Windschiefe Gestalten. Adam Karrillon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Windschiefe Gestalten - Adam Karrillon страница 4
Eines Tages war dem Kommerzienrat die Ehre zuteil geworden, daß seine Gattin ihn in ihr Zimmer bestellte. Er traf sie da mit dem Juden zusammen. Der letztere malte mit dem Bleistift eine Zahl in sein Notizbuch und hielt sie der Frau Sterzelweg unter die Augen. »Unter dem wirdʼs nicht abgehen,« flüsterte er und fuhr, während ihm der Speichel über den Mundwinkel lief, in besänftigendem Tone fort: »Aber bedenken Sie nur, ein Viertel dieser Summe kann schon eingebracht werden durch einen einzigen Sieg auf der Rennbahn.«
Ins Gesicht der Mutter Sterzelweg kehrte etwas von dem Blut zurück, das beim Anblick der Zahl aus ihm gewichen war, während der Kommerzienrat bleich und starr blieb wie eine Osterkerze. Im Zimmer herrschte ein verlegenes Schweigen. Nur eine Hummel brummte am Fenster und suchte mit dem Kopf die Scheibe einzubrechen und hinauszukommen aus dieser ungemütlichen Atmosphäre. Um wenigstens etwas getan zu haben, öffnete des Leutnants Mutter den Fensterflügel und ließ den Brummer hinaus ins Freie.
»So rede doch,« rief sie dann in verärgertem Tone ihrem Manne zu, »oder vielmehr rede erst, wenn du vorher bedacht hast, daß dieser Kauf nur der Anfang sein wird von langen Transaktionen,« – sie wiederholte das Wort – »die deinen Namen neben die der angesehensten Familien des Landes stellen.«
»Die Herostall,« ergänzte der Jude, »und wenn ich das Kalb geschenkt bekomme, werd ich dann die Pfennig zählen, die ich für den Strick verausgaben muß?«
Sterzelweg erhob sich und eilte in sein Bureau. Er winkte den Bleibtreu nach seinem Pulte heran. Zwei eisgraue Köpfe, die seit dreißig Jahren nach dem gleichen Ziele hingearbeitet hatten, stießen wie durch einen Nebel verwirrt gegeneinander. Vier Augen bohrten sich in die Zahlenreihen des Hauptbuches; zwei Zeigefinger tasteten sich längs den Zahlenreihen hin. Der Diener schüttelte den Kopf. Sein Herr zerbiß die rechte Schnurrbartspitze. Ein Federhalter rollte über den Pultdeckel herunter und versuchte sich in dem Papierkorb zu verstecken. Es war klar, er wollte den ersten Schritt nicht mitmachen auf einem Gang, der die Firma Sterzelweg in den Sumpf führen mußte. Und doch, das Omen wurde nicht verstanden! Der Fahnenflüchtige wurde zwischen zerrissenen Briefumschlägen hervorgesucht, ein Wechselformular unterschrieben. Herr und Diener kehrten einander den Rücken zu, und keiner sah sich nach dem andern um.
Mutter Sterzelweg konnte froh sein. Ohne Augenarzt hatte sich ihr Sehvermögen gebessert. Ohne Brille sogar konnte sie in den Journalen lesen, daß des Fürsten von Herostall berühmtes Rennpferd in den Besitz des Leutnant Sterzelweg übergegangen sei. Welch ein Triumph über alle Neider, die man hatte, welch eine Reklame für die Firma!
Aber es kam noch besser. Ihr Leutnant hatte aus dem Rennen zu Iffezheim den zweiten Preis errungen. Dreißigtausend Mark waren es gewesen. Nicht allzuviel, wenn man bedenkt daß die Überführung des Pferdes Geld gekostet hatte, und daß man den Sieg mit einem Champagnergelage im Stefaniehotel zu Baden-Baden feierte. Aber was wollte Geld bedeuten gegenüber dem Umstand, daß ihr glorreicher Sohn mit einem Male mitten unter die feudalsten Herren gekommen war. Daß er in seinen Armen Damen wiegen durfte, die andere Sterbliche nur durch die verschleierten Abbildungen in der »Woche« kennen lernten. So dachte großzügig Mutter Sterzelweg, und offenbar, sie mußte zu gleichem Denken ihren Mann verführt haben, denn er kaute seltener an seiner Schnurrbartspitze und putzte an Sonntagen seine Nase in ein halbseidenes Taschentuch.
Während Marcellus an der erträumten Jakobsleiter hinaufkletterte, stieg Maurus daran hinunter. Das Gesicht, das der alte Prokurist Bleibtreu des Morgens ins Bureau brachte und des Abends wieder heimtrug, gefiel dem Buckligen nicht, nicht einmal dann, als ihn sein Vater beauftragt hatte, unter die Arbeiter seines Geschäftes eine ansehnliche Summe als Neujahrsgratifikation zu verteilen. Jedes Zucken eines Muskels schien zu fragen: Ist das Großmut oder nur Maske, hinter der die Teufelsfratze des schlechten Geschäftsganges sich zu verstecken sucht? Er mißtraute bereits allem, den schönen Worten, den Taten und am meisten den Zahlen einer zurechtfrisierten Bilanz. Einzig seine Hunde warenʼs, von denen der Bucklige noch etwas Gutes erwartete. Er dressierte die beiden Franziskanernovizen auf das trefflichste. Brachte ihnen bei, daß sie auf seinen Ruf, auf seinen Pfiff zu kommen, auf seinen Befehl still zu sitzen hätten. Er schneiderte ihnen ein Geschirr zurecht und spannte sie vor einen leichten Wagen. Beim Marsch nach dem Bahnhof hin war Selbstzucht ein unbedingtes Erfordernis, daß man nicht vergaß, man sei im Dienst und hinter jeder leichtsinnigen Katze herlief, die über den Weg turnte. Auch Balgereien mit seinesgleichen, so heilsam sie sonst wohl auch sein mochten, waren in den Dienststunden ausgeschlossen, und der Versuch wurde regelmäßig mit einem Fußtritt bestraft. Gefüttert wurden sie nicht übermäßig, und an die Fastenzeiten waren sie vom Kloster aus gewohnt. Weiter trieb Maurus die Hundeerziehung nicht, da er weder Professoren noch Schauspieler aus den Tieren machen wollte, sondern eben Arbeiter, die auch über den Achtstundentag hinaus schafften, statt sich hinzustellen und über Wolkenkuckucksheim den Mond anzubellen oder mit jeder Mundharmonika um die Wette zu heulen.
In jenen Tagen war im Hause Sterzelweg eine kleine Veränderung vor sich gegangen. Nicht etwa, daß eine Giebelwand eingefallen, ein Flügel abgebrannt wäre. Nein, die Sache hatte nicht das geringste Auffällige für einen, der vorüberging, und war doch für den Tieferblickenden von ernster Bedeutung. Das Geschäft war in ein Aktienunternehmen umgekrempelt worden.
Maurus ahnte, daß dies so etwas sei wie das Umtaufen und Neubemalen eines gestrandeten Schiffes, damit man es nicht erkenne und aufs neue Vertrauen zu seiner Seetüchtigkeit fasse. Und warum auch nicht? War es doch von dem gleichen Kapitän Sterzelweg, der jetzt nur Direktor hieß, geführt; von dem gleichen Lotsen gesteuert.
Nein, nicht ganz war die Bemannung die gleiche. Bleibtreu der Alte hatte sich losmustern lassen. Das fiel auf im Publikum, und es gab vor allem dem Buckligen zu denken. Wer sollte ihm nun mit Kopfschütteln und halben Worten eine Andeutung geben, wenn das Schiff ohne Besteck im Nebel lief? Nein, Maurus war mehr noch wie seither auf seine eigene Schlauheit angewiesen, die ihn lehrte, wie aus einem Buche aus dem Benehmen des Vaters herauszulesen, was er wissen mußte. Er beobachtete den Alten, wie nur je ein Geheimpolizist einen Verdächtigen beobachtet hat. Er kontrollierte seine Reisen, zählte die Briefe, die für ihn eingelaufen waren, und prägte sich die Gesichter aller derer ein, die auf seinem Bureau verkehrten. Wer nur im entferntesten so aussah, als ob seine Vorfahren im Lande Posen von Knoblauch und Zwiebeln gelebt hätten, erregte seinen Verdacht, und wenn er gar mit einer Peitsche zwischen den Fingern in den Hof trat, dann war er für ihn zu einer Scharrmaus geworden, die an dem Baume des Hauses Sterzelweg nagte.
Maurus hatte vernommen, von ausgedienten Soldaten vielleicht, von einer Gemüsefrau, einer Hemdenbüglerin, daß sein Bruder außer seinem Rennstall auch noch andere kostspielige Tugenden habe, daß er den Damen vom Ballett die Trikots kaufe und daß er spiele und sein Ehrenwort verpfände, wenn sein Bargeld ausgegangen war. Was hatte doch der Depeschenbote neulich so dringend von dem Vater verlangt? Geld natürlich. War das vielleicht in einer Stunde, wo das brüderliche Ehrenwort eine leere Renommage geworden wäre, wenn der Vater nicht einsprang? Warum hatte der Alte so stürmisch den Kassenschrank durchsucht und war dann zur Mutter gelaufen, damit auch sie die Geheimfächer ihres Schreibtisches plündere? Maurus fühlte, daß über dem Hause Sterzelweg eine Wolke stand, die, wenn nicht bald eine Hochzeit kam, auch mit einem Pistolenknall sich entladen konnte.
Die Hochzeitsklänge kamen nicht; auch der Pistolenknall wurde nicht gehört. Dagegen las man in der Zeitung, daß der Rennstallbesitzer Leutnant Sterzelweg nach dem iranischen Hochland abgereist sei, um die Stelle zu suchen, auf welcher der Erzvater Noah seinen ersten Rausch ausgeschlafen habe.
Das war noch was. Damit konnte Marcellus sich ins Konversationslexikon hineinschmuggeln. Leider kam es anders.
Nach der Abreise des Sohnes regnete es unbezahlte Wechsel in des Vaters Bureau herein, und diese schwemmten das Aktienunternehmen hinweg und den Direktor als Schreiber in die Hinterstube eines Winkeladvokaten hinein und dessen Gattin in den Backsteinnebenbau einer