Das Vermachtnis des Inka. Karl May

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Das Vermachtnis des Inka - Karl May

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einen Menschen sieht, und daß es Gauchos gibt, die ihn mit dem Lasso fangen?«

      Da antwortete ein alter, sonnverbrannter Mann, welcher allein saß und sich bis jetzt nicht mit an dem Gespräch beteiligt hatte:

      »Da haben Sie sehr recht, Señor. Der Jaguar flieht den Menschen und ist auch schon von Gauchos mit dem Lasso gefangen worden. Aber welcher Jaguar war das? Der Jaguar des Flusses.«

      »Gibt es denn auch andre Jaguare?«

      »Mehrere Arten gibt es nicht, denn Jaguar ist Jaguar; aber vergleicht einmal den am Flusse wohnenden mit demjenigen, welcher über die Pampas streift oder gar droben in den Schluchten des Gebirges wohnt. Der Fluß bietet Nahrung in Hülle und Fülle. Da leben Tausende von Wasserschweinen, an denen sich der Jaguar satt fressen kann. Die Jagd auf diese dummen Tiere fällt ihm nicht schwer; er frißt sich satt und wird faul und feig. Wenn er den Menschen sieht, nimmt er Reißaus. Der Jaguar auf den Pampas aber hat es nicht so leicht. Er hat mit den Rindern, den Pferden und, wenn er sich ein Schaf holen will, mit den Hirten zu kämpfen; der ist gewiß nicht feig. Oder wohnt er gar in den Bergen, so muß er die wilden Lamas jagen, welche schneller sind als er und sich nicht so leicht erwischen lassen. Da muß er hungern, und Hunger macht wütend. So ein Gebirgsjaguar fällt am hellen, lichten Tage offen über den bewaffneten Menschen her. Das, Señores, ist die Sache, welche ich gern richtig stellen wollte.«

      Da meinte Antonio Perillo in spöttischem Tone:

      »Sie scheinen in diesem Fache sehr große Kenntnisse zu besitzen, Señor. Sind Sie denn schon einmal über die Grenzen der Stadt hinausgekommen?«

      »Zuweilen, ja.«

      »Bis wohin denn?«

      »Bis nach Bolivia hinauf und auch nach Peru hinüber. Auch bin ich im Gran Chaco gewesen.«

      »Bei den wilden Indianern?«

      »Ja.«

      »Und die Indianer haben Sie nicht aufgefressen, wie der Jaguar das Wasserschwein auffrißt?«

      »Entweder bin ich ihnen nicht fett genug gewesen, oder sie haben sich nicht an mich herangetraut, Señor. Wahrscheinlich hat der letztere Grund vorgelegen, denn ich bin all mein Lebtag nicht der Mann gewesen, den man so leicht auffressen kann. Und selbst jetzt in meinen alten Tagen habe ich Kraft genug im Arme, einen, der sich über mich lustig machen will, auf das lose Maul zu schlagen. Merken Sie sich das, Señor!«

      »Nur nicht gleich so hitzig, Alter! Es war ja gar nicht so gemeint,« lenkte Perillo ein, denn die Scene im Café de Paris hatte ihn vorsichtig gemacht. »Ich wollte nur sagen, daß ich den Jaguar nicht für gefährlich halte.«

      »Er ist gefährlich für jeden Menschen, nur für einen einzigen nicht.«

      »Wer ist das?«

      »Das können Sie sich denken. Es hat doch jeder von ihm gehört, und sein Name beweist das, was ich von ihm behaupte.«

      »So meinen Sie den Vater Jaguar?«

      »Ja.«

      »Man sagt von ihm freilich, daß er dem wildesten Jaguar mit unbewaffneten Händen zu Leibe gehe, aber ich glaube es nicht.«

      »Und ich glaube es, denn ich habe es gesehen.«

      »Gesehen? Hm!«

      »Mit diesen meinen Augen gesehen. Señor, Sie können es glauben.«

      »Wo ist denn das gewesen?«

      »Im Gran Chaco.«

      »Da sind Sie mit diesem Manne zusammengetroffen?«

      »Nicht zusammengetroffen, sondern mit ihm hingeritten. Er ist unser Anführer, und ich gehöre noch heute zu seinen Leuten.«

      Kaum hatte der Alte diese Worte gesagt, so wurden rundum Ausrufe des Staunens, der Verwunderung laut. Man sprang auf, um an seinen Tisch zu kommen und ihm die Hand zu drücken. Man wollte aus mehreren zusammengeschobenen Tischen eine lange Tafel bilden, an welche er sich mit setzen sollte, um von dem berühmten Manne zu erzählen, dessen Namen und Thaten in aller Munde waren. Er aber wehrte ab und begründete seine Weigerung mit den Worten:

      »Der Vater Jaguar liebt es nicht, daß wir von ihm sprechen. Er hat uns geradezu verboten, von ihm zu erzählen, und Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, Señores, wenn ich sage, daß ich ihm Gehorsam schulde.«

      »Wie sieht er denn eigentlich aus?« erkundigte sich Perillo.

      »Wie jeder andre Mensch.«

      »Und wie alt ist er?«

      »Vielleicht fünfzig Jahre.«

      »Ein Eingeborener?«

      »Ich habe seinen Geburtsschein noch nicht in der Hand gehabt, Señor.«

      »So sagen Sie mir wenigstens, ob er wirklich so ungeheuer stark ist, wie man von ihm erzählt!«

      »Was das betrifft, so habe ich gesehen, daß er einen Ochsen bei den Hörnern packte und ihm den Kopf fest auf die Erde drückte.«

      »Caramba! Das wäre stark! Sie übertreiben doch nicht?«

      »Ihretwegen mache ich keine Lüge. Darauf können Sie sich verlassen. Ich kann nur einem jeden wünschen, nicht einmal in die Lage zu kommen, die Fäuste des Vaters Jaguar zu fühlen.«

      »Darf man denn nicht erfahren, was er eigentlich treibt? Bald sagt man, er sei ein Yerbatero; bald nennt man ihn einen Goldsucher, bald einen Sendador, welcher die Karawanen über die Anden führt. Ich habe sogar schon gehört, daß er ein politischer Parteigänger sei, welcher sein Gewehr bald diesem und bald jenem Aufrührer leihe.«

      Yerbateros sind Theesammler, welche in die Urwälder ziehen, um den bekannten Paraguaythee zu suchen. Ihr Leben ist mit vielen Gefahren verknüpft. Sendador heißt Pfadfinder, bedeutet also genau dasselbe, was das nordamerikanische Wort Scout bedeutet. Der Alte antwortete:

      »Was er eigentlich ist, das kann ich Ihnen wohl sagen: Er ist ein Mann, und zwar ein ganzer Mann, wie es wohl selten einen zweiten gibt, auch Sie nicht ausgenommen. Aufrührern hat er noch nicht gedient und wird er auch nie dienen. Er ist ein Freund aller guten und ein Feind aller schlechten Leute. Sollten Sie vielleicht nicht zu den ersteren gehören, so hüten Sie sich ja, ihm einmal zu begegnen.«

      »Sie werden immer schärfer und anzüglicher, mein alter Señor! Hat es Sie denn gar so sehr verdrossen, daß ich den Jaguar für ein feiges Tier gehalten habe?«

      »Das nicht. Aber daß Sie behaupteten, ihm nur mit dem Messer zu Leibe gehen zu wollen, sagte mir, daß Sie entweder ein Aufschneider oder ein unwissender Mensch seien, und beide kann ich nicht leiden. Der Jaguar, den wir morgen sehen werden, hat wahrscheinlich am Flusse gewohnt, kann aber auch aus der Pampa gekommen sein. Wir werden ja erfahren, wie er sich benimmt. Was mich betrifft, so bin ich auf ihn nicht im geringsten neugierig. Viel eher verlangt es mich, ob sich einer der Espadas an den Büffel wagen wird.«

      »Alle werden sich an ihn wagen, alle; das versichere ich Ihnen!«

      »Wollen sehen. So ein Bison ist, wenn er gereizt wird, ein gefährliches Tier.«

      »Woher wissen Sie das denn?«

      »Vom Vater Jaguar, welcher

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