen so verändert hatte; denn außerdem daß er den halben Tag auf der Jagd lag, so war sein ganzes Betragen gegen sie kalt, er liebkoste sie selten und sie fing an zusehends abzumagern, ihr Gesichtchen wurde länger, ihre großen Augen umwölkt. Wie oft fragte ich sie nicht: Warum seufzest Du, Bela? Bist Du traurig? „Nein!“ Trägst Du nach etwas Verlangen? „Nein!“ Sehnst Du Dich nach Deinen Angehörigen? „Ich habe keine Angehörigen.“ – Ganze Tage lang konnte man außer „Ja“ und „Nein“ nichts aus ihr herausbringen. – Nun, dies Alles sagte ich ihm denn. „Hören Sie mich an, Maksim Maksimitsch,“ erwiederte er: „ich habe einen unglückseligen Charakter; hat mich die Erziehung so gemacht, hat Gott mich so erschaffen, ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß wenn ich die Ursache von anderer Leute Unglück bin, ich selbst mich nicht minder unglücklich fühle. Natürlich ist ihnen dies ein schlechter Trost – es handelt sich hier auch nur darum, daß Dem so ist. Von meiner ersten Jugend an, sobald ich nur der elterlichen Bevormundung entrückt war, gab ich mich leidenschaftlich allen Genüssen hin, die man für Geld nur erlangen kann, und natürlich ekelten mich diese Genüsse bald an. Dann betrat ich die große Welt, und auch die Gesellschaft langweilte mich bald; ich verliebte mich in die Schönen der „großen Welt“ und wurde wieder geliebt, – allein ihre Liebe reizte nur meine Einbildungskraft und Eigenliebe, das Herz ging leer dabei aus . . . So fing ich an zu lesen, zu studiren – auch die Wissenschaften wurden mir langweilig; ich sah, daß weder der Ruhm noch das Glück irgendwie an sie gefesselt sind, denn die glücklichsten Menschen sind – die Unwissenden, und der Ruhm – ein Glücksfall, zu dessen Erreichung man nur gewandt zu sein braucht. So wurde mir Alles zum Ekel . . . Bald darauf wurde ich nach dem Kaukasus versetzt: das war die glückseligste Zeit meines Lebens. Ich hoffte, daß die Langeweile unter den Kugeln der Tschetschiner nicht wohnen würde – vergebens; nach einem Monate war ich so an ihr Sausen und an die Nähe des Todes gewöhnt, daß ich wahrlich dem Fluge einer Mücke mehr Aufmerksamkeit zuwandte, – und da wurde mir noch öder zu Muthe als je zuvor, denn ich verlor fast die letzte Hoffnung. Als ich Bela in meinem Hause sah, als ich sie zum ersten Male auf meinen Knieen hielt und ihre schwarzen Locken küßte, da glaubte ich Thor, daß sie ein Engel sei, den mir das mitfühlende Schicksal zugesandt habe . . . Ich irrte mich abermals: Die Liebe einer Wilden ist nicht viel besser als die einer vornehmen Dame; die Unwissenheit und Herzenseinfalt der Einen ist eben so langweilig wie die Koketterie der Andern. Wenn Sie wollen, so liebe ich sie noch; ich bin ihr dankbar für einige recht süße Augenblicke und bereit mein Leben für sie hinzugeben, – aber ich langweile mich mit ihr . . . Bin ich ein Thor oder ein Bösewicht, ich weiß es nicht; das aber ist gewiß, daß ich des Mitleids eben so würdig bin, vielleicht noch mehr als sie; meine Seele ist von der Welt verdorben worden; meine Einbildungskraft eine unstäte, mein Herz unersättlich; mir ist alles zu wenig; an den Kummer gewöhne ich mich so leicht, wie an den Genuß, und so wird mein Leben von Tag zu Tage leerer; mir bleibt nur ein Mittel übrig: zu reisen. Sobald es nur angehen wird reise ich ab, – nur nicht nach Europa, Gott behüte! – Ich gehe nach Amerika, Arabien, Indien! – Vielleicht trifft mich unterwegs der Tod! Wenigstens bin ich überzeugt, daß dieser letzte Trost, mit Hülfe der Stürme und der schlechten Wege, nicht allzulange wird auf sich warten lassen!“ —
– So sprach er noch lange und seine Worte gruben sich mir tief in’s Gedächtniß, denn es war zum ersten Mal, daß ich einen 25jährigen Menschen also sprechen hörte, und, gebe es Gott, zum letzten Male! – Wie seltsam! Sagen Sie selbst, – fuhr der Stabskapitain fort, indem er sich an mich wandte, – Sie waren, wie es scheint, auch in der Residenz, und noch unlängst; sind denn wirklich die dortigen jungen Leute alle so?
Ich entgegnete ihm, daß es viele Leute gäbe, die ebenso redeten und daß unter ihnen wahrscheinlich auch solche wären, welche die Wahrheit sprächen; daß übrigens der Lebensüberdruß, wie alle Moden, aus den höheren Schichten der Gesellschaft in die niederen übergegangen sei, die ihn nun abtragen, und daß in diesem Augenblicke diejenigen, welche sich am meisten und wahrhaft langweilen, sich bemühen dies Unglück wie ein Laster zu verbergen. – Der Stabskapitain begriff diese Feinheiten nicht, schüttelte mit dem Kopfe und lächelte schlau:
– Nicht wahr, die Franzosen haben die Mode der langen Weile aufgebracht?
„Nein, die Engländer.“
– Aha, sehen Sie wohl! . . . erwiederte er, – das kommt daher, daß sie immer erklärte Trunkenbolde waren!
Ich erinnerte mich unwillkührlich einer Moskauer Dame, welche behauptete, daß Byron nichts weiter als ein Trunkenbold gewesen sei. Uebrigens war die Bemerkung des Stabskapitains leichter zu entschuldigen: um sich des Weines zu enthalten, gab er sich natürlich Mühe sich zu überreden, daß alle Unglücksfälle in der Welt nur vom Trunke herrühren. —
Mittlerweile führte er seine Erzählung folgendermaßen weiter:
– Kasbitsch ließ sich nicht mehr sehen. Indessen weiß ich nicht wie es kam, daß ich den Gedanken nicht loswerden konnte, als sei er nicht umsonst gekommen und daß er etwas Böses im Schilde führe.
– Einstmals überredet mich Petschorin mit ihm auf die Wildschweinsjagd zu gehen; ich weigerte mich lange; was lag mir auch an einem solchen wilden Schweine! Indessen schleppte er mich zuletzt doch mit fort. —
– Wir nahmen fünf Mann mit und zogen des Morgens früh hinaus. Bis zehn Uhr strichen wir durch Schilf und Wald umher – nirgends Wild! „Ei was, gehen wir nicht lieber nach Hause zurück?“ sagte ich. „Warum nun gerade darauf bestehen? Es ist klar, daß wir heute keinen glücklichen Tag haben!“ Allein Grigorii Alexandrowitsch wollte trotz der Sonnenhitze und unserer Ermattung nicht ohne Beute heimkehren . . . So war er nun einmal: was er sich in den Kopf gesetzt hatte, das mußte er haben; offenbar war er in seinen Kinderjahren ein recht verzogenes Muttersöhnchen gewesen . . . Endlich, gegen Mittag, stießen wir auf einen solchen verwünschten Eber. – Paff! Paff! verfehlt – weg war er im Schilfe . . . es war einmal ein unglücklicher Tag! So ruhten wir uns denn ein wenig aus und begaben uns auf den Rückweg. —
Wir ritten neben einander, schweigend, mit losgelassenen Zügeln und waren bereits hart an der Festung, bloß daß das Gebüsch sie uns noch verbarg. Plötzlich ein Schuß . . . Wir blickten einander an, derselbe Verdacht durchzuckte uns . . . Unverzüglich sprengen wir nach der Richtung des Schusses, – wir sehen: auf dem Walle hatte sich ein Haufe Soldaten versammelt, die auf das Feld hinwiesen, auf welchem ein Reiter in vollem Carriere dahinsprengte, etwas Weißes vor sich auf dem Sattel haltend. Grigorii Alexandrowitsch schrie nicht schlechter auf als irgend ein Tschetschiner; das Gewehr aus dem Futterale – und dahin; ich ihm nach.
Zum Glücke waren unsere Pferde in Folge der unglücklichen Jagd nicht abgemattet; sie rissen sich unter dem Sattel dahin und wir kamen mit jedem Augenblicke näher und näher . . . und endlich erkannte ich den Kasbitsch, nur konnte ich nicht recht unterscheiden, was er da vor sich hielt. Ich hatte Petschorin gerade eingeholt und schrie ihm zu: „Es ist Kasbitsch!“ Er blickte mich an, nickte mit dem Kopfe und schlug sein Pferd mit der Peitsche.
– Endlich hatten wir uns ihm auf Büchsenschußweite genähert; war nun sein Pferd bereits abgequält, oder war es schlechter als die unsrigen, genug, es wollte nicht mehr recht vorwärts. Ich glaube, daß er sich in dieser