Namenlos. Уилки Коллинз
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Magdalene schloß ihm den Mund durch eine bündige Maßregel, welcher sogar Frank sich nur dankbar unterziehen konnte. Zugleich vergaß sie aber auch nicht, sich seine Unzufriedenheit nach ihrem Sinne zurecht zu legen.
– Wie liebt er mich! dachte sie. Ein Jahr zu warten ist für ihn schon ein schweres Opfer.
Sie kehrte ins Haus zurück mit geheimen Bedauern, daß sie doch nicht noch mehr von Franks Klagen, die für sie so schmeichelhaft waren, mit angehört hatte. Miss Garths fein angelegter Spott, der sich gerade, als sie in dieser Gemüthsverfassung sich befand, über sie ergoß, war mithin lediglich eine vergebliche Verschwendung von Miss Garths Athem. Was machte sich Magdalene aus Spott? Aus was machen sich überhaupt Jugend und Liebe Etwas, außer aus sich selbst? Sie sagte dies Mal nicht einmal Bah! dazu. Sie legte in erhabenem Stillschweigen ihren Hut ab und ging langsam in das Morgenzimmer, um ihrer Mutter Gesellschaft zu leisten. Sie genoß das zweite Frühstück unter allerlei düsteren Vorahnungen von einem Streite zwischen Frank und seinem Vater. Sie beschäftigte sich ein halbes Stündchen am Piano und spielte in dieser Zeit eine Auswahl von Liedern Mendelssohns, von Chopins Mazurkas, Verdis Opern und Mozarts Sonaten, was Alles sich solchergestalt für sie zu einem Ganzen vereinigte und das eine unsterbliche Werk, betitelt »Frank«, hervorbrachte. Sie schloß das Piano und ging´hinauf in ihr Zimmer, um die Stunden in süßen, berauschenden Träumen von ihrem künftigen ehelichen Glück zu kürzen. Die grünen Fensterladen wurden geschlossen, der Ruhesessel vor den Spiegel gerückt und das Mädchen´wie gewöhnlich gerufen, und der Kamm that nun das Seinige bei dem stillen Denkproceß der Herrin durch das Medium ihres Haares, bis die Hitze und die Unthätigkeit zusammen ihren betäubenden Einfluß ausübten und Magdalene in Schlummer versank.
Es war drei Uhr vorüber, als sie erwachte. Als sie wieder die Treppe hinunterstieg, fand sie ihre Mutter, Nora und Miss Garth unter dem offenen Säulengange vor dem Hause alle beisammen sitzen und der Kühle genießen.
Nora hatte den Eisenbahnfahrplan in der Hand. Es war oben die Rede davon, ob Mr. Vanstone den Retourzug erreichen und bei guter Zeit zurück sein werde. Dieser Stoff hatte sie zunächst auf seinen Geschäftsgang nach Grailsea geführt. Letzterer war wie gewöhnlich eine Gefälligkeit für den Müller, welcher auf seinem Pachtgute früher gedient hatte und jetzt durch bedeutende finanzielle Schwierigkeiten bedrängt wurde. Von diesem Gegenstande waren sie unmerklich auf ein oft besprochenes anderes Thema gekommen, dessen sie niemals müde wurden: das Lob von Mr. Vanstone selbst. Jede von den Dreien hatte aus eigener Erfahrung von seinem einfachen, edelmüthigen Charakter zu erzählen. Die Unterhaltung schien für seine Gattin von schmerzlichem Interesse zu sein. Sie war dem ihr bevorstehenden Stündlein jetzt zu nahe, um nicht für den einzigen Gegenstand, der allezeit den vordersten Platz in ihrem Herzen einnahm, schnell aufgeregt und reizbar zu empfinden. Ihre Augen flossen über, als Magdalene zu der kleinen Gruppe unter dem Porticus trat, ihre schwache Hand zitterte, als sie ihrer jüngsten Tochter winkte, den leeren Stuhl an ihrer Seite einzunehmen.
– Wir sprachen eben von Deinem Vater, sagte sie sanft. O, meine Liebe, wenn Dein eheliches Leben nur so glücklich ist…
Die Stimme versagte ihr; sie bedeckte ihr Gesicht mit dem Taschentuche und legte ihr Haupt an Magdalenens Schulter. Nora sah flehentlich nach Miss Garth hin, und diese lenkte denn die Unterhaltung alsbald auf die weniger verfängliche Frage der Rückkehr Mr. Vanstones.
– Es verlangte uns Alle zu wissen, sagte sie mit einem bedeutenden Blicke auf Magdalene, ob Ihr Vater von Grailsea noch zur rechten Zeit weggehen wird, um den Zug zu erreichen, oder ob er ihn verfehlen und genöthigt sein wird, mit Geschirr herüberzufahren. Was meinen Sie?
– Ich meine, Papa wird den Zug verfehlen, erwiderte Magdalene, indem sie Miss Garths Wink mit ihrer gewohnten Schnelligkeit auffaßte. Das Letzte, was ihm in Grailsea am Herzen liegen wird, ist wohl sicherlich der Gedanke der Rückfahrt hierher. Wenn er je Etwas zu verrichten hat, so spart er Das immer bis auf den letzten Moment auf, ist Das nicht wahr, Mamma?
Die Frage richtete ihre Mutter genau so, wie es Magdalene beabsichtigt hatte, wieder auf.
– Nicht wenn seine Verrichtung eine Gefälligkeitssache ist, sagte Mrs. Vanstone. Er ist gegangen, um den Müller in einer sehr bedrängten Lage zu helfen…
– Und weißt Du nicht, was er machen wird? beharrte Magdalene. Er wird sich herumtummeln mit den Kindern des Müllers, mit der Mutter Plaudern und mit dem Vater ein Gläschen trinken. Im letzten Augenblicke, wenn er nur noch fünf Minuten übrig hat, um den Zug zu erreichen, wird er sagen: Wir wollen doch in das Abrechnungszimmer gehen und in den Büchern nachsehen. Er wird die Bücher ganz entsetzlich verwickelt finden, er wird vorschlagen, einen Rechnungsführer holen zu lassen; er wird das Geschäft kurzweg abmachen, indem er mittlerweile das Geld herleiht; er wird dann in des Müllers Wägelchen bequem zurückkutschieren und uns erzählen, wie lieblich die Gäßchen sind in der Abendkühle
Die kleine Charakterzeichnung, welche diese Worte entwarfen, war ein zu treues Bild, als daß es nicht Anerkennung hätte finden sollen. Mrs. Vanstone zeigte ihren Beifall an durch ein Lächeln.
– Wenn Dein Vater zurückkehrt, sagte sie, so wollen wir von Deiner Rechnung die Probe machen. Ich denke – fuhr sie fort, indem sie sich langsam in ihrem Stuhle aufrichtete, ich thue am Besten wieder hinein zugehen und auf dem Sopha zu ruhen, bis er zurückkommt.
Die kleine Gruppe unter dem Säulengange brach auf. Magdalene schlüpfte in den Garten, um Franks Bericht von seiner Unterredung mit dem Vater zu vernehmen. Die anderen drei Damen traten zusammen ins Haus. Als Mrs. Vanstone bequem auf dem Sopha untergebracht war, ließen Nora und Miss Garth sie allein, um sie ruhen zu lassen, und zogen sich in die Bibliothek zurück, die letzte Büchersendung aus London durchzusehen.
Es war ein ruhiger wolkenloser Sommertag. Die Hitze wurde durch eine leichte Brise von Westen gemildert, die Stimmen der auf einem Felde in der Nähe beschäftigten Arbeiter klangen fröhlich zum Hause herüber; die Thurmuhr der Dorfkirche ließ sich, wenn sie die Viertel schlug, infolge der Windströmung, mit hellerem Klange, mit einem lautern Tone als gewöhnlich vernehmen. Süße Düfte vom Felde und aus dem Blumengarten drangen durch die offenen Fenster herein und füllten das Haus mit ihrem Wohlgeruch, und die Vögel in Noras Vogelhause oben sangen schmetternd ihre fröhlichen Lieder in den Sonnenschein hinaus.
Als die Kirchenuhr ein Viertel nach vier Uhr schlug, ging die Thür des Morgenzimmers auf, und Mrs. Vanstone ging allein über die Flur. Sie hatte vergebens versucht, sich zu beruhigen. Sie war zu unruhig, als daß sie still liegen konnte. Einen Augenblick richtete sie ihre Schritte nach dem Säulengange, wandte sich dann und sah um sich, ungewiß wohin sie nun gehen, was sie thun sollte. Wie sie noch zögerte, erregte die halboffene Thür Von ihres Gatten Arbeitszimmer ihre Aufmerksamkeit. Das Zimmer schien in böser Unordnung zu sein. Schubkästen waren offen stehen geblieben, Röcke und Hüte, Rechenbücher und Papiere, Pfeifen und Angelruthen lagen durcheinander. Sie ging hinein und stieß die Thür zu, aber so, daß sie nicht zu klinckte.
– Es wird mir Freude machen, sein Zimmer aufzuräumen, dachte sie bei sich selbst. Ich thue so gern Etwas für ihn, so lange ich noch nicht hilflos an mein Bett gefesselt bin.
Sie fing an, die Schubkästen in Ordnung zu bringen und fand sein Banquierbuch offen in einem derselben daliegen.
– Mein guter, lieber Alter, wie sorglos er ist. Die Dienstboten hätten alle seine Angelegenheiten sehen können, wenn ich nicht glücklicherweise ein Mal nachgesehen hätte.
Sie machte die Schubfächer zu und wandte sich dann zu den tausend Kleinigkeiten auf einem Seitentische. Ein kleines altmodisches Notenheft kam unter den bunt durcheinander liegenden Papieren zum Vorschein, es stand in verblichener Tinte ihr Name darauf geschrieben. Sie erröthete wie ein junges